: Schlechte Pläne für den GAU
ATOM I Grüne und Umweltschützer kritisieren mangelhafte Katastrophenschutzpläne für das hessische AKW Biblis. Im Ernstfall müsste bei Südwestwind sogar Berlin evakuiert werden
URSULA HAMMANN, GRÜNE
AUS WIESBADEN KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Sie leben etwa in Berlin und glauben, dass Ihnen nichts geschehen kann, wenn im südhessischen Atomkraftwerk Biblis, fast 600 Kilometer von der Kapitale der Republik entfernt, tatsächlich einmal „etwas passieren“ sollte? Das stimmt auch im Prinzip. Nur dann nicht, wenn der Wind aus Südwest weht. Das aber ist ziemlich häufig der Fall. Am Flughafen Frankfurt/Main etwa kommen 13 Prozent aller Winde direkt aus Südwest; rund ein Drittel aller Winde kommt aus südwestlichen Richtungen, also von Westsüdwest bis Südsüdwest. Nach den Berechnungen des Freiburger Öko-Instituts jedenfalls müsste bei Südwestwind nach einem GAU in Biblis auch Berlin evakuiert werden, denn die freigesetzte Radioaktivität breite sich „bei neutraler bis leichter Luftturbulenz“ bis weit nach Polen hinein aus.
In der aktuellen Notfallbroschüre des Biblis-Betreibers, des Energiekonzerns RWE, aber finden die in einer Studie schon vor zwei Jahren veröffentlichten Erkenntnisse der alternativen Wissenschaftler keine Berücksichtigung. Für die Betreibergesellschaft der extrem störanfälligen Blöcke A und B des AKW Biblis macht die nach einem eventuellen GAU aus einem zerstörten Reaktor austretende radioaktive Wolke – egal woher der Wind weht – nämlich schon in einem Radius von nur 10 Kilometern rund um das Kraftwerk halt.
Tatsächlich beabsichtigen RWE, das hessische Innenministerium und die lokalen Behörden im Falle eines Falles, nur die Menschen in den wenigen Dörfern in diesem Umkreis zu evakuieren. Schon die Einwohner der nächsten größeren Städte wie Darmstadt, Mannheim, Worms oder Rüsselsheim sollen bei einem GAU daheim bleiben, Fenster und Türen schließen und fleißig Jodtabletten schlucken, die im Ernstfall die Einlagerung von radioaktivem Jod blockieren und so Schilddrüsenkrebs verhindern sollen.
Der hessische Landesverband der Umweltorganisation BUND hat jetzt die Notfallpläne des AKW Biblis untersucht. „Die Versorgung der Bevölkerung mit Jodtabletten ist unzureichend“, sagte BUND-Energieexperte Werner Neumann am Donnerstag in Wiesbaden. „Es ist ungewiss, ob die betroffenen Gebiete rechtzeitig und flächendeckend versorgt werden können.“ Zudem seien nur wenige Krankenhäuser in Hessen bereit, Strahlenpatienten aufzunehmen. Die hessische Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) sprach danach von „falschen Behauptungen“ des BUND.
Die hessische Grünen-Energieexpertin Ursula Hammann erhob ebenfalls Vorwürfe gegen die Ernstfallpläne. Bei einer Katastrophenschutzübung, an der sie teilnahm, habe der „Panikfaktor“ keine Rolle gespielt. Im Ernstfall aber würden „höllische Zustände“ herrschen. Und in den umliegenden Städten würden alle versuchen, mit ihren Autos dem radioaktiven Fallout zu entkommen. „Sicherheit garantiert nur eines: die sofortige Abschaltung von Biblis.“