: Das Prinzip Unterhaltung
Mit dem Science-Fiction-Klassiker „Fahrenheit 451“ gibt Florian Fiedler am Frankfurter Schauspiel seinen Einstand als Nachfolger von Armin Petras
Die USA sind ein Land der langen Listen, auf denen man nicht stehen möchte. Das gilt für Terroristenlisten, aber auch für die Schwarzliste indexierter Bücher, mit der die American Library Association alljährlich zur „Banned Books Week“ im Herbst Alarm schlägt, weil wieder einmal vielen Werken die Ächtung in Schul-, Stadt- und Collegebibliotheken droht. In Frankfurt geht es Büchern bekanntermaßen gut, mit Hingabe pflegen dort nicht wenige wichtige Verlage das druckerzeugte Kulturgut und statt düsterer Listeneinträge zelebriert man dieser Tage das größte Happening der Zunft. Das sind jede Menge Bezugspunkte, möchte man meinen, für Florian Fiedler, der in der Frankfurter Schmidtstraße, einer Außenstelle des Schauspiels, jetzt den Klassiker aller Buchbedrohungsszenarien, Ray Bradburys „Fahrenheit 451“, inszeniert hat.
Doch Fiedler hat keine Lust auf den großen Zeigefinger. Die Idee einer futuristischen Gesellschaft, in der Bücher verboten sind und eine Diktatur der Fernsehberieselung herrscht, um den Menschen das Denken abzugewöhnen, hat Fiedler in eine beschwingte Vergangenheit transponiert. Seine Schauspieler sind möglicherweise in den 60ern oder 70ern hängen geblieben, wenn man den Anzügen und den Frisuren glauben darf. Warhols „Campbell’s Soup“ hängt als bedruckter Vorhang im Raum und die Trainingsroutine der Feuerwehrleute, die Brände nicht löschen, sondern legen, ist eine Choreografie im Stil von „Saturday Night Fever“.
Schlaksiger Chefanimateur der Truppe ist Martin Butzke, der den zweifelnden Feuerwehrmann Guy Montag als schnittigen Schwiegermuttertraum gibt. Sein Gegenpart ist Aljoscha Stadelmanns Feuerwehrhauptmann, der mit Pornoschnauzer und Cordjackett wunderbar schmierig die Grübeleien von Montag pariert. Sinnsuchend irrt dieser durch die Bühnenlandschaft des niederländischen Installationskünstlers Joep van Lieshout wie durch ein LSD-erweitertes Unterbewusstsein, in dem ihm blasse Mädchen mit übergroßen Pappköpfen (Anne Müller), videoverzerrte Geisterhunde, verrückte alte Buchliebhaber (Heiner Stadelmann) und gelegentlich seine abgestumpfte Ehefrau Mildred (Nadja Dankers) begegnen. Fernsehspots versprechen dazu die sanfte Gleichschaltung dank eingetragener Markenzeichen wie ReinesGlück® und EwigeSchönheit®.
Die Weichspülung hat Methode. Fiedler streichelt Bradburys abgründiges Szenario gehörig gegen den Strich, indem er allen Erwartungshaltungen zum Trotz nicht Büchermord und Überwachungsstaat vorführt, sondern Melodram, Soap Opera und Slapstick anbietet. Der 29-jährige Regisseur gibt mit „Fahrenheit 451“ seinen Einstand als neuer Leiter der Schmidtstraße, die er von Armin Petras übernommen hat, der nun am Berliner Gorki-Theater amtiert. Anders als Petras aber, der sich an Bradburys Stoff ganz gewiss lustvoll die Finger verbrannt und nicht mit Lokalanspielungen gegeizt hätte, lässt Fiedler freundlich und leider ausgesprochen feuerfest aufspielen. Zwar verkohlt im groß projizierten Fernsehkaminfeuer das Suhrkamp-Heftchen von Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ – und damit auch das gleich betitelte Spielzeitmotto der Schmidtstraße. Aber dieses Purgatorium bleibt virtuell und kalt. Die Bedrohlichkeit ist abgestellt, keiner muss um geliebte Druckerzeugnisse fürchten.
Eigentlich zeigt sich auch nur ein Buch dauerhaft in der Inszenierung: Bradburys Roman eben, im Taschenbuchformat. Fiedler hat die Bühnenfassung, die der Autor erst über 30 Jahre nach seinem Roman geschrieben hat, mit Passagen aus dem Original von 1953 verschnitten. Und dieses Werk wird nun als Stück im Stück herbeizitiert, indem er das Naheliegendste versucht: Die Schauspieler lesen es vor.
Was anfänglich noch gut als epische Verfremdung funktioniert, erschöpft sich bald in der stolpernden Leseunlust der Akteure. So lässt sich Sinnlichkeit auch löschen. 451° Fahrenheit alias 232.78° Celsius ist die Temperatur, bei der Papier Feuer fängt. Aber Brände legt hier niemand, nur der Spannungsbogen glüht schon vor dem Funkenflug aus. Wie sehr hätte man dem Thema eine etwas mutigere Pyrotechnik gewünscht. KRISTIN BECKER