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Archiv-Artikel

Kartograph mit Nasenbluten

aufgezeichnet werden, bevor es verschwindet. Doch je mehr Informationen dazukommen, umso schneller wird der Text

VON ANNE HERRBERG

„Auf Power schalten. Den roten Knopf drücken. Den roten Knopf gedrückt lassen. Den LCD ausklappen. Das Bild auf dem LCD abwarten. Wie es sich aufhellt, wie es sich abdunkelt. Dazwischen, verschwommen, Konturen. Das Bild im Mutterleib. Vielleicht haben wir unsere Worte da schon. Vielleicht ist die Welt da schon klein.“ Anfangssätze aus „Drei Herzen“, dem ersten Roman von Jörg Albrecht.

Der Dortmunder Jungautor sitzt in der Küche auf einem Breitkordsofa, trinkt Sojakakao und redet von Material und Bezügen: „Textfetzen, Zitate, Musik – alles ist Material. Aber das steht dann erstmal für sich und häuft sich so an. Da muss man eben gucken, was sich für Bezüge ergeben. Und irgendwann einen großen ‚Bettbezug‘ drüberziehen, damit alles zusammenpasst.“

Im Fall des Romans war der Bettbezug eine Passage aus einer Zeitschrift: „Der Plattenspieler als elektronischer Muttermund“. Daraus entstand die Idee, Elektronik mit Körpern und Nervensystem zu verbinden und das Material so zu einem Roman zu strukturieren. Der jetzt im Wallstein-Verlag erschienen ist, mit dem der erst 25 Jahre alte Autor auf der Frankfurter Buchmesse auftreten wird und den Ijoma Mangold in der Süddeutschen Zeitung als „Parforceritt durch Geschichte und Gegenwart, durch Realität und ihre Spiegelungen“ bezeichnete: „oberflächenversessen und tiefenscharf“. Das Telefon klingelt. Oder besser: eines der drei Telefone, die sich, neben ISDN-Anlage, Anrufbeantworter, Router und meterweise Kabel auf einem kleinen 70er Jahre-Plastiktisch die Zentimeter streitig machen. Ein potenzieller Nachmieter ist dran, denn Jörg Albrecht zieht um, von Dortmund nach Berlin, „weil da die Kulturszene eben doch ein bisschen interessanter ist“. Deshalb steht die kleine Dachgeschosswohnung im Dortmunder Norden voller Kartons. Tonnenweise Bücher sind drin (Rolf Brinckmann, Gilles Deleuze, Gertrude Stein), Videos (David Lynch, Truffaut, Jelinek-Inszenierungen), Platten (Tocotronic, Patrick Wolf, Weezer) und Turnschuhe (mit drei Streifen und geschwungenen Streifen). Nur das weiße I-Book ist noch nicht eingepackt.

Jörg Albrecht, 1981 in Bonn geboren, dann nach Dortmund gezogen, schreibt Geschichten, Theater und Hörspiele. Seit zehn Jahren inszeniert er Kinder- und Erwachsenenstücke, erst an der Dortmunder Naturbühne, dann auch am jungen Schauspiel Bochum. Zahlreiche Preise und Stipendien hat er inzwischen gewonnen, darunter den zweiten Platz beim „13. open mike“ in Berlin, dem wichtigsten deutschen Wettbewerb für Nachwuchsautoren. Da las er gleich doppelt: Seine Stimme, monoton stakkatoartig, kam sowohl live von der Bühne als auch von Band, das ihm in einem Kinderkassettenrekorder um den Hals hing. Medien – Kameras, Kopierer, Computer und Sprache überhaupt – spielen in Jörg Albrechts Texten die Hauptrolle. Wer nach klassischen Erzählstrukturen oder einfühlsamen Charakterportraits sucht, wird enttäuscht. Aber die Kritiker riefen „Juhuu“, endlich mal einer, der uns nicht mit Vornamen und persönlichen Leidensgeschichten nervt, einer, der sich traut, anders zu sein.

Ist Jörg Albrecht wirklich so anders? Rechteckige Brille, selbst bedrucktes T-Shirt, raucht nicht, trinkt höchstens mal ein Vitamalz und ist, laut dem einzigen Kochbuch in der Wohnung, „fleischlos glücklich“. Jörg Albrecht studierte Komparatistik, Literaturwissenschaft, Theater und Geschichte in Bochum und Wien. Die Magisterarbeit hat er gerade in einer Woche runter geschrieben. „Die musste jetzt einfach weg.“ Ein verhaltenes Lächeln: „Ich hab‘ lange genug studiert und will jetzt mit der Promotion anfangen.“ Ach so.

