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Archiv-Artikel

„Gibt man jemandem eine Waffe, den man umbringen will?“

ZEITGESCHICHTE Anfang November startet das monumentale Filmepos „Carlos – Der Schakal“ von Olivier Assayas. Der spektakuläre Action-Film beleuchtet die Kooperation deutscher und palästinensischer Untergrundgruppen. Thomas Kram, früheres Mitglied der deutschen Revolutionären Zellen (RZ), spricht erstmals mit der taz über die Zusammenarbeit mit der Carlos-Gruppe in den 1970er Jahren

Thomas Kram

■ Bürgerlich: geb. 1948 in Westberlin. Abschluss 1973 an der PH, Grund- und Hauptschullehrer. 1975–1978: politischer Buchladen, Bochum. Danach: Perugia/Italien. Rechtsanwaltsgehilfe in Duisburg. 1984 Umschulung zum Informationselektroniker in Essen.

■ Klandestin: Ab 1975 gehörte er einer regionalen RZ-Gruppe an. 1987–2006: Aufenthalt unbekannt. 2006 stellt er sich. 2009: verurteilt (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) zu zwei Jahren Haft auf Bewährung.

■ Heute: Kram arbeitet für die Drogenhilfe in Berlin

INTERVIEW ANDREAS FANIZADEH UND CHRISTOPH VILLINGER

taz: 1975 wurde Ilich Ramírez Sánchez, genannt „Carlos“, weltberühmt. Ein Kommando unter seiner Führung stürmte die Opec-Konferenz in Wien. An vorderster Front dabei auch ein Mitglied der deutschen Revolutionären Zellen (RZ). Herr Kram, Sie gehörten den RZ an, hatten sie damals persönlich Kontakt zu Carlos?

Thomas Kram: 1975 war ich bei den RZ gerade frisch eingestiegen und über die Opec-Aktion vorher nicht informiert.

Wie alt waren Sie damals?

27 Jahre alt. Ich kannte Carlos nur aus den Medien und hatte nichts mit ihm zu tun. Später habe ich ihn kennengelernt. Bei meinen Besuchen bei Johannes Weinrich, nachdem der illegal war, das war 1978/79.

Haben Sie Carlos öfter gesehen?

Drei- oder viermal. Er kam manchmal dazu, wenn ich mich mit Weinrich in Ostberlin oder Budapest traf.

Was war der Anlass der Treffen?

Johannes Weinrich und Magdalena Kopp kamen aus RZ-Zusammenhängen und verstanden sich Ende der 70er Jahre nach wie vor als Mitglieder der RZ. Da ich mit ihnen nicht nur politisch, sondern auch freundschaftlich verbunden war, wollte ich den Kontakt zu ihnen aufrechterhalten, auch wenn es bereits unterschiedliche politische Prioritäten gab.

Anfang November startet der Film „Carlos – Der Schakal“ in Deutschland. Gespielt wird Carlos von dem venezolanischen Schauspieler Édgar Ramírez. Sie haben den Film bereits gesehen. Als jemand, der Carlos persönlich traf: Spielt Ramírez seinen Carlos überzeugend?

Das ist schwierig zu beurteilen, wenn man jemand nur sporadisch erlebt hat. Für mich war er erst mal ein Phantom, das die Medien in die Welt gesetzt hatten. Trotzdem gibt es natürlich Dinge, die ich wiedererkenne. Carlos verhielt sich solidarisch und verantwortlich denen gegenüber, die er für Revolutionäre hielt. Er war politisch gut geschult und sehr eloquent, war aber auch sehr bestimmend, sehr dominant.

Also so, wie der Film dies darstellt?

Mehr oder weniger.

Im Auftrag der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) führte Carlos in Westeuropa in den 70er Jahren Terroranschläge durch. Die aus der RZ stammende Deutsche Magdalena Kopp wurde seine Freundin, Carlos rechte Hand blieb bis zur Festnahme Mitte der 90er Jahre Johannes Weinrich. Wie konnte es zu dieser intensiven internationalen terroristischen Zusammenarbeit in den 70er Jahren kommen?

