: Die Magie von Zehnminütern
TANZ Das Festival „Lucky Trimmer“ wird 10 Jahre alt und feiert sein Jubiläum mit einer Best-of-Ausgabe. Für sein Programm aus Kurzstücken gibt es keine Förderung, den Organisatoren bietet es aber große Freiheit
Die Performancereihe Lucky Trimmer feiert 10. Geburtstag. Im Programm sind Stücke, die maximal 10 Minuten dauern dürfen, in dieser Zeit aber einen dramaturgischen Spannungsbogen erzeugen müssen. Ihr Jubiläum begehen die Macher mit einer Best-of-Ausgabe, einer Auswahl besonderer Lucky-Momente wie der Macho-Parodie „Das Röhren der Hirsche“ oder der Apfelkuchen-Tragödie „Bernadette“.
■ Lucky Trimmer: Sophiensaele, 5. 4., 20 Uhr, 6. 4., 17 + 20 Uhr, 15/10 €, www.luckytrimmer.com
VON ANNETT JAENSCH
Zahlenmystiker sind die Macher der Performancereihe Lucky Trimmer zwar nicht, aber mit der Zehn verbindet sie dennoch eine Menge. Immerhin sind Kurzstücke über zehn Minuten ihr Markenzeichen und aktuell kann das Berliner Format zehn Jahre bewegte Geschichte feiern. Grund genug also für eine rauschende Best-of-Ausgabe und einen Blick zurück.
Angefangen hat alles im Jahr 2004, aus dem Gefühl heraus, eine Lücke füllen zu wollen. Tänzer und Choreograf Clint Lutes, als Absolvent der Tisch School of the Arts gerade frisch aus New York gekommen, stellt schnell fest: Die Berliner Kunstszene vibriert, an leicht zugänglichen Aufführungsmöglichkeiten für Tänzer mangelt es jedoch.
Zusammen mit Mimi Messner, ebenfalls Tänzerin, und Dr. Uwe Kästner, Kurator und Konzeptentwickler, formt sich ein Plan. „Wir wollten ein Format schaffen, wo Ideen sprudeln“, erinnert sich Kästner. Warum also nicht selbst etwas auf die Beine stellen, das auch die Berliner Unterhaltungstradition atmet. Die goldenen Zwanziger mit ihrem Kabarettflair schwebten den Gründungsmitgliedern dabei vor. Vorbild war zudem die New Yorker Show „Danceoff!“, die ein Forum für die dortige freie Szene bildet.
Die erste Ausgabe von Lucky Trimmer – amüsanterweise nach einem Fitnessgerät benannt – findet im Februar 2004 im Tacheles statt. Von Beginn an legt das Team Wert auf lockere Genregrenzen. Erlaubt ist, was sich mit Bewegung und Körperlichkeit auseinandersetzt. So spannt sich der Bogen von zeitgenössischem Tanz über Körpertheater, Musik, Akrobatik, Installation bis zu Clownerie nebst skurrilen Mischformen. Krachend Komisches darf neben Ernstem blühen.
„Es ist einfach ein tolles Potpourri, das leicht zugänglich für das Publikum ist. Da ist für jeden etwas dabei“, schwärmt Caroline Finn, die beim Best-of noch einmal ihr Stück „Bernadette“ zeigen wird. Genau dieses Leichte und Durchlässige verfängt beim Publikum und lockt auch tanzferne Theatergänger an, was die ausverkauften Vorstellungen beweisen.
Auch für die Künstler ist das zweimal im Jahr stattfindende Festival eine ungemein attraktive Plattform. „Die Zahl der Bewerbungen zeigt, wie viele Künstler danach hungern, eine Auftrittsmöglichkeit zu bekommen“, weiß Uwe Kästner zu berichten. 300 Videos gehen im Durchschnitt vor jeder Ausgabe ein. Für die Juryarbeit holt man sich regelmäßig befreundete Choreografen und Tänzer ins Boot.
Leicht muss nicht seicht bedeuten. Ein zusammenhängendes Kunstwerk sei das Ziel, jedes Stück müsse Hand und Fuß haben, dramaturgisch einen Spannungsbogen erzeugen. Die Ansprüche in Sachen Originalität und Professionalität schätzen die Künstler wiederum als kreative Herausforderung. „Es ist spannend, in zehn Minuten ein Stück auf den Punkt zu bringen. Man kann aus einem Thema die Highlights herausholen“, findet Simon Hartmann, der in „Das Röhren der Hirsche“ zu sehen sein wird.
Die Geschichte von Lucky Trimmer wirft vor allem ein Schlaglicht auf die freie Szene in Berlin. Umtriebig und erfindungsreich auf den Mangel reagieren, das gehört in Berlin irgendwie dazu. Bis heute arbeiten die Organisatoren, die alle im Hauptberuf anderen Tätigkeiten nachgehen, ehrenamtlich. Das Programm finanziert sich komplett aus Sponsorengeldern und den Ticketeinnahmen. Förderanträge wurden bisher immer negativ beschieden, weil es für dieses Festivalformat einfach keinen passenden Fördertopf gibt.
Geburtstagskuchen für alle
Das eigenständige Modell begreife man aber auch als große Freiheit, betont Kästner. Selbst das jahrelange Nomadentum klingt in der Rückschau mehr nach Bereicherung als nach Bürde. Nach dem Wegfall des Tacheles als Spielstätte im Jahr 2009 waren der Prater, die Volksbühne und das Maxim Gorki Theater Zwischenlösungen, bevor die Sophiensäle 2012 festes Zuhause wurden.
Pläne für die Zukunft? Natürlich reichlich. Die Performance-Aktivisten stricken an Begegnungsmöglichkeiten für Künstler und Veranstalter in Form von Events wie Lucky Summit oder Lucky Thinking. Außerdem wird mit der Novemberausgabe „The Wall“ zum ersten Mal ein thematischer Rahmen gesetzt. Passend zu 25 Jahren Mauerfall ist künstlerischer Input zum Thema Grenzen gefragt.
Aber erst mal steht die Geburtstagssause vor der Tür. Freuen kann man sich auf: eine Testosteronparodie um drei schmalbrüstige Machos, einen äußerst charaktervollen Fuß, furioses Chaosmanagement auf dem Küchentisch, einen Beatles-Song mit Überraschungen, mitreißende Backpfeifen, den durchschlagenden Charme von Spannbettlaken und natürlich Geburtstagskuchen für alle.