: Aufklärung mit Personenschutz
KRIMINALITÄT Roberto Saviano, Autor des Anti-Mafia-Welterfolgs „Gomorrha“, eröffnete den sechsten Italienischen Theaterherbst in der Volksbühne. Die Bodyguards neben der Bühne hatten währenddessen das Publikum im Blick
VON TIM CASPAR BOEHME
Er sieht älter aus als 31. Neben dem schütteren Haar sind es die dunklen Ringe unter den Augen, mit denen er freundlich und leicht abgeklärt ins Publikum schaut. Bei Roberto Saviano überrascht das leider kaum. Seit dem Erscheinen seines Welterfolgs „Gomorrha“, in dem der in Neapel geborene Autor ausführlich Wirken und Einfluss der Mafia schildert, kann er sich öffentlich nur mit Leibwächtern bewegen und muss alle paar Tage seinen Aufenthalt wechseln. Als er am Donnerstag zur Eröffnung des sechsten Italienischen Theaterherbstes in der Volksbühne auftritt, stehen die Leibwächter diskret an den Ausgängen und neben der Bühne. „Das Theater ist für mich die geeignete Begegnungsstätte“, sagt er zur Begrüßung. „Ansonsten kann ich nicht mehr viele Menschen treffen.“
Savianos frei gesprochener Monolog „La bellezza e l’inferno“, eine Produktion des Piccolo Teatro di Milano unter der Regie von Serena Sinigaglia, variiert einige Themen seines jüngsten Buchs „Die Schönheit und die Hölle“, auf Deutsch vor Kurzem bei Suhrkamp erschienen. Obwohl der Autor in erster Linie durch seine gründliche Recherche der Machenschaften der Camorra bekannt geworden ist, geht es an diesem Abend nur am Rand um die organisierte Kriminalität. Stattdessen spricht Saviano viel über berühmte Persönlichkeiten, deren Schicksal ihn bewegt hat, den nigerianischen Schriftsteller Ken Saro-Wiwa zum Beispiel oder den Pianisten Michel Petrucciani, aber auch über die AK-47 von Kalaschnikow, das „größte und stärkste Massenvernichtungsmittel der Welt“, von dem er ein versiegeltes Exemplar zu Demonstrationszwecken ins Publikum reicht.
Die Zuschauer erfahren nicht nur, dass der Designer Philippe Starck eine (sehr teure) Lampe in Form einer AK-47 kreierte, sondern auch, dass die Mafiosi der sizilianischen Cosa Nostra die Ersten waren, die die Waffe des russischen Konstrukteurs im Westen erprobten und für gut befanden. Von der deutschen Mafia hört man an diesem Abend hingegen kaum. Das Massaker der ’Ndrangheta in Duisburg von 2007 erwähnt Saviano lediglich mit dem Hinweis, dass es keine öffentlichen Proteste gegen die Morde gab.
Dabei ist Saviano durchaus bewusst, dass die Mafia auch hierzulande längst Fuß gefasst hat. Wie er in Interviews zu „Gomorrha“ wiederholt betonte, betrachte sie Deutschland ganz eindeutig als ihr Gebiet. Stuttgart gehört zu ihren Hochburgen, Rostock spielt eine zentrale Rolle im internationalen Kokainhandel. Dort laufen Schiffe ein, die eigens für den Schmuggel gebaut wurden. Das Kokain wird in Zwischenwände eingeschweißt, sodass man das Schiff komplett verschrotten muss, um an die „Ware“ zu gelangen, angesichts der Gewinnspanne immer noch ein lukratives Verfahren.
Wie man sich gegen die Machenschaften der Mafia zur Wehr setzen kann, schilderte Saviano am Beispiel der afrikanischen Migranten in Castel Volturno, einer Stadt, die zu großen Teilen aus Schwarzbauten besteht. Als es in der weitgehend von Migranten bewohnten Stadt, in der sich mittlerweile eine nigerianische Drogenmafia etablieren konnte, zu Morden durch die Camorra an afrikanischen Zivilisten kommt, gehen die Migranten im großen Stil auf die Straße, errichten Blockaden. Die erste Anti-Mafia-Revolte sei so von den Afrikanern auf den Weg gebracht worden, nicht von seinen Landsleuten. Saviano schließt den Bericht aus Castel Volturno denn auch mit dem Appell: „Liebe Migranten, lasst uns mit den Italienern nicht allein!“
Wenn Saviano bei seinem Thema bleibt, ist er eindeutig am stärksten. Sein Bekenntnis zu Wahrheit, Schönheit und dem guten Leben, die „immer gegen die Hölle, gegen die Macht“ stünden, mag naiv anmuten, seine Erinnerungen an Personen wie Miriam Makeba, die nach einem Solidaritätskonzert in Castel Volturno starb, oder sein Bericht über den Werdegang des Fußballers Lionel Messi haben etwas vom Pathos des heroischen Einzelkämpfers. Doch ganz gleich, wovon er spricht, man kommt nicht umhin, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, wer da vor einem steht: ein Mensch, dessen Wille zur Aufklärung ihn sein Leben in Freiheit gekostet hat. Sein Glaube an die Wahrheit ist daher nicht bloß seinem Idealismus und einer Hoffnung auf den Sieg des Guten geschuldet, sondern dieser Glaube ist es auch, der ihn an seinem einsamen Schreibtisch weiterarbeiten lässt.
Es hatte daher auch nichts Kitschiges, als Saviano – in Abwandlung des Kennedy-Ausspruchs „Ich bin ein Berliner“ – den Wunsch äußerte, ein Deutscher möge eines Tages den gleichen Freiheitsgedanken zum Ausdruck bringen können, wenn er sagt: „Ich bin ein Italiener.“
■ Roberto Saviano: „Die Schönheit und die Hölle“ (Suhrkamp). Italienischer Theaterherbst, 21. Oktober bis 7. November, www.teatrotheater.de