Könnten Sie den Begriff „terroristisch“ in diesem Zusammenhang streichen?

Wieso, wie würden Sie das sonst bezeichnen?

Es gab in den RZ eine kleine Gruppe, die sich international bewegte. Das hatte pragmatische Gründe, entsprach aber auch dem Selbstverständnis vieler Linker Anfang der 70er. Wir bezogen uns auf die antikolonialen Befreiungsbewegungen, die sich den bewaffneten Kampf auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Den Palästinensern kam dabei eine besondere Rolle zu. Für die RZ war die Zusammenarbeit mit der PFLP Ausdruck internationaler Solidarität, die auch die Möglichkeit eröffnete, politische Gefangene aus den Gefängnissen zu befreien. Dass man dabei die Kampfformen palästinensischer Organisationen übernahm, war allerdings kaum Thema. Aus der Sicht der Palästinenser schienen Flugzeugentführungen wie die nach Entebbe 1976 gerechtfertigt. Als Vertriebene konnten sie nur zu exterritorialen Kampfformen greifen, um ihren Forderungen Geltung zu verschaffen.

Assayas’ Film beruht vor allem auf direkten Zeugenaussagen sowie Gerichts- und Polizeiakten. Er zeigt einige der Deutschen wie Gabriele Kröcher-Tiedemann bei dem Wiener Opec-Anschlag 1975 als extrem fanatisiert. Was sagen Sie dazu?

Ich habe Gabriele Kröcher-Tiedemann persönlich nicht gekannt. Sie reagiert in dem Film erst aggressiv und bricht schließlich in Tränen aus, als klar wird, dass die Opec-Aktion ihr Ziel verfehlt. Das finde ich kein Zeichen von Fanatismus. Eher Ausdruck einer enormen Anspannung, die sich plötzlich entlädt. Sie war selbst erst ein paar Monate vorher aus dem Knast befreit worden. Dass die Mehrzahl der Zuschauer dies vermutlich anders wahrnehmen wird, hängt doch auch damit zusammen, dass der Film nicht versucht, begreiflich zu machen, was in den 70er Jahren los war.

Teilweise wohl schon: Die Waffen für den Opec-Überfall werden laut Assayas’ Filmproduktion von irakischen Diplomaten beschafft. Der Venezolaner Carlos und die deutschen RZ gemeinsam auf dem Ticket von arabischen Despoten wie Saddam Hussein und der palästinensischen PFLP: Was sagen sie von heute aus dazu?

„Reines Wunsch-denken, wenn der Film-Weinrich sagt, hinter ihm stünden 40 RZ-Mitglieder“

Von den konkreten Hintergründen weiß ich nichts.

Aber halten Sie es für plausibel, dass die Waffen für den Opec-Überfall über die Iraker kamen?

Ziel der Opec-Aktion war, das kann man dem Film entnehmen, die reaktionären arabischen Staaten unter Druck zu setzen. Sie sollten sich wieder stärker der palästinensischen Sache annehmen, nachdem sie erst aus Jordanien vertrieben und dann von den Falangisten im Libanon bekämpft wurden. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass es von Seiten der arabischen Staaten, die man damals für progressiv hielt, ein Interesse an der Geiselnahme der Ölminister in Wien gab. Aber darüber haben wir nicht gesprochen.

Da wurden Aktionen im Weltmaßstab durchgeführt, die auch noch schiefgingen, und Sie haben intern darüber nicht diskutiert?

1975 gehörte ich einer regionalen Gruppe der RZ an, die sich auf einem völlig anderen Terrain bewegte. Deshalb wurde, zumindest in meiner Gegenwart, nicht über Opec diskutiert. Ist das so verwunderlich?

Heißt das, solche Aktionen wurden für gut befunden?

Nein, das heißt es nicht. Für Außenstehende war schwer nachvollziehbar, was das Ganze sollte. Die Geiselnahme in Wien war spektakulär, aber was sollte damit erreicht werden? Später hieß es, dass die Opec-Aktion nach der Landung des Kommandos mit den Geiseln in Algier abgebrochen werden musste und deshalb ihr Ziel verfehlt hatte. Das legt ja auch der Film nahe.

