: Verschwundene Pracht
RUMÄNIEN Baie Herculane ist für schwefelreiches Wasser bekannt. Weshalb Kaiser Franz den Kurort als den „schönsten des Kontinents“ lobte
■ Handel: Arabische Touristen sorgen überwiegend in den Sommermonaten für Umsatz beim Einzelhandel. Denn diesen verbringen sie gern in kühleren Gefilden. Konnte man bei diesen Shopping-Touristen im letzten Jahr eine Kaufzurückhaltung beobachten, so stieg der Einzelhandelsumsatz mit Arabern im Juli zum Vorjahr um 95 Prozent, im August immerhin noch um 40 Prozent an. Dies ergab das Shopping-Tourist-Barometer von Global Blue, welches die Einzelhandelsumsätze mit Taxfree-Käufern aus dem Ausland erfasst. Die kaufkräftigste Säule des Taxfree-Kundenumsatzes im Einzelhandel sind Russen mit einem Anteil von 23 Prozent am Jahresgesamtumsatz. Die Zielgruppe mit dem stärksten Entwicklungspotenzial für den Einzelhandel sind Chinesen. Ihr Taxfree-Umsatz wächst seit Jahren meist zweistellig.
VON UWE BULTHAUP
Regen. Strömender Regen, und das schon seit zwei vollen Tagen! Doch im stillgelegten Stollen unter dem Hotel Roma spürt man die dicken Tropfen nicht. Trotzdem ist die Luftfeuchte hoch. Je tiefer man in den Stollen vordringt, desto feuchter und heißer wird es. Alte Schienen leiten den Weg zu einer der heißen Quellen Baie Herculanes. Der Kurort ist für sein heilendes, schwefelreiches Wasser bekannt.
Es ist dunkel in dem alten Bergwerk. Fast täglich kommen Einheimische hierher zum Duschen. Sie gehen zielstrebig durch den steinigen Tunnel. Kerzen und Taschenlampen werfen ein schummriges Licht auf dessen felsige Wände. Mit jedem Schritt hinein in die unterirdischen Tiefen wird das Rauschen eines kleinen Wasserfalls lauter. Das Wasser, das sich seinen Weg durch den Stollen bahnt, steht den Besuchern bis hoch zu den Fußknöcheln.
Auf dem Weg erklärt ein untersetzter Mann Mitte fünfzig fuchtelnd und in viel zu schnellem Rumänisch, dass sich das Stollensystem noch hunderte von Kilometern unter der Erde entlangzöge. Er selbst habe hier unter Tage gearbeitet, bis durch eine Bohrung plötzlich der Stollen überflutet wurde. Nach der Katastrophe wurde hier nicht mehr gearbeitet. Nun komme er regelmäßig hierher, um sich zu waschen und die natürliche „Sauna“ zu benutzen: einen kleinen Raum, den man durch ein wenig Klettern erreichen kann. Das Innere ist auf 50 bis 60 Grad aufgeheizt und bietet Raum für sieben bis acht Personen. Zur Abkühlung kann man die schlichten, öffentlichen Becken außerhalb des Stollens nutzen.
Ganz legal ist das Betreten vielleicht nicht, aber Spaß macht es allemal. Und dumm wäre der, der die Bäder des darüber liegenden Hotels nutzen würde, meint der ehemalige Arbeiter. Schließlich würde das Hotel genau dasselbe mineralienreiche Wasser verwenden, nur, „dass sie Eintritt verlangen“.
So gut scheint das Hotel Roma nicht zu laufen: An der Außenfassade des unattraktivem Betonklotzes prangt das Schild „Happy New Year 2002“. Hinter der protzigen Rezeption langweilt sich ein Mitarbeiter. Nur ein paar Menschen kamen heute zum Baden. Einheimische nutzen die Quelle unterhalb oder gehen zu den „Sapte surori“, den sieben Schwestern, einem noch heißeren, öffentlichen Bad, vier Kilometer außerhalb der Stadt. Kurgäste machen sich rar, schließlich gibt es im Ort auch renoviertere Quartiere und zahlreiche günstige, halblegale Privatunterkünfte, die bei Weitem persönlicher und netter sind. Vor allem ältere Menschen freuen sich, Gäste bewirten zu können, und kümmern sich rührend um ihre Besucher.
Anita, eine Dame in den Siebzigern, strahlt, als sie endlich wieder Deutsch mit den Ankömmlingen sprechen kann. Schnell steht für die Fremden ein Zimmer bereit, leider sind die Betten aufgrund des starken Regens feucht, doch die Herzlichkeit der Gastgeberin macht dieses Manko fast wett. Bevor sie in die Kirche verschwindet – es ist schließlich Sonntag –, tischt sie den Gästen ungefragt Brot, Eier, Schafskäse, Tomaten und Tee auf und erläutert ihnen die schönsten der unzähligen Wanderrouten durch die malerischen Berge und Wälder der Region.
„Zum Weißen Kreuz müssen Sie unbedingt“, preist die alte Dame die Umgebung an. Von dort aus habe man einen tollen Blick und so weit entfernt sei es auch nicht. Wer möchte, kann tagelang durch die wundervoll unberührte Natur um Baie Herculane wandern. Schon die Kaiserin Sisi, weiß unsere Gastgeberin, suchte die heilenden Quellen, die Ruhe und die beeindruckende Landschaft des Städtchens auf.
Architektonisch ist der österreichisch-ungarische Einfluss tatsächlich nicht zu verkennen. Prunkvolle Häuser und Paläste aus der Zeit des Barock zeigen, dass der Kurort zu Sisis Zeiten reich und berühmt war. Auch heute ist er unter Rumänen bekannt. Besucher verbringen vor allem die Wochenenden und Ferienzeiten dort. Aber das nutzt nichts: der Ort verfällt trotzdem. Viele der Prachtbauten bröckeln vor sich hin: Wasserschäden, herunterbrechende Fassaden, eingeschlagene Scheiben prägen das Stadtbild des Kurortes.
Mit ein bisschen Fantasie lässt sich nachvollziehen, weshalb Kaiser Franz den Kurort als den „schönsten des Kontinents“ lobte und auch Sisi von Baie Herculane in ihrem Tagebuch schwärmte. Weiter außerhalb die wohlbekannten Plattenbauten und einige neuere Hotels, auch im Klotz-Stil. Seit Neustem stehen im Stadtkern Informationsschilder zum Ort und der umliegenden Gegend.
Stück für Stück kauft die Regierung Rumäniens die wunderbaren Häuser auf. Um sie zu restaurieren, bedarf es jedoch Unsummen – ein Fass ohne Boden. Doch es zeigen sich bereits die ersten kleinen Fortschritte: Die Deckenmalerei einer Arkade im Zentrum wurde bereits wieder hergestellt, und auch Andrei, der gleich daneben seine Bar führt, zeigt Mut zur Renovierung. Nur sein Kleidungsstil und die Musik sind immer noch original 70er und 80er Jahre.
Ach ja: die Öffnungszeiten auch – gegen zehn Uhr ist hier, wie auch in den zwei bis drei anderen Restaurants der Stadt, Schicht im Schacht. Wer Entertainment und Party sucht, ist hier eindeutig am falschen Platz. Davon einmal abgesehen ist Baie Herculane wirklich eine Reise wert!