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Archiv-Artikel

It was only punk – but I liked it

Tony Parsons, einst selbst Punk-Hero, lässt das heiße Jahr 1977 wieder aufleben: „Als wir unsterblich waren“

Parsons hält die Musik unter Spannung und weint den Emanzipationshoffnungen mehr als eine Träne nach

Tony Parsons hat den Punk herbeigeschrieben mit seinen Reviews, Porträts und Interviews für den New Musical Express. Fast 30 Jahre später legt er ihn nun zu den Akten. Sein autobiografischer Roman „Als wir unsterblich waren“ ist – wenn auch warmherzig und seelenvoll – ein Abgesang. Er beschreibt den Zeitpunkt, als Punk seine Unschuld verlor, als das kleine, familiäre Underground-Ding an die Industrie fiel und der Welt als neue Mode verkauft wurde. Und Tony Parsons kann diesen Zeitpunkt genau lokalisieren – es war der 16. August 1977, die Nacht, als Elvis starb.

Seine drei Protagonisten Terry, Leon und Ray, fast noch adoleszente, aber drogistisch schon ausgewiesene Rockschreiber für das fiktive Musikmagazin The Paper, dem offenbar der NME Pate stand, hetzen durch diese regnerische Nacht, in der sie erwachsen werden. Terry hat wohl die meisten autobiografischen Anteile Parsons abbekommen – ihm bleibt es vorbehalten, den Niedergang der Bewegung zu konstatieren, indem er sie noch einmal sehnsüchtig wiederaufleben lässt: „Man hatte den Eindruck, dass jeder ein Musiker, Journalist, Fotograf, Bandmanager, Modedesigner war – oder es zumindest sein wollte, auf der Suche nach einem Fluchtweg aus dem alten Leben und der lähmenden Normalität … Was die erste Zeit so perfekt machte, dachte Terry, war, dass sie sich allesamt als Teil einer Sache fühlten – was immer diese Sache auch war.“

Es geht hier aber eben nicht nur um die Musik und Punkkultur. Indem Parsons drei Geschichten nebeneinanderher erzählt, die sich immer wieder kreuzen, hält er seine Punk-Introspektive nicht nur schön unter Spannung, sondern schafft auch Raum, um die damit verbundenen persönlichen, aber eben auch gesellschaftspolitischen Emanzipationshoffnungen darzustellen. Dafür sind dann die anderen beiden zuständig. Ray gelingt immerhin die Abnabelung von seinem tyrannisch-virilen Polizistenvater. Leon hingegen, der von sozialen Veränderungen träumt, scheitert. Die innenpolitischen Konflikte im England des Sommers 1977 werden eben nicht durch die Werktätigen auf der Straße entschieden, sondern politisch – durch das sich ankündigende eiserne Thatcher-Regiment.

Weil Parsons das jugendliche Rockschreiber-Triumvirat auch im Kontext ihrer Familien beschreibt, liefert der Roman zudem ein Panorama der englischen Gesellschaft: Plebejertum unterschiedlicher Couleur (Terry und seine Freundin Misty), reaktionäres Kleinbürgermilieu (Ray) und liberales Bildungsbürgertum (Leon) – alles da! Dreh- und Angelpunkt ist aber die Redaktion von The Paper, hier haben die drei Hauptfiguren ihr eigentliches Zuhause, denn hier wartet – neben dem väterlich-strengen Chefredakteur – ihr aller Idol auf sie: Skip Jones, das manische, linkshändige Kritikergenie, das Orakel, das die Reaktionsräume kaum einmal zu verlassen scheint. Ähnlich wie Lester Bangs in Cameron Crowes Rock-Hommage „Almost Famous“ ist dieser altersweise Rockkritiker der heimliche Held des Romans. Ein „Rock-’n’-Roll-Heiliger“ mit einem ziemlichen Hau ins Tragische. Am Ende hat er einen Herzinfarkt – mit 25!

Mit Skip glaubt Parsons auch noch die Perspektive des desillusionierten Veteranen einnehmen zu dürfen. „Rock ’n’ Roll wandelt sich gerade zu einer Museumskultur … Nachdem Miles Davis und Picasso kamen und gingen – oder Elvis und Dylan –, was bleibt einem noch zu sagen?“ Das will nicht so recht passen zu diesem verrückten Kaputtnick – hier spricht einer, der ist mindestens doppelt so alt wie Skip. Der junge Parsons hätte ihm für so einen reaktionären Mist mindestens die Faust unter die Nase gehalten.

„Als wir unsterblich waren“ ist ein bisschen zu künstlich, zu offensichtlich dramaturgisch zugespitzt. Was da alles in dieser einer Nacht quasi gleichzeitig passiert, die Parsons dann auch noch durch den Tod des King symbolisch überhöht – das hat schon etwas Kolportagehaftes. Aber Parsons liefert so eben auch ein buntscheckiges, ruppiges Porträt der Zeit und eine ganz wundervolle Illustration dieses hippen Gefühls, das einerseits ganz individuell ist und das doch jede Generation so ähnlich durchlebt. FRANK SCHÄFER

Tony Parsons: „Als wir unsterblich waren“. Aus dem Englischen von Christian Seidl. Blumenbar Verlag, München 2006, 430 Seiten, 19,90 Euro