Ein Workaholic-Wunderkind? Spurensuche in der Familie. Die Eltern: Chirurg und Lehrerin; die Geschwister: Anwalt, Apotheker und Nordamerikastudien-Studentin. Bücher schreibt hier sonst niemand, aber gelesen wurde viel. Fotografiert auch und Super 8-Filme geschaut. „Ich weiß noch, wie wir immer gelacht haben beim Zurückspulen“, erzählt Jörg Albrecht, „wenn auf der Leinwand alle rückwärts gelaufen und gesprochen haben.“

Auch seine Texte sind ein bisschen wie Filme, in denen hin- und hergespult wird. Der Roman „Drei Herzen“ stöbert durch das Rohmaterial dreier Generationen, tastet die Oberflächen ab, alles muss aufgezeichnet werden, bevor es verschwindet. Doch je mehr Aufzeichnungsgeräte, je mehr Informationen dazukommen, umso schneller, verschachtelter und vieldeutiger wird der Text. Und umso häufiger fällt etwas aus – Bildschirme beispielsweise – oder bricht etwas aus, Blut aus der Nase zum Beispiel. Textzitat: „Bluthochdruck, sagt mein Vater, Virusinfektion, Gerinnungsstörung, genetisch bedingte Gefäßerkrankung, aber das kann es alles nicht sein.“ Was also steckt dann hinter dem Nasenbluten? “Ach, das ist mein roter Faden...“ Jörg Albrecht grinst, seine Nasenspitze zuckt ein wenig.

Der Roman „Drei Herzen“ stöbert durch das Rohmaterial dreier Generationen, tastet die Oberflächen ab, alles muss...

„Die Texte sind kein Protokoll meiner Gegenwart“, betont er, „aber was mich anfixt, das kommt halt rein.“ Und so kartografieren die Texte eben doch irgendwie Gegenwart. Stellen Versatzstücke nebeneinander, schlittern durch Diskurse, ohne zu kommentieren. Und sind genau dadurch aktueller, politischer als jede noch so penible Gesellschaftsstudie. „Ich finde, wenn man schon erzählt, muss man das auch so komplex machen, wie die Gegenwart eben ist.“

In einem von Jörg Albrechts Theaterstücken liefern sich die „drei ???“ und die „fünf Freunde“ ein Computerbattle, ständig springt der Text zwischen deutsch und englisch hin und her, ständig droht ein „Game Over“. In einem anderem, das nun beim Wochenende junger Dramatiker in München aufgeführt wurde, geistern Fantomas, Dr. Mabuse und Ulrike Meinhof durch die Sätze. Letztere verlangt ihr unter Verschluss gehaltenes Gehirn zurück. Erreicht damit aber vor allem, dass sich das als Heimatfilm und in blühend verklärter Sprache gestartete Stück radikalisiert und in einem Terrorszenario endet. „Warum muss Literatur immer versuchen, Figuren festzunageln“, fragt Jörg Albrecht. „Mich interessieren Sprache und die Brüche darin. Und wie der Mensch dazwischen entsteht.“ Nicht, dass er konventionelle Erzählliteratur grundsätzlich doof findet. Nur hätten das andere schon zur Perfektion getrieben, was soll man da noch hinzufügen?

Ganz so lässig, wie er das jetzt sagt, fällt es ihm natürlich auch nicht. „Früher hatte ich oft Angst, dass die Leute meine Texte total verreißen“, sagt er, „aber inzwischen hab ich da mehr Souveränität bekommen.“ Zuspruch erhält er vom Wallstein-Verlag, von anderen jungen Autoren, zum Beispiel Andreas Neumeister, und aus der Öffentlichkeit. Denn trotz der eher unkonventionellen Schreibe ist Jörg Albrecht lange nicht der Freak, der nur Germanistik-Seminare glücklich macht. Abgehoben elitär oder schlimmer, langweilig, sind seine Lesungen bestimmt nicht. Auf der Bühne stehen allerlei antiquierte Gerätschaften: Taschen, Kameras, Plattenspieler. An die Wand werden Bilder projiziert und zwischen den Textpassagen spielt phono noir langsame, kratzig-schöne Elektrolieder. Mit Gitarre und Laptop. Phono noir ist Matthias, der Freund einer Schulfreundin. Gemeinsam ist jetzt ein Hörspiel geplant.

Ob er auch manchmal einfach gar nichts macht? „Eher nicht, das irritiert mich.“ Jörg Albrecht lächelt schüchtern, sagt dann fast entschuldigend: „Klar gibt es Phasen, wo nichts geht. Aber wenn ich dann einfach mal nur Fernseh schauen will, kommt eben gleich wieder eine Idee.“