Aufruhr in Wolfs Revier

Kommunen in NRW brechen Abschiebe-Regelung von Innenminister Ingo Wolf: Sie schieben keine Flüchtlinge ab, die Aussicht auf ein Bleiberecht haben. „Wir verstoßen nicht gegen Gesetze“

VON NATALIE WIESMANN

Viele NRW-Städte und Kreise schieben Flüchtlinge mit Aussicht auf ein Bleiberecht derzeit nicht ab. Nur offiziell halten sie sich an einen aktuellen Erlass des Landesinnenministers Ingo Wolf (FDP). Der Erlass sieht keine Grundlage dafür, „die Rückführung langjährig geduldeter Flüchtlinge auszusetzen“. Unter der Hand sagten aber selbst Sprecher von CDU-regierten Kommunen und Kreisen der taz: „Wir legen diese Abschiebefälle erst einmal beiseite.“

Die Stadt Mülheim, die diese Praxis in der taz offen zugab, hatte im Land für Wirbel gesorgt. Um Nachahmereffekte zu vermeiden, stellte das Innenministerium nun per Anordnung klar, es könne in NRW keinen Vorgriff auf ein Bleiberecht geben, das die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) im November mit hoher Wahrscheinlichkeit beschließen werde.

Trotz gegenteiliger Anordnung von oben bleibt Mülheim bei seiner Abschiebepraxis. „Ich berufe mich auf die Aussage der Sprecherin des Innenministeriums: Es sei Sache der Kommunen, wie sie ihre Abschiebungen organisieren“, erklärt Udo Brost, Leiter der Ausländerbehörde. Der Landrat des Kreises Steinfurt drückt sich weniger konkret aus: „Für die Menschen, die möglicherweise von einer solchen Regel profitieren würden, gibt es bereits seit langem eine befriedigende Lösung im Kreis.“

Auch die Stadt Leverkusen schiebt Anwärter auf ein Bleiberecht nicht ab: „Wir verstoßen nicht gegen Gesetze“, verteidigt sich Sozialdezernent Frank Stein (SPD). Denn laut Europäischer Menschenrechtskonvention könne eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, „wenn eine faktische Integration vorliegt“. In Leverkusen werde jeder Fall danach abgeklopft, so Stein.

Im Gegensatz zu NRW haben die Innenchefs von Berlin und Schleswig-Holstein die Abschiebung von Bleiberechtsanwärtern offiziell ausgesetzt. Sie haben die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich: Laut einer Umfrage des Magazins Spiegel von Ende Juli befürworten 68 Prozent ein dauerhaftes Bleiberecht für geduldete Flüchtlinge.

Bei einem Vortreffen im September setzten die Innenchefs bereits Eckpunkte für eine Bleiberechtsregelung fest: Flüchtlingsfamilien mit mehr als sechs Jahren und Alleinstehende mit mehr als acht Jahren Aufenthalt in Deutschland sollen hier bleiben dürfen, wenn sie Sprachkenntnisse nachweisen, straffrei sind und sich ohne Hilfe des Staates selbst finanzieren können. Strittig ist noch, ob die Flüchtlinge bereits eine Arbeit haben müssen, oder ob ihnen Zeit eingeräumt werden soll, einen Job zu finden.

Für „an den Haaren herbeigezogen“ hält Stefan Keßler vom Flüchtlingsrat NRW die Argumentation der Landesregierung, ein Vorgriff auf ein Bleiberecht würde die Betroffenen womöglich in falscher Sicherheit wiegen: „Geduldete Flüchtlinge leben immer von einer Hoffnung zur nächsten“, sagt er. Es sei vielmehr unverantwortlich, Flüchtlinge abzuschieben und dann festzustellen, dass sie hätten bleiben dürfen.