: Hollywoods Hässlichkeit
Eine grausam verstümmelte Leiche, Ermittlungen, die ins Leere laufen, eine inzestuös degenerierte High Society: Mit „The Black Dahlia“ hat Brian De Palma einen Roman von James Ellroy verfilmt
VON ANDREAS BUSCHE
Gemessen an den Gepflogenheiten in Hollywood ist eine Zusammenarbeit von Brian De Palma und James Ellroy ein Pakt, der mit Blut besiegelt sein müsste. Zwei notorische Zwangscharaktere mit einem Faible für elaborierte, psychologisch vertrackte Gewaltszenarios. Nicht umsonst zählt De Palmas Adaption von „The Black Dahlia“, dem ersten Roman in Ellroys „LA Quartett“, zu den meistantizipierten Filmen dieses Kinojahres. Das Skript hat im Grunde nur darauf gewartet, von De Palma verfilmt zu werden.
Der Fall der „Schwarzen Dahlie“ war in den Nachkriegsjahren ähnlich tief in das kollektive Bewusstsein von Los Angeles gesickert wie die Morde Jack the Rippers im spätviktorianischen London. Im Januar 1947 wurde die grausam verstümmelte Leiche von Elizabeth „Betty“ Short auf einem Feld in Los Angeles entdeckt. Erst einige Monate zuvor war die 22-Jährige nach Kalifornien gekommen, um einen Job als Schauspielerin zu finden. Sie endete als einer der bizarrsten Mordfälle in der Geschichte des Los Angeles Police Department (LAPD). Der Täter teilte das Mädchen sauber in zwei Hälften, zapfte das Blut aus dem Torso ab und schlitzte ihre Mundwinkel zu einem grotesken Grinsen auf. Der Fall wurde nie aufgeklärt.
Die Wirkung, die der Fall der „Schwarzen Dahlie“, wie Betty Short in der Boulevardpresse genannt wurde, auf das kulturelle Selbstverständnis von Los Angeles hatte, erklärt sich unter anderem damit, dass der Mord an dem Mädchen durch die Brutalität und die vergeblichen Ermittlungen dem künstlichen Gebilde Tinseltown einerseits eine morbide Aura des Mysteriösen verschaffte (ein Thema, das andere Noir-Filme wie „Chinatown“ oder „Mulholland Falls“ immer wieder aufgriffen), andererseits einen düsteren Schatten über die Strahlkraft der Glitzermetropole warf. Betty Short war, zu guter Letzt, auch ein Opfer Hollywoods geworden. Eines von vielen zwar, das aufgrund unglücklicher Umstände aber zu trauriger Berühmtheit gelangte. In dieser Hinsicht ist David Lynchs „Mulholland Drive“ vielleicht der beste Film über Hollywood – was den Ort wie den Mythos angeht.
Ellroy gewann der wahren Geschichte noch eine persönliche Note ab. Seine obsessive Beschäftigung mit dem Fall der „Schwarzen Dahlie“ rührte vom Tod seiner eigenen Mutter her, die 1958 – Ellroy war gerade zehn – bestialisch ermordet wurde. Auch ihr Mörder wurde nie gefasst. Derart pathologisch und traumatisch aufgeladen, hätte De Palmas Verfilmung das Zeug zu einem Meisterwerk des Film Noir gehabt. Die sexuell-repressive Grundstimmung der Vorlage erinnert stark an die frühen, auf ihre genial verquaste Art auch besten Filme De Palmas („Carrie“, „Schwarzer Engel“, „Dressed to Kill“), an die der Regisseur mit „Femme Fatale“ (2002) wieder Anschluss fand. De Palma, ein kleiner Vulgär-Hitchcockianer, liebt das Spiel mit Täuschungen und psychischen Defekten.
Doch in „The Black Dahlia“ scheint er sich eher für eine ganz bestimmte soziale Topographie von Los Angeles zu interessieren, deren Submilieus erst über den Umweg der inneren Dramaturgie ihre krankhaften Verstrickungen offenlegen: die inzestuös-degenerierte High Society, deren vererbten Wahnsinn De Palma anlässlich eines unvergesslichen Dinners für die Ewigkeit festhält (Fiona Shaws hysterische Fratze erinnert dabei nicht zufällig an das Todeslächeln der Dahlie), ein mondäner Lesben-Nachtclub oder der Sumpf der frühen kalifornischen Porno-Industrie, die die zerplatzten Träume der kleinen Hollywood-Starlets auffängt.
De Palmas Helden leben in der Illusion, in diesem Sündenpfuhl eine Außenseiterrolle einzunehmen. Stattdessen stecken sie mittendrin. Unversehens werden Officer Dwight „Bucky“ Bleichert (Josh Hartnett) und Sgt. Leland „Lee“ Blanchard (Aaron Eckhart) in die Mordermittlungen im Fall „Schwarze Dahlie“ verwickelt. Bucky und Lee sind die Aushängeschilder des LAPD, hart, aber herzlich; „Feuer“ und „Eis“ hat die Presse sie getauft. Zwei Prolos mit dem Traum vom großen Glück. Lee hat sich dieses Glück bereits verwirklicht. Er lebt mit seinem Mädchen Kay (Scarlett Johansson) in einem modernistischen Apartment, das deutlich über seiner Einkommensklasse liegt. Dort will Bucky erst noch hin. Madeleine Linscott (Hilary Swank), die der toten Betty wie aus dem Gesicht geschnitten ist, gibt ihm einen kleinen Vorgeschmack auf die Welt der Reichen und Verkommenen, in die er niemals aufgenommen wird.
Aber De Palmas Anspruch, einen großen Film zu machen, verträgt sich nicht mit den Abgründigkeiten der Geschichte. In einem winzigen Detail schließlich steckt das ganze Potenzial von „The Black Dahlia“, das leider verschlossen bleibt: die Probeaufnahmen Bettys, die Bucky und Lee sich wieder und wieder ansehen. In diesen kurzen Sequenzen steckt ein tiefes, beunruhigendes Geheimnis, dem der Rest des Films nie gerecht wird. Wie eine Spektralerscheinung kommt Betty, von Mia Kirshner mit einer bestürzenden Verletzlichkeit gespielt, aus der Vergangenheit zurück – ohne dass sie Aufschluss über ihre Ermordung geben könnte. Aber ihr Spiel mit der Kamera, ihre Selbstinszenierung, die fließenden Wechsel zwischen Person und Figur erzählen von Sehnsüchten und Begehren, die geradewegs in die Vernichtung führen mussten. Was hätte Betty über Hollywood zu erzählen gehabt.
„The Black Dahlia“. Regie: Brian De Palma. Mit Scarlett Johansson, Hillary Swank u. a., USA 2006, 121 Min.