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Archiv-Artikel

„Das ist eigentlich eine Riesensauerei“

Solange es in Deutschland nicht mehr Akteure auf dem Strommarkt gibt, funktioniert der Markt nicht, meint Energiefachmann Uwe Leprich

taz: Der hessische Wirtschaftsminister Riehl will die großen Stromkonzerne zum Verkauf von Kraftwerken zwingen, um mehr Wettbewerb sicherzustellen. Was halten Sie davon?

Uwe Leprich: Das ist exakt die richtige Idee. In Deutschland haben wir vermachtete Märkte bei der Stromerzeugung und beim Gasimport. Solange wir dort nicht mehr Akteure haben, funktioniert der Wettbewerb nicht. Der Vorstoß zielt zu 100 Prozent auf den richtigen Punkt.

Seit 1998 sind die Märkte formal liberalisiert. Warum sind die Preise heute höher, herrscht heute trotzdem kaum Wettbewerb auf den Energiemärkten?

Das liegt daran, dass es in Deutschland immer ein starkes Bestreben gab, die Liberalisierung nicht umzusetzen – stärker als in anderen europäischen Ländern. Im Gegensatz zu diesen hat man mit der Liberalisierung in Deutschland zum Beispiel darauf verzichtet, eine Regulierungsbehörde für die Netze zu installieren. Es zeigt sich auch daran, dass man die Fusionen sehr wohlwollend begleitet hat, bis hin zum größten ordnungspolitischen Sündenfall, die Fusion Eon und Ruhrgas zu genehmigen. Bei dieser Fusion ist man dann aufgewacht: das Bundeskartellamt und die Monopolkommission haben vernichtende Urteile geschrieben. Dennoch hat die damalige Bundesregierung die Fusion genehmigt.

Was sind die größten wettbewerbshinderlichen Defizite für den deutschen Strommarkt?

Der größte Fehler der Strommarktliberalisierung war, die Übertragungsnetze – also die Hauptschlagader des gesamten Stromsystems – in den Händen der großen Stromerzeuger zu belassen. Damit überließ man diese strategisch wichtigen Hebel den marktbeherrschenden Unternehmen. Diese haben ein Interesse daran, Kraftwerke von Dritten möglichst nicht in das Netz reinzulassen. Dieses Netz muss neutralisiert werden – und das wird man nur schaffen durch eine eigentumsrechtliche Entflechtung. Es muss von den vier Großen verkauft werden.

Reicht das schon für einen tatsächlichen Stromwettbewerb?

Nein, wir haben nicht genug Akteure bei der Stromerzeugung. Vier Oligopolisten stellen mehr als 80 Prozent der Stromerzeugung bereit. Solange dort keine neuen Akteure reinkommen, kann von Wettbewerb keine Rede sein. Vor diesem Hintergrund kann der Vorstoß von Herrn Riehl, die bestehende Marktmacht von Eon, RWE und Co. zu reduzieren, gar nicht positiv genug eingeschätzt werden.

Was bedeuten diese oligopolistischen Strukturen für die Konsumenten?

Wir haben mit die höchsten Netzentgelte europaweit und damit verbunden auch die höchsten Energiepreise sowohl bei Strom als auch bei Gas, für kleine wie auch für große Kunden. Das ist im Bereich Netz ein Fehler. Hier ist die Bundesnetzagentur gefordert, Versäumnisse zu korrigieren. Für die Stromerzeugung gilt: Die Börsenpreisbildung für den Strompreis an der Leipziger Energiebörse ist eigentlich in Ordnung. Es ist nur nicht o.k., dass zum Zeitpunkt der Gründung der Börse im Jahr 2000 schon viele Kraftwerke durch unsere Strompreise der letzten 30 Jahre bereits vollständig bezahlt waren. Die Kraftwerke bezahlen wir jetzt über die Börsenpreise noch einmal. Das ist eigentlich eine Riesensauerei. Das sind riesige unerwartete Profite, die gemacht werden, die müsste man abschöpfen von staatlicher Seite. Der zweite Fehler: Die CO2-Zertifikate werden eingepreist in den Strompreis. Das ist gut so, damit CO2 endlich einen Preis hat, nur darf man die Zertifikate nicht kostenlos abgeben, sie müssten auktioniert werden. So entstehen erneut Profite in Milliardenhöhe, die vorzugsweise im Ausland investiert werden und der deutschen Volkswirtschaft erhebliche Nachfrageausfälle bescheren.

Gibt es in Europa ein Land, das man als beispielhaft bezeichnen könnte?

In Großbritannien ist man sehr weit und hat ein ausgeklügeltes, intelligentes Regulierungskonzept. Dort wurde der Besitz des Stromnetzes von den Energiekonzernen getrennt. Die britische Regulierungsbehörde Ofgem funktioniert gut, kontrolliert überzeugend die Netze. Von 1995 bis 2005 sind die Netzentgelte in Großbritannien etwa halbiert worden. Gleichzeitig bietet man auch Raum für innovative Netzbetreiber, die ihr Netz möglichst dezentral optimieren wollen. Das ist ziemlich vorbildlich.

INTERVIEW: TARIK AHMIA