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Archiv-Artikel

Wenn die ARD disst

Mit der Multikultikomödie „Türkisch für Anfänger“ hat das Erste einen Hit gelandet – bei den Kritikern. Nun wird in Berlin eine neue Staffel gedreht

AUS BERLIN MARTIN U. MÜLLER

„Mittagessen fürs Team, die Presse ins Wohnzimmer“, schreit der Aufnahmeleiter militärisch. Bereitwillig marschiert die Presse in das Wohnzimmer der Filmfamilie Schneider-Öztürk. Auf dem Tisch liegt hübsch drapiert die Zeit, daneben Hürriyet. Schauspieler Adnan Maral zieht etwas unsicher für die Fotografen an einer Wasserpfeife – Lachen. Wohl nicht ganz umsonst heißt die Serie, die hier gerade gedreht wird, „Türkisch für Anfänger“.

Im März zeigte die ARD die erste Staffel der Vorabendserie. Damals fuhr die Multikulticomedy um eine deutsch-türkische Patchwork-Familie nur niedrige Einschaltquoten ein, dafür aber begeisterte Kritiken – und seit einiger Zeit hagelt es auch Preise. Erst gab es den Prix Europa, dann die Goldene Nymphe 2006 vom Fernseh-Festival von Monte Carlo, am vergangenen Wochenende gewann die Serie von Autor Bora Dagtekin zuletzt den internationalen Medienpreis Prix Italia. Und dann ist auch noch das gesamte Ensemble für den Deutschen Fernsehpreis nominiert.

Beste Voraussetzungen also für die 24 neuen Folgen, die gerade in einer Studiokulisse im Berliner Stadtteil Tempelhof abgedreht werden. Nach einer Wiederholung der ersten Staffel soll die Fortsetzung rund um den türkischen Kriminalkommissar Metin und seiner deutschen Lebensgefährtin Doris, deren Beruf und Hobby die Psychotherapie ist, im Frühjahr 2007 beginnen.

„Wir spielen natürlich bewusst mit Klischees und übertreiben diese auch“, sagt Regisseur Christian Ditter. Und Josephine Preuß, im Film die Tochter von Doris, freut sich darüber, dass man auch Ursula von der Leyen und andere Prominente aufs Korn nehmen würde. Überhaupt scheint die zweite Staffel noch ein wenig unangepasster als ihr Vorgänger zu sein. „Das traut man der ARD gar nicht zu, wie locker die beim Drehbuch sind“, freut sich Autor Bora Dagtekin, und das Lob wirkt nicht in Auftrag gegeben.

„Wir dissen einfach alle“, fasst Regisseur Ditter die Prämisse des Werks zusammen und feilt weiter am Drehbuch. Es geht um die korrekte Grußformel. „Eigentlich müsstest du mir einen Handkuss geben“, sagt Maral, der Metin mimt, zu Doris. Schauspielerin Anna Stieblich schaut leicht irritiert und lernt schon mal ihren Text: „Merhaba canim“ – „Guten Morgen, mein Schatz“. Integrationstest einmal umgekehrt – eine Deutsche lernt Türkisch. Sie kenne das „Patchwork“-Leben auch privat, sagt Anna Stieblich. „Schließlich war ich mal mit einem Ossi zusammen.“

Dass man mit einem solchen Stoff auch politisch Gehör finden kann, zeigte sich Anfang September. Adnan Maral begleitete Außenminister Steinmeier nach Istanbul anlässlich der „Ernst-Reuter-Initiative“ für den deutsch-türkischen Dialog. Vor allem in der Türkei habe die Serie für ein großes Medieninteresse gesorgt, berichtet Maral. Die ARD plant für die Ausstrahlung im nächsten Jahr auch eine türkischsprachige Videotextuntertitelung der Serie.

Ein wenig verrät Autor Dagtekin auch schon über den Inhalt der neuen Staffel: Metin macht Doris einen Heiratsantrag, und deren Schwester Diana taucht auf und entpuppt sich als Superpädagogin. Soweit klingt alles nach der üblichen Mischung einer allabendlichen Seifenoper. Wären da nicht auch thematische Ausflüge wie die griechisch-türkische Feindschaft, der Besuch eines Türken mit seinem Sohn im Bordell oder dass sich Lena in ihren Halbbruder Cem verliebt. „Wir sind bewusst anders als die schleimigen Telenovelas“, sagt Bora Dagtekin. Er wolle die allabendliche Wohnzimmeridylle der Zuschauer zerstören. Und alles wird wieder kommen, wie es schon einmal gekommen ist: Auch die zweite Staffel der Serie wirkt geistreich, wortwitzig und aufwändig gemacht. Das Echo der Kritiker aber dürfte nur noch teilweise so großen Raum einnehmen, hat man doch die ersten zwölf mal fünfundzwanzig Minuten ausgiebigst gelobt.

Bleibt die Hoffnung der ARD, zumindest jetzt die zehn Prozent Marktanteil der ersten Staffel zu überbieten. Bei einem Budget von nur einem Prozent der Rundfunkgebühren für Marketing- und Werbemaßnahmen dürfte das allerdings auf einem von mittlerweile noch mehr Telenovelas und Soaps umkämpften Sendeplatz schwer werden.