: Unerschrocken ins Neue
Yang Shaobin war in den Neunzigern der Vorreiter des Zynischen Realismus in der chinesischen Kunst. Vollkommen anders seine neue Ausstellung: Sie widmet sich dem Schicksal der Kohlekumpel
VON SUSANNE MESSMER
Es vergeht kaum ein Monat, in dem man nicht von einem neuen Grubenunglück in China liest. China ist nicht nur eines der Länder, die die meiste Kohle produzieren, es ist auch eines, das die meiste verbraucht. Weil in vielen der privaten Bergwerke kein Geld für Sicherheitsvorrichtungen da ist, sterben bei der Gewinnung von einer Million Tonnen Kohle in China 4 Bergleute. Zum Vergleich: Die Vergleichszahl liegt in den USA bei nur 0,04, in Südafrika 0,13 und in Russland 0,34.
Dass Chinas harsche Wirklichkeiten manchmal weniger leicht beiseitezuschieben sind als in anderen Ländern, das wird auch Yang Shaobin im Sinne gehabt haben, als er für die Galerie Long March in Peking begann, sich für die Bergwerke seiner Heimatregion zu interessieren. Yang Shaobin ist einer der originellsten Ölmaler Chinas, zuletzt wurde er für Darstellungen von Gewalt gefeiert – für scharlachrote Gesichter, deformierte, aufgedunsene, verrenkte Körper, die sich treten, raufen, beißen und zerfleischen. Für Bilder, bei denen man das Klatschen des großen Anstreichpinsels hören kann, mit dem die Farbe aufgetragen wurde, Farbe, die so sämig ist wie Grießbrei und dennoch an einigen Stellen wie Blut über die Leinwand rinnt.
Betritt man nun die Ausstellung, kommt es einem zunächst vor, als hätte sich Yang Shaobin mit voller Absicht aus der Bahn werfen lassen. Die 24 großformatigen Ölbilder, die unter dem Titel „800 Meters“ luftig in der so weiten wie rohen ehemaligen Fabrikhalle hängen, wirken zunächst wie Fotografien, die nur zaghaft mit Farbe übermalt wurden. Alle technische Kontrolle, die die letzen Arbeiten Yang Shaobins ausmachte, ist dahin. An die Stelle der strengen Farben und der kämpfenden Fleischberge sind schüchterne, ausgewaschene Beige- und Grüntöne getreten, die Pinselstriche wirken vergleichsweise schlaff.
Die meisten Bilder zeigen einfache Porträts, rußverschmierte Gesichter, in denen gerade so viel Emphase und Stolz aufblitzt, dass sie noch nicht an die strahlenden Helden der Arbeit des Sozialistischen Realismus erinnern, der lange Jahrzehnte auch in China Vorschrift war. Hin und wieder ein Arbeiter, der hinter zerstörten Landschaften übergroß aus dem Horizont wächst, und weiter hinten der Eingang zu einer Installation. Ein Nachbau einer typischen Behausung eines chinesischen Kohlekumpels, eine Backsteinhütte, eine bescheidene Küche, Plastikgeschirr, Wachspapier, eine harte Holzpritsche, im Hinterzimmer ein enger Schacht auf 30 Tonnen Kohle, Kohlekarren und die Projektion eines Videos, das lautstark den Abbau der Kohle zeigt.
Es ist, als hätte Yang Shaobin in dieser Ausstellung vor allem seine Schwäche und seine Verunsicherung ausgestellt – und seinen Willen, hinter der Wirklichkeit zurückzutreten. Und diese Offenheit, dieser Mut zur Lücke, ist auf den zweiten Blick die Stärke seiner neuen Arbeiten. 1963 geboren, schlug sich der Maler nach seiner Ankunft in Peking Anfang der Neunziger im Künstlerdorf in den Ruinen des alten Sommerpalastes durch. 1992 begann er, im Stil des Zynischen Realismus zu arbeiten – und wurde Teil einer Mode, die vor allem auf dem westlichen Kunstmarkt einschlug. Mitte der Neunziger dann die Kehrtwende mit zunächst fraglicher Aussicht auf Erfolg: die rabiaten Fleischbilder. Und nun wieder etwas Neues. Etwas Neues, das erst begonnen hat sich zurechtzuwachsen.
Mit dieser Unerschrockenheit, sich auf Unbekanntes einzulassen, beweist Yang Shaobin vor allem eines: Auch fast ein Vierteljahrhundert nach der Öffnung Chinas ist der Anschluss der chinesischen Kunst an die des Westens noch immer nicht komplett vollzogen. Viele chinesische Künstler befassen sich zwar mit Urbanisierungs- und Immigrationsprozessen, wie sie auch die westlichen umtreiben. Dennoch gibt es nach wie vor ein paar, die auf die Differenzen pochen. Auch, wenn die Medien vor allem vom Braus der Wachstumshysterie berichten, leben die Erinnerungen an Kollektivismus und an Produktionsgemeinschaften fort. Nach der Gründung der Volksrepublik wurden Chinas Bergleute wie in anderen sozialistischen und kommunistischen Ländern zu Helden der Arbeit stilisiert oder dazu ermuntert, zur Feder zu greifen. Heute sind sie ständig gefährdet und gehören mit einem Einkommen von weniger als 100 Euro im Monat zu den Modernisierungsverlierern.
In kaum einer anderen Berufsgruppe verdichtet sich der Fall eines Mythos derart wuchtig wie im Kohlekumpel. Der chinesische Film hat darauf längst eindrücklich reagiert, Han Jie wurde mit seinem „Walking On The Wild Side“ in diesem Jahr auf den westlichen Festivals ausgezeichnet, Wang Chaos „Night and Day“ 2004 und Li Yangs „Blinder Schacht“ 2003. Dass mit Yang Shaobin nun auch Chinas bildende Kunst nachzieht, zeigt nicht nur, dass man sich nicht gleich bügeln lässt. Es zeigt auch, dass selbst das Establishment nicht an seinen Erfolgskonzepten festhalten muss. Yang Shaobin steht zum zweiten Mal am Anfang, und er setzt damit auch Signale für Kollegen wie Fang Lijun und Zhang Xiaogang, die an ihren Kahlköpfen und ihren Einkindfamilienfesthalten. Auch wenn der Kunstmarkt in China noch schwieriger sein mag als anderswo: Man ist in der Lage loszulassen. Man überprüft sich selbst.
Bis 13. 10., Long March Space, Peking