Bedeutet dies, man fand sie nicht gut, weil sie nicht erfolgreich war? Wurde die Opec-Aktion als solche damals noch nicht infrage gestellt?

Ich kann nur für mich sprechen: Der Überfall auf die Opec bewegte sich jenseits meines Horizonts. Zwar war Hans-Joachim Klein in Wien dabei, ich wusste aber noch nicht, dass er Mitglied der RZ war. Diese Zusammenhänge waren mir im Dezember 1975 nicht bewusst. Erst hinterher habe ich gemerkt, wie nah ich da dran war. Die Mehrheit der RZ begriff sich als sozialrevolutionäre Organisation und agierte nicht in der Logik des Befreiungsnationalismus. Die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Staaten war nicht unser Ding. Das hat in letzter Konsequenz ja auch zum Bruch mit der Gruppe um Carlos geführt.

Von welcher Zeit sprechen Sie?

Von der Zeit nach der gescheiterten Flugzeugentführung nach Entebbe 1976. Diese gemeinsame Aktion von PFLP und RZ hatte zum Ziel, Gefangene aus israelischen und deutschen Knästen zu befreien. Das wurde nicht erreicht und das Kommando mit den RZ-Mitgliedern Brigitte Kuhlmann und Wilfried Böse wurde getötet. Die RZ hinterfragten in der Folge die praktische Zusammenarbeit mit palästinensischen Organisationen sowie Aktionsformen wie Flugzeugentführungen.

Sie haben zu Beginn der 1970er Jahre in Bochum im Politischen Buchladen gearbeitet, wie zuvor auch Johannes Weinrich. Eine Filmszene zeigt, wie Weinrich ein palästinensisches Kommando unterstützen soll. Das PFLP-Kommando versuchte auf dem Flughafen Orly eine israelische Passagiermaschine mit einer Rakete zu treffen. Wie gut kannten sie Weinrich?

Als Weinrich Anfang 1975 das erste Mal ins Gefängnis kam, hielt ich das für einen Justizirrtum. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er etwas mit dem Anschlag zu tun hatte. Ich kannte die Texte der RZ und die Aktionen, zu denen sie sich erklärt hatten. Die Palette reichte von gefälschten Fahrkarten über Brandanschläge auf Autos von Miethaien bis hin zu Bomben vor Konzernen wie ITT. Dass es auch noch eine andere Seite gab, konnte man zwar zwischen den Zeilen lesen, aber ohne zu wissen, was sie praktisch beinhaltete. Diese Seite der RZ war abgeschottet. Darüber wurde nicht mit allen diskutiert. Das habe ich auch akzeptiert.

Warum das?

In klandestin operierenden Organisationen gibt es einen Widerspruch zwischen notwendiger Abschottung und dem Bedarf an Transparenz. Der lässt sich letztendlich nur lösen durch das Vertrauen, das man Leuten entgegenbringt, die schon länger dabei sind oder politisch erfahrener sind als man selbst. Ich hatte damals keinen Anlass, Weinrich zu misstrauen, auch wenn ich sicherlich nur Bruchteile von dem wusste, was ihn beschäftigte.

Es gibt viele Filmszenen mit Deutschen in palästinensischen Ausbildungslagern. Haben Sie selber auch eine militärische Ausbildung in den Camps der PFLP durchlaufen?

Es hat Anfang 1976 ein Camp gegeben, in dem auch RZ-Leute waren. Darüber berichtet Magdalena Kopp in ihrem Buch, und Hans-Joachim Klein erwähnt es ebenfalls. Das war nur wenige Wochen nach Opec. Über die Zeit in dem Camp wurde von den Einzelnen sehr unterschiedlich berichtet. Einige fühlten sich ausgesprochen wohl. In der BRD stand man permanent unter Verfolgungsdruck. Außerdem relativierten sich dort viele Probleme, mit denen sich die bewaffneten Gruppen in der westlichen Welt herumschlugen. Vor dem Hintergrund der Erzählungen der palästinensischen Kämpfer, die auf der Flucht waren oder in Lagern lebten, schienen die eigenen Zweifel banal. Das hat sich bestimmt auch politisch in den Köpfen niedergeschlagen und erklärt nicht zuletzt, warum sich einzelne für Aktionen wie Opec oder Entebbe entschieden haben. Es gab aber auch andere, die mit der militärischen Ausbildung nichts anzufangen wussten, denen nicht einleuchtete, warum sie auf dem Bauch durch den Sand robben mussten. Da prallten also auch unterschiedliche Welten aufeinander.

Carlos und die RZ

■  Opec-Konferenz: Die Filmproduktion von Olivier Assayas „Carlos der Schakal“ fokussiert auf ein dunkles Kapitel der Zusammenarbeit westdeutscher und palästinensischer Untergrundgruppen. Im Dezember 1975 überfiel ein Kommando im Auftrag der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) unter Führung des Venezolaners Carlos die Opec-Konferenz in Wien. Die Zielsetzung blieb unklar. Regisseur Assayas rekonstruiert für seinen in Cannes gezeigten Film den Anschlag und legt nahe, dass es darum ging, den saudischen und iranischen Erdölminister zu ermorden, Lösegeld zu erpressen und einen Propaganda-Coup für den palästinensischen Nationalismus zu inszenieren.

■  Entebbe: 1976 waren Mitglieder der deutschen Revolutionären Zellen (RZ) in eine weitere terroristische Großaktion der PFLP involviert, die Entführung einer Air-France-Maschine von Tel Aviv nach Entebbe. Bei der Befreiung der Geiseln starben auch die beiden RZ-Mitglieder Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann.

■  Spätere RZ: Danach verabschiedeten sich die RZ aus den „internationalen Zusammenhängen“. Sie wurde zur sogenannten Feierabend-Guerilla, die den Forderungen sozialer Bewegungen in der BRD mehr Nachdruck verleihen wollte. Thomas Kram gehörte zu diesem Mehrheitsflügel der RZ, der sich mit Ende des Kalten Kriegs und der im Interview skizzierten Diskussion um die Ermordung eines früheren Mitstreiters durch die Carlos-Gruppe Anfang der 1990er Jahre auflöste. Carlos selbst verbüßt derzeit eine lebenslange Haftstrafe in Frankreich, Weinrich eine in Deutschland. Kopp und Klein leben wieder in Freiheit.

Weinrich blieb bis zu seiner Festnahme Mitte der 1990er Jahre Carlos’ treuester Begleiter. Haben Sie ihn nach der Spaltung der RZ in eine mit Carlos weiterhin agierende Minderheit und dem Hauptstrom der Gruppierung, der sie angehörten und die dies ablehnte, noch einmal gesehen?

Eine solche Spaltung der RZ hat es in meinen Augen nicht gegeben. Das wurde zwar oft behauptet, ist aber trotzdem falsch. Ich würde eher sagen, dass in der Auseinandersetzung um die gescheiterte Gefangenenbefreiung, die Flugzeugentführung nach Entebbe 1976 ein Streit um mögliche Konsequenzen entbrannte, der zu einem vorläufigen Bruch führte. Es gab vorübergehend zwei RZ-Gruppierungen, die sich in der praktischen Reaktion auf das, was nach Entebbe passieren sollte, unterschieden. Das blieb allerdings ein theoretischer Streit, weil die wüsten Vergeltungspläne der einen Fraktion durch die andere zum Glück verhindert wurden. Dass sich zunächst Johannes Weinrich und später auch Magdalena Kopp der Gruppe um Carlos angeschlossen haben, hat mit dieser Auseinandersetzung innerhalb der RZ allerdings nichts zu tun. Ausschlaggebend dafür waren eher die Entwicklungen nach dem Deutschen Herbst 1977 in der BRD nach der Offensive der RAF und den Toten im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim. Und der Tod von PFLP-Chef Wadi Haddad im April 1978 hat sicherlich auch eine Rolle gespielt.

