: Guru auf dem Giraffenthron
Indische Woche der Wahrheit: zu Besuch bei seiner Heiligkeit Ada Pasapenekattasingh
Gemächlich schaukelt die Mulikarawane über den Urwaldpfad. Das Trompeten der Elefanten, das Knurren der Tiger und das Zischen der Currysaucen-Pipelines beben in der Tropenluft. „Rosen und Dornen übersäen den Weg zum Meister“, vertraut uns Apu Nahasapeemapetilon, der Dolmetscher, vieldeutig an. Jäh setzt Monsunregen ein. Zeit, im wasserfesten Dossier des taz-Dokumentationsdienstes zu blättern.
Märchenhaftes wird über Adagalamada Pasapenekattasingh und seinen Ashram bei Haiderabad berichtet. So soll der circa 110-Jährige binnen eines einzigen Monats 8.000 Ölbilder gemalt, 50.000 Gedichte verfasst, 3.000 Sitar-Symphonien komponiert, 10.000 Romane diktiert und eine Million Frauen geschwängert haben. Doch weil er selbst sein schärfster Kritiker sei, habe er Bilder und Manuskripte den besonders Unberührbaren als Brenngut überlassen. Den Frauen habe er geraten, sich im Ganges zu ertränken. Das Prasseln des Monsunregens übertönt jetzt sogar das Geheul der Wölfe.
Am folgenden Abend sichten wir den Ashram „Friedensblüte“ – eine große Lichtung mitten im Urwald. Um ein Marmorschloss, das mit dem Taj Mahal wetteifern könnte, drängen sich zahllose Hütten aus gebackenem Kuhdung. Apu weist uns einen Schlafplatz im Keller des Palais an. Wir sind zu müde, um uns an den armlