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Archiv-Artikel

Die „Kinder von Blankenese“

Sie hatten das Nazi-Regime überlebt und wurden zwischen 1946 und 1948 im Blankeneser „Weißen Haus“ untergebracht. Später wanderten sie nach Israel, Großbritannien und in die USA aus. Derzeit sind 50 einstige Bewohner in Hamburg zu Besuch

Von Björn Bendig

Es war ein Ort der Zuflucht und ein Hort der Sicherheit in bedrohlichen Zeiten. Heute ist es ein Ort des Gedenkens geworden, an dem Menschen einander wiedertreffen, die auf verschiedene Kontinente verstreut wurden und die hier – so sie mögen – sanft Schichten der Erinnerung abdecken können: Zum zweiten Mal bereits besucht derzeit eine Gruppe der „Kinder von Blankenese“ für eine Woche das Elsa-Brändström-Haus, das zwischen 1946 und 1948 als „Warburg Children‘s Health Home“ oder „Weißes Haus“ Zufluchtsort für über 1.000 jüdische Kinder war. Die meisten der Besucher stammen aus Deutschland und Osteuropa und haben die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt. Der größte Teil von ihnen war im KZ Bergen-Belsen interniert. Wie sie ins „Weiße Haus“ gekommen waren? Die „Jewish Brigade“, ein Teil der britischen Armee, hatte überlebende jüdische Kinder gesucht und sie in verschiedene Einrichtungen gebracht, von wo aus ihre Auswanderung nach Israel organisiert wurde. Einige von ihnen wanderten nach Großbritannien oder in die USA aus.

Das heutige Elsa-Brändström-Haus in Blankenese, das der jüdische Bankier Eric Warburg damals zur Verfügung gestellt hatte, war eins dieser Waisenhäuser. Derzeit sind dort 50 ehemalige Bewohner zu Besuch. „Da sie sich öfter in Israel trafen, haben sie sich schließlich selbst ,Kinder von Blankenese‘ genannt“, erklärt Martin Schmidt, Vorsitzender des Vereins zur Erforschung der Juden in Blankenese.

Erinnern ist der Zweck des Besuchs, doch das fällt einigen schwer. Zu verworren waren die Zeiten, tief ins Unterbewusste gesunken ist manches Detail. „Ich erinnere mich nicht genau, wie ich nach Blankenese kam“, erzählt zum Beispiel Marione Ingram. Die gebürtige Hamburgerin spricht inzwischen mit amerikanischem Akzent. „Während der Nazizeit waren wir bei einer kommunistischen Bauernfamilie versteckt“, berichtet sie.

„Später sollten wir uns an der Moorweide melden“, erklärt sie dann. Das bedeutete den Abtransport in ein Konzentrationslager, das sie mit Glück überlebte. Nach Kriegsende hat ihre Mutter die drei Töchter dann gemeinsam ins „Weiße Haus“ nach Blankenese gegeben. Dort besuchte sie sie regelmäßig. „Es war das erste Mal, dass ich als jüdisches Kind sicher war, nicht mehr beschimpft zu werden“, erinnert sich Ingram. „Es gab Essen und Unterricht – kurz: Geborgenheit“.

„Die Kinder sind hier zivilisiert worden.“ So fasst Margret Johannsen, Expertin für den Nahen- und Mittleren Osten am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik und zweite Vorsitzende des Vereins, die damalige Zeit zusammen.

Außerdem mussten die Heimbewohner auf ihre künftige Heimat vorbereitet werden. Es wurde „Hebräisch und jüdische Geschichte als ideologische Vorbereitung auf Israel und dessen Befreiungskampf unterrichtet“, ergänzt Johannsen.

Marione Ingram verbrachte insgesamt rund zwei Jahre im Elsa-Brändström-Haus. Später ging sie mit ihren Eltern nach New York, versuchte „zu vergessen und in ein anderes Leben zu gehen“. Heute stellt sich die Hamburgerin erstmals seit langem genau diesem Teil ihrer Vergangenheit. Ihre Schwestern, die bis heute in den USA leben, reisen ebenfalls an.

Organisiert wurde der Besuch vom Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Hamburg. Die dafür nötige Finanzierung von 50.000 Euro wurde durch Spenden, Patenschaften, eine Gemäldeversteigerung und die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gewährleistet.

Auch öffentlich wird der Besuch der ehemaligen Bewohner des „Weißen Hauses“ selbstverständlich gewürdigt. Ein Senatsempfang, Gespräche an Schulen in Altona und Blankenese, ein Besuch des KZ Bergen-Belsen sowie die Einweihung einer Gedenktafel im Brändström-Haus sind zum Beispiel geplant.

Marione Ingram ist sehr beeindruckt davon, „dass sich Leute darum kümmern und organisieren“, die dieses Schicksal nicht selbst erlitten.

Diese geben zum Thema auch noch ein Buch heraus, „Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese“, das ab heute im Buchhandel erhältlich ist und tiefere Einblicke in diese Zeit erlaubt. Herausgeber des Bandes ist Itzchak Tadmor

„Ich freue mich sehr, die Leute kennen zu lernen, die sich dazu Gedanken machen“, sagt Marione Ingram. Sie ist gespannt, ob sie während ihres Hamburg-Besuchs wohl frühere „Lehrer und unsere Behüter“ treffen wird.“