Carlos gründete Ende der 70er Jahre seine eigene Gruppe. Wann haben Sie ihn das letzte Mal getroffen?

Getroffen habe ich mich mit Weinrich und Kopp. Anfang der 1980er war Carlos ein letztes Mal kurz dabei.

Um was ging es dabei?

Zwischen 1976 und 1978 ist Carlos raus aus der PFLP und hat eine Gruppe aufgebaut, die sich Gruppe Internationaler Revolutionäre nannte. Dieser Gruppe hatten sich Weinrich und Kopp angeschlossen. Ihr Ziel war der Aufbau eines globalen Netzwerks der unterschiedlichsten bewaffneten Organisationen. Vor allem sollte es um gegenseitige logistische Unterstützung gehen. Die Gruppe hatte Stützpunkte in verschiedenen Ostblockländern und arabischen Staaten.

Wussten Sie, dass die Carlos-Gruppe so eng mit solchen staatlichen Stellen dort verknüpft war?

Ich wusste es nicht, konnte mir aber auch nicht vorstellen, dass die Gruppe ohne staatliche Rückendeckung so viel Bewegungsfreiheit haben würde. Zu der Frage hatten Weinrich und ich sehr unterschiedliche Einschätzungen. Johannes Weinrich formulierte nach wie vor den Anspruch, RZ-Mitglied zu sein, und verstand sich als Vertreter der RZ in der Carlos-Gruppe. Das stand im ziemlichen Gegensatz zu den Diskussionen, die damals innerhalb der RZ geführt wurden.

Die RZ standen Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre vor einem Neuanfang, einer Neuformulierung ihrer Politik. Dazu gehörte auch der Rückzug aus den internationalen Verbindungen. Sie wollten sich wieder stärker auf die sozialen Kämpfe in der BRD beziehen, auf die Anti-AKW-Bewegung, den Häuserkampf, die Frauenbewegung. Eine Reihe von Leuten waren in der Folge der Entwicklungen zwischen 1976 und 1978 ausgestiegen. Andere waren im Knast, „verbrannt“, illegal oder tot. Die alten Kontakte hatten nur noch Einzelne. Insofern ist es reines Wunschdenken, wenn der Darsteller von Weinrich im Film sagt, hinter ihm stünden an die 40 RZ-Mitglieder. Das Gegenteil war der Fall: Die neu gegründete RZ hatte diese Kontakte für sich abgebrochen.

Die Revolutionären Zellen verwarfen also das Konzept des internationalen, antiimperialistischen Kampfs. Sie begingen fortan weniger spektakuläre Anschläge im Inland. Gab es nach dem Desaster der Frühphase, Anschlägen mit antisemitischer Tönung, nicht Leute, die forderten, sich Ende der 70er Jahre einfach aufzulösen?

Solche Stimmen gab es auch. Mir ging es aber um eine Kontinuität bewaffneter Gruppen. Um die Behauptung, dass diese in der Lage sind, sich selbst zu korrigieren und nicht zwangsläufig, wie gerne unterstellt, in die militärische Eskalation abdriften. Aus persönlichen Gründen habe ich den Kontakt zu Johannes Weinrich und Magdalena Kopp nicht völlig eingestellt. Aber der Konflikt mit ihnen spitzte sich zu. Ihr Konzept einer Gruppe, die im luftleeren Raum agiert und zumindest auf staatliche Duldung angewiesen ist, stand im krassen Gegensatz zu dem sozialrevolutionären Anspruch der RZ. Die Carlos-Gruppe versuchte zwar anfangs, die verschiedenen Staaten gegeneinander auszuspielen und so die eigene Selbständigkeit zu wahren. Aber das überzeugte mich nicht und hat ja auch nicht funktioniert.

