: Drinnen wie draußen
Der Blick von innen auf die Fußballnationalmannschaft unterscheidet sich verblüffend wenig von der bisherigen Berichterstattung
VON BARBARA SCHWEIZERHOF
Um zu erklären, was es mit diesen Film auf sich hat, braucht es nur einen Satz: Sönke Wortmann war mit in der Kabine! Eine schönere Tagline hätte sich keine Werbeagentur ausdenken können. Und weil Wortmann die Kamera dabei hatte, in all den Wochen in der Kabine, verspricht sein Film uns endlich alle mit hinein zu nehmen. Als wolle er sogleich mit der Einlösung dieses Versprechens beginnen, setzt „Deutschland. Ein Sommermärchen“ auch prompt mit einer Kabinenszene ein: 4. Juli, Deutschland hat soeben im Halbfinale gegen Italien verloren. Es herrscht das große enttäuschte Schweigen. Die Kamera fängt verschwitzte Leiber, gesenkte Köpfe und leere Blicke ein. Genauso so hatten wir uns das vorgestellt. Und irgendwie, auf eine schleichende, untergründige Art ist genau das eine ziemliche Enttäuschung: im Film nur wiederholt zu sehen, was wir uns bereits vorgestellt haben.
Liegt es daran, dass es während der WM schon so viele Kurzfeatures und Berichte gab? Dass man die Betreuer, Masseure und Stollenschrauber, die Wortmann vor seine Kamera bringt, alle schon mal gehört zu haben meint? Dass man die wichtigsten Anekdoten aus Kabine und Mannschaftsbus längst kennt, weil auf den Pressekonferenzen ja auch ständig danach gefragt wurde?
Der Blick von innen, von ganz nah dabei, den Wortmann seinen Zuschauern verschaffen will, unterscheidet sich jedenfalls verblüffend wenig von der bisherigen Berichterstattung von außen. Es so zu halten, war zum Teil Absicht: Wortmann wollte nichts Abseitiges beobachten, keine unbekannte Seite zeigen, schon gar nichts entlarven. Bei „Deutschland. Ein Sommermärchen“ – hier ist der Titel mit seiner Heine-Opposition etwas dümmlich programmatisch – handelt es sich um ein ganz und gar affirmatives Projekt. Nicht, dass dagegen was zu sagen wäre.
Kahn, Lehmann, Lahm – sie sind hier also genauso, wie man sie kennt. Wortmann filmt die Spieler bei Interview-Sequenzen immer auf deren Betten. Das wirkt sehr intim. So intim, dass man eigentlich froh ist, dass hier gar nichts Intimes verhandelt wird, sondern Kahn, Lehmann, Lahm sich so geben, wie sie das immer tun: als ehrliche Sportler, geübt darin, charmant-dilettantisch Nachdenkliches zu äußern. Wie überhaupt sich im Lauf des Films herausstellt, dass das mit der Nähe, mit dem „dabei in der Kabine sein“ schwer überschätzt wird. Neuville, der Schwierigkeiten hat, für die Urinprobe in Anwesenheit von Funktionären zu pinkeln; Klose in den Händen einer ahnungslosen Friseuse; die Aufnahmen aus der „Poldi-“ und der „Schweinicam“ – an vielen Stellen wünscht man sich eher mehr Distanz als so viel ereignislose Intimität. So auch bei Klinsmanns Kabinen-Ansprachen: Die Ausschnitte, die Wortmann zeigt, sind oft von miserabler Tonqualität, sodass Klinsmanns Euphorisierungsfalsett noch peinlicher klingt als er sowieso schon ist.
Jeder Sportfilm aus Hollywood gesteht seinem Coach eine ordentliche Rede vor der Mannschaft zu, samt rhetorischer Aufbaukurve vom trockenen Anfang bis zum Kampfgebrüll-Ende. So viel Zeit mag sich Wortmann in seinem „Sommermärchen“ nie nehmen; er schneidet lieber gleich zu den Höhepunkten. „Die sind fällig!“ und, schon jetzt legendär, „Denen geben wir eins auf die Fresse!“, hört man Klinsmann den Spielern zurufen, aber bevor man sich dafür interessieren kann, dass dieser Mann selbst bei martialischem Geschrei noch ungeheuer sanft wirkt, hat Wortmann schon wieder weggeschnitten.
Auch das ist so enttäuschend wie verwunderlich: Als treibe ihn die typische Angst der Fernsehdokumentaristen vor der Langeweile des Zuschauers, getraut sich Wortmann nie zu verweilen, geschweige denn zu insistieren. Alles Mögliche wird angerissen, und nichts weiter verfolgt. So gelingt dem Film, der nach der Eröffnung mit der Halbfinalniederlage zurück an den Anfang des Turniers schneidet, auch kein Spannungsaufbau. Vom Sieg über Costa Rica bis zum Abschied auf der Berliner Fanmeile plätschert die Dokumentation so dahin mit ihren Szenchen aus dem laufenden Betrieb. Zwischendurch werden die Tore aus den Spielen gezeigt, mehr nicht. Was innerhalb der Mannschaft, des gesamten Teams in dieser Zeit passiert, dafür findet der Film weder Bilder noch Szenen. Selbst als pure Memorabilie an die schöne Zeit funktioniert dieses „Sommermärchen“ deshalb kaum so gut wie der übliche „Sportschau“-Zusammenschnitt mit seinen Zeitlupen und dem Torjubel.
In manchen raren Momenten scheint auf, was das hätte für ein Film werden können. Da gibt es dieses Grinsen von Angela Merkel, als sie Lehmann vom Erziehungsgeld für Väter erzählt: „Obergrenze 1.800 Euro, ich weiß ja nicht, ob das für Sie interessant ist.“ Oder den Wangenkuss, auf den der wenig zimperliche Materazzi besteht, als er mit Ballack nach dem Halbfinale das T-Shirt tauscht. Aber leider wechselt Wortmann nur für kurze Augenblicke von seiner Intimfreund-Perspektive zu der eines neutralen Beobachters. Ganz offensichtlich wollte er seinen Film pünktlich zum deutschen Nationalfeiertag herausbringen, was vielleicht doch ein Stück Affirmation zu viel ist, oder?