: Recht auf Stadt für alle
BEWEGUNG Initiativen gegen Gentrifizierung und Großprojekte wollen sich vernetzen – der „Berliner Ratschlag“ nimmt Arbeit auf
■ Der Berliner Ratschlag findet vom 4. bis 6. April in der Technischen Universität Berlin statt. Beteiligt sind verschiedene stadtpolitische Gruppen wie A100 stoppen, Avanti, Kotti & Co, Zwangsräumung verhindern und Studies gegen hohe Mieten.
■ Beim Ratschlag soll eine Bilanz der letzten Jahre gezogen werden, vor allem aber will man im Rahmen von Open-Space-Workshops Raum für Planung und Vernetzung geben. Daneben gibt es Besuch aus Hamburg, Konzerte und Theater. Info: berliner-ratschlag.org
VON JULIANE SCHUMACHER
Überall finden Kämpfe statt. In Kreuzberg kämpfen die Aktivisten von Kotti & Co gegen die Verdrängung aus den Sozialbauten, Aktivisten blockieren Zwangsräumungen und die A100, quer durch die Stadt finden sich Anwohner zusammen, um sich in ihrem Kiez gegen drohende Aufwertung zu organisieren. „Aber diese Initiativen kreuzen sich nicht wirklich“, sagt Ulrich vom Bündnis „Wem gehört Kreuzberg“. Sie agieren in ihrem Stadtteil, arbeiten zu ihren Themen. Das soll sich nun ändern: Der „Berliner Ratschlag“, der am Wochenende in der Technischen Universität stattfindet, soll all die verschiedenen Initiativen zusammenbringen. Ziel ist ein breites Bündnis, ein Kampf um die Stadt als Ganzes.
Das Vorbild ist Hamburg. Im dortigen Bündnis „Recht auf Stadt“ haben sich 56 Initiativen zusammengeschlossen. Mieten, sagt Ulrich (der wie auch die anderen Aktivisten nur seinen Vornamen in der Zeitung lesen will), sei dabei nur eine Arbeitsgruppe. Andere beschäftigten sich mit Freiräumen, mit Stadtplanung und öffentlichem Raum, Flüchtlingsrechten, Immobilienwirtschaft oder Repression.
Begonnen habe die Vernetzung hier mit der „Wem gehört Berlin“-Demonstration im vergangenen September. Die sei, sagt Ulrich, ein großer Erfolg gewesen. „Daran wollten wir anknüpfen. Und eine Vernetzung erreichen, die über eine einmalige Demonstration hinausgeht.“ Daraus entstand die Idee für den Ratschlag. Dort sollen sie alle zusammenkommen: Tempelhof-Ini und A100-Gegner, Arbeitslosengruppen, Energietisch, Studies gegen hohe Mieten. „Alle Initiativen, die für eine Stadt von unten kämpfen“, sagt Ulrich. „Wir stehen alle vor demselben Problem: Unsere Stadt wird ausverkauft. Und wir wollen uns gemeinsam fragen: Was können wir dagegen tun?“
Organisationserfahren
Viele, die mit zum Ratschlag rufen, sind erfahren im Organisieren und Vernetzen, in Stadtorganisation von unten. Ruth vom Bündnis für eine solidarische Stadt etwa hat schon gegen den Tiergarten-Tunnel gekämpft, sie arbeitet seit Langem als Sozialarbeiterin in verschiedenen Teilen der Stadt.
Etwas habe sich verändert über die letzten Jahre, sagt sie. Da war der Todesfall von Rosemarie F., die vergangenen April zwangsgeräumt wurde und zwei Tage später in einer Obdachlosenunterkunft starb. „Da haben wir gemerkt, dass selbst die Strukturen, die ebensolche Menschen unterstützen sollten, der Paritätische Verband, Sozialeinrichtungen, nicht mehr da sind. Sie sind durchökonomisiert, sie lassen die Menschen im Stich. Die Betroffenen merken das.“ Viele würden begreifen, dass sie sich selbst organisieren müssen, es gebe überhaupt allgemein ein großes Interesse, nicht nur in den linken Hochburgen, in Kreuzberg und Friedrichshain.
Aktuell kämpft Ruth für den Erhalt des Pinellodroms, eines sozialen Zentrums in Schöneberg, in dem sich ehemalige Psychiatrie-Patienten und „Behinderte“ treffen.