Kopp und Weinrich agierten im arabischen Kontext, haben Sie über Israel gesprochen? Nein, das war zwischen uns kaum Thema. Mir blieb die politische Stoßrichtung der Carlos-Gruppe unklar. Die neue RZ hatte sich vom platten Antizionismus der 70er Jahre verabschiedet.

Der am Wiener Opec-Anschlag beteiligte Hans-Joachim Klein spielt in Assayas’ Film eine sehr selbstkritische Rolle. Er hatte die RZ in den 70er Jahren verlassen und wurde erst 1998 in Frankreich aufgespürt und verhaftet. Wie finden Sie ihn dargestellt?

„Eine solche Spaltung der RZ wurde zwar oft behauptet, hat es aber in meinen Augen nicht gegeben“

Klein hat nach seiner Verhaftung 1998 entgegen allem, was er zuvor beteuert hat, nicht lange gezögert, einen früheren Mitstreiter schwer zu belasten, um seine eigene Situation zu verbessern. Assayas’ Film zeigt eine idealisierte Figur von Klein. Von allen RZlern, die im Film dargestellt werden, ist Klein der Einzige, der weder Verstand noch Moral verloren hat. Nur er meldet frühzeitig Bedenken gegen Opec und Entebbe an. Leider hat er dies innerhalb der RZ aber nicht getan. Er behauptet, dass er das nicht gekonnt hätte, weil es ihn den Kopf gekostet hätte. Eine Szene des Films im Aostatal suggeriert, es wäre geplant gewesen, ihn umzubringen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch die volle Unterstützung der RZ. Die Pistole, die er im April 1977 dem Spiegel geschickt hat, hatte er sich kurz davor von Leuten der RZ bringen lassen. Gibt man jemandem eine Waffe, den man umbringen will?

Bekanntlich hat die Carlos-Gruppe auch andere, die sie für Verräter hielt, hingerichtet.

Er wollte aber nicht die Carlos-Gruppe verlassen, die gab’s ja 1977 noch gar nicht, sondern die PFLP von Wadi Haddad.

Und die hat so etwas nicht praktiziert?

Zumindest konnte auch Carlos die PFLP/Outside-Operation verlassen, ohne umgebracht zu werden.

Also, Sie halten das wirklich alles für eine paranoide Projektion von Klein?

Ich glaube, Klein hätte in Absprache mit der PFLP und den RZ einen anderen Weg wählen können. Stattdessen hat er seinen Ausstieg mit Hilfe der Frankfurter Spontiszene und des Spiegels inszeniert. In Frankfurt gab es zu der Zeit eine Spontiszene, die den RZ ursprünglich nahestand. Diese Leute hatten 1976 selber schlechte Erfahrungen mit ihrer Militanz gemacht und appellierten deshalb auch an die RZ, „die Waffen niederzulegen“. Sie benutzten Klein für ihre Kritik an den bewaffneten Gruppen.

Die RZ wendeten sich in den 1980er Jahren ausdrücklich gegen Antiamerikanismus und einen simplen linken Antiimperialismus. Gleichzeitig deckten sie aber ihre (früheren) Kampfgefährten, die für palästinensische Terrorgruppen arbeiteten. Wie geht das zusammen?

Hätten wir uns öffentlich von den Leuten distanzieren sollen? Und wie hätte eine solche Distanzierung aussehen sollen, ohne die falsche Seite zu bedienen? Die RZ haben sich anders entschieden: Sie haben die Kontakte abgebrochen und zugleich versucht, sich inhaltlich deutlich zu positionieren. Es gibt eine Reihe von Texten der RZ, aus denen dies deutlich hervorgeht, der Revolutionäre Zorn 6, das Papier zur Friedensbewegung et cetera.

1991 veröffentlichte eine RZ-Gruppe das Papier „Gerd Albartus ist tot“. Sie machte damit öffentlich, dass Gerd Albartus, einer ihrer früheren Mitstreiter, 1987 durch Palästinenser beziehungsweise die Carlos-Gruppe ermordet wurde. Herr Kram, Sie sollen das Papier verfasst haben. Warum dauerte es nach dem Mord bis zu einer Reaktion ihrer Gruppe weitere vier Jahre?

