: Solidarität mit dem Osten?
16 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung steht der Solidarpakt Ost im Westen in der Kritik. Ist es richtig, dass die Kommunen in NRW auch weiter finanziell für die Städte im Osten eintreten?
JA
Die Linke steht zum grundgesetzlichen Auftrag der Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Ein Gegeneinander strukturschwacher Regionen in Ost und West zerstört den Grundgedanken der Solidarität zwischen den Regionen, auch zum Schaden der strukturschwachen Regionen in NRW.
Noch immer bestehen in den wichtigsten wirtschaftlichen Kennziffern zwischen alten und neuen Bundesländern erhebliche Unterschiede. Diese Unterschiede sind in jüngster Zeit nicht kleiner, sondern größer geworden. Die Arbeitslosigkeit ist im Osten zweieinhalb mal größer als im Westen, die ungebremste Abwanderung junger Menschen mit der Folge einer zum Teil rasanten Schrumpfung der Städte und der Verödung von Teilen des ländlichen Raums – das sind Verhältnisse, die Linke nicht hinnehmen wollen, weder im Osten noch im Ruhrgebiet oder der Eifel. Daher darf am Solidarpakt nicht gerüttelt werden.
Im Bundestag haben wir die Einrichtung eines Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder und anderer strukturschwacher Regionen beantragt. Er sollte sich ausdücklich auch mit der Förderung strukturschwacher Regionen in den alten Bundesländern befassen. Alle anderen Parteien haben das abgelehnt. Da die von einem ungehemmten Wettbewerbsföderalismus angetriebene Verschärfung regionaler Unterschiede das Ruhrgebiet ebenso trifft wie den Osten, müsste neu bedacht werden, wie verhindert werden kann, dass der Aufbau Ost in einen regionalen „Abbau West“ mündet.
Sieht man sich die Landtagsdebatte und die Forderungen des NRW-Städtetages daraufhin genau an, so wird deutlich, dass es vor allem um die Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Westen geht: So fordert der Städtetag NRW im Juli 2006 keinen Abbau der Ost-West-Transfers, sondern „dass die Belastungen der nordrhein-westfälischen Städte durch die erhöhte Gewerbesteuerumlage, die sich die alten (!) Länder im Solidarpaktgesetz bis 2019 gesichert haben, reduziert werden.“ Und er fordert, dass „auch der hochgradig defizitären Haushaltslage in strukturschwachen Regionen der alten Länder Rechnung getragen werden kann.“
Schwarz-Gelb in NRW belastet die Kommunen immer stärker. Mit der Vergabe der EU-Strukturmittel nach neoliberalen Wettbewerbskriterien verabschiedet sich die Landeregierung von ihrer Verantwortung für den Strukturwandel im Ruhrgebiet. Nötig ist eine Gemeindefinanzreform, die die Kommunen stärkt, ein Sonderprogramm für kommunale Investitionen statt einer Haushaltskonsolidierung des Landes auf Kosten der Kommunen. Wer daraus einen Verteilungskampf zwischen Ost und West macht, geht an den Problemen vorbei – und bereitet gedanklich den Boden für das Abhängen auch der strukturschwachen Regionen in NRW.
PAUL SCHÄFER
NEIN
Die Einheit Deutschlands war eine gewaltige Leistung. Die Solidarität der Menschen untereinander und der wirtschaftlich Stärkeren mit den Schwächeren hat entscheidend dazu beigetragen. Das gilt auch für die Kommunen in Westdeutschland, die den Aufbau in den Kommunen im Osten mit finanziert haben. Insgesamt haben die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen alleine innerhalb der letzten zehn Jahre einen Beitrag in Höhe von 7,11 Milliarden Euro geleistet. Ihnen gebührt dafür Dank und Anerkennung.
Nun stellen wir fest, dass sich wesentliche Rahmenbedingungen verändert haben, aufgrund dessen die finanziellen Hilfen für den Osten bis zum Jahr 2019 festgeschrieben wurden. So kommt beispielsweise das Land Sachsen wahrscheinlich schon 2006 ohne Neuverschuldung aus und die Stadt Dresden wird schuldenfrei sein. Auf der anderen Seite hat sich die finanzielle Lage der Kommunen hier im Land drastisch verändert. Rund die Hälfte der 396 Städte und Gemeinden steht unter der Haushaltssicherung, 116 davon haben sogar einen Nothaushalt. Die Folge ist, sie müssen sich Geld leihen, um solidarisch sein zu können. Nebenbei sei erwähnt, dass die schwarz-gelbe Landesregierung die Situation zusätzlich verschärft: Sie streicht in ihrem Haushalt und bürdet die Kosten den Menschen vor Ort auf. Wir haben uns in der SPD-Landtagsfraktion intensiv mit dieser Problematik beschäftigt und festgestellt, dass Lasten und Hilfestellungen zwischen den Kommunen in Deutschland gerecht verteilt werden müssen. Bei der Suche nach Lösungen gelten zwei Grundsätze. Erstens: „Bedürftigkeit statt Himmelsrichtung“. Alle Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit und schlechter Finanzkraft brauchen Unterstützung. Wir fordern eine gleiche Behandlung für gleiche Probleme. Eine arme Stadt ist eine arme Stadt, egal ob in Ost- oder in Westdeutschland. Man könnte auch sagen: Was Dresden nicht mehr braucht, muss Gelsenkirchen bekommen. Zweitens: Die Solidaritätsaufwendungen der Kommunen müssen schrittweise zurückgeführt werden. In der jetzigen finanziellen Lage müssen sie entlastet werden. Viele Städte und Gemeinden sind damit überfordert, die vereinbarten Zahlungen zu leisten und können nur mit geliehenem Geld den Aufbau im Osten mitfinanzieren. Um diese Solidarität der Menschen in NRW zu erhalten, ist es wichtig, dass die Solidarlasten neu ausgerichtet werden. West-Städte sollen nicht für Ost-Städte zahlen. Stattdessen müssen die strukturschwachen Kommunen Unterstützung bekommen, egal in welchem Bundesland.
HANNELORE KRAFT