Als „linke“ Gruppe versteht sich das Bündnis für eine solidarische Stadt nicht. Die Zuschreibung ist nicht so wichtig, und das macht vielleicht all die Bündnisse aus, die sich jetzt im Ratschlag vernetzen und zusammenschließen wollen. Raus aus der Subkultur, der Szene soll es gehen, stattdessen gilt es, breite Bündnisse zu schmieden, mit den Betroffenen für eine andere Stadt kämpfen.
Das sieht auch Matthias so, er ist deutlich jünger als die Vertreter der anderen Initiativen. Er ist bei der linken Organisation Avanti aktiv und bei Blockupy, aber wenn er jetzt irgendwo auftritt, dann als Teil von Kotti & Co. Am Kottbusser Tor hat er bis vor Kurzem gewohnt, darüber ist er zur Initiative gekommen. Er spricht für die Initiative auf Podien, vor zwei Wochen hat er zusammen mit anderen Aktivisten und Experten in Kreuzberg eine Broschüre vorgestellt zur Problematik des ehemaligen sozialen Wohnungsbau in Berlin, in dem Tausende von Menschen von Verdrängung bedroht sind. Er sieht die Kämpfe in Berlin als Teil eines globalen und europaweiten Protestzyklus, er wünscht sich mehr Vernetzung. Mit den Gezipark-Aktivisten, nach Spanien, Griechenland.
Vernetzung mit anderen Städten, sagt Ulrich, laufe derzeit vor allem über Filme. Filme über Gentrifizierung in Istanbul, in New York, in London. Über den Widerstand dagegen. „Da merkt man, wie besonders die Bedingungen in Berlin immer noch sind. In Deutschland ist die Krise gerade noch nicht so heftig, die Gentrifizierung hat spät eingesetzt. In Paris, da kämpfen die Mittelschichten gemeinsam mit den Armen. Weil die Mieten so hoch sind, dass auch sie sich keine Wohnung mehr in der Stadt leisten können.“
Der Druck von unten
So dramatisch ist es in Berlin noch nicht. Aber das neue, alte Bedürfnis nach Vernetzung ist doch auch aus einem Gefühl geboren, trotz aller Präsenz, die die Initiativen in den Medien inzwischen haben, nicht wirklich etwas erreicht zu haben. Alle reden über Gentrifizierung – aber dennoch ist nichts passiert, was die Verdrängung und den Umbau der Stadt bisher tatsächlich stoppen würde.
Der Ratschlag wird dann auch wohl eher ein suchender Anfang werden. Druck von unten ist nötig, da sind sich alle einig. Und dass eine gewisse Akzeptanz der verschiedenen Aktionsformen, von Bürgerbegehren bis zu „stärkeren Formen von Widerstand“, nötig ist. Und auch, dass man „mehr ins Boot holen möchte“, die Initiativen für Freiräume, für andere Arten der Versorgung.
Aber haben nicht auch in Berlin die verschiedenen Akteure sehr unterschiedliche Interessen und Ausgangslagen? Die Bewohner der Sozialwohnungen und die Studenten, die Wohnungen für ihre WGs suchen, verdrängen nicht die einen die anderen? Nein, sagt Ruth, auch die Studenten hätten doch ein Bedürfnis nach bezahlbarem Wohnraum. Der Ratschlag will neue Bündnisse schaffen. Sich auf das Gemeinsame konzentrieren. Das Gemeinsame ist vor allem das, was all die Gruppen nicht wollen und doch nicht wirklich verhindern können: „Wir sind gegen Privatisierung“, sagt Ulrich. Für Selbstorganisation. Staatskritisch. Obwohl das ein strittiger Punkt ist zwischen den Gruppen. Oder einer werden könnte. Ulrich: „Das Verhältnis zur Politik, da gibt es sicher Diskussionsbedarf.“ Soll man Forderungen an die Politik richten, mit Parteien kooperieren? Oder nur Druck von unten, von der Straße machen?
Um theoretische Fragen geht es dabei weniger. Theorie, meint Ulrich, sei gut, wo sie die Praxis unterstütze, wo sie wirksam sei. Als Selbstzweck tauge sie nicht. Etwas unglücklich, finden die Ratschlag-Organisatoren, dass zeitgleich ein anderer Kongress stattfindet: Im Haus der Kulturen der Welt diskutieren am Samstag mit Saskia Sassen und Joseph Vogl zwei linke akademische Größen über „Das Prinzip Kapitalismus“. Die akademische Diskussion und die Fragen der praktischen Organisierung sind also auch räumlich getrennt. „Das sollte das nächste Mal anders sein“, sagt Ulrich. Aber der Ratschlag soll ja auch erst der Anfang der Vernetzung sein.