„Erst hinterher habe ich gemerkt, wie nah ich an den internationalen Verbindungen dran war“

Weil wir davon selber erst Jahre später erfahren hatten. Gerd Albartus war nach Damaskus gefahren, um die Carlos-Gruppe zu treffen. Als er von der Reise nicht mehr zurückkam, gingen wir davon aus, dass er sich abgesetzt hatte. Zum selben Zeitpunkt wurde verstärkt nach RZ-Mitgliedern in der BRD gefahndet.

Gibt es Hinweise, warum er umgebracht wurde?

Ein Grund war – und das bestätigt Kopp in unterschiedlichen Varianten – dass er sich noch Stasi-Kontakte zunutze gemacht hat, nachdem die Carlos-Gruppe in den Ostblockstaaten schon längst nicht mehr erwünscht war. Deswegen galt er als Verräter. Bizarrerweise hat Gerd 1985 Magdalena die Ausreise aus Deutschland über den Ostblock organisiert. Außerdem soll er unsorgfältig recherchiert und Geld unterschlagen haben. Und dann noch seine Homosexualität! Man kann wohl unterstellen, dass in Gruppen, die den Bezug zur sozialen Realität verloren haben, nonkonformes Verhalten ohnehin verdächtig ist und im schlimmsten Fall bestraft wird. Durch seinen Tod kam bei uns die alte Auseinandersetzung um Entebbe und Opec 1990 wieder hoch. Dies führte zu einer kritischen Bestandsaufnahme der gesamten RZ-Politik.

Die RZ lösten sich in der Folge Anfang der 1990er auf. Die Carlos-Gruppe hätte ohne Logistik aus den Ostblockstaaten und die Unterstützung arabischer Diktaturen nicht existieren können. Gilt das auch für Sie, die sogenannte Feierabendguerilla, die den Mehrheitsflügel dieser bewaffneten Formation in der alten BRD ausmachte?

Die Diskussion Anfang der 80er Jahre beinhaltete auch, dass die RZ sich logistisch vollständig auf eigene Beine stellte. Wir wollten uns unabhängig machen von allen Kontakten, die wir nicht einschätzen konnten. Das war Teil des Bruchs.

Also hatten Sie auch keine weiteren Kontakte zur DDR oder zu anderen Ostblockstaaten?

Nein, zum Glück, deswegen bin ich nach 1989/90 auch nicht aufgeflogen und festgenommen worden. Ich war längere Zeit von der Bildfläche verschwunden. 2006 habe ich mich selbst gestellt, nachdem die Urteile im Berliner RZ-Prozess rechtskräftig waren. Ich fühlte mich als Fossil einer Geschichte, die in dieser Form an ihr Ende gelangt war.

Am 4.November startet der Carlos-Film. Was halten Sie von ihm?

Der Film ist auf den ersten Blick schwer angreifbar. Er ist spannend gemacht und suggeriert, dass er sich an die Fakten hält. Doch vieles stimmt nicht: Klein war nicht der einzige aufrechte, kritische Denker der RZ. Und die Frauen verfügten über ganz andere Möglichkeiten als Fanatismus, Rücksichtslosigkeit oder Verführungskünste. Leider beurteilt Assayas die 70er Jahre nach heutigen Maßstäben, er macht wenig Anstalten, die Stimmung dieser Zeit einzufangen. Vor allem aber signalisiert er, dass alles, was einmal als Utopie begann, irgendwann im Schrecken endet. Wer vom Film ausgeht, wird die RZ-Geschichte für reinsten Horror halten. Aber das ist sie nicht. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Leute den Film als Anregung sehen, sich auch mit den Dingen dahinter zu beschäftigen. Der wesentliche Teil der RZ-Geschichte kommt überhaupt nicht zur Sprache und ist über Carlos auch nicht zu thematisieren.

■ „Carlos – Der Schakal“. Ab 4.November im Kino. Für die kommende sonntaz ist ein Gespräch mit Regisseur Olivier Assayas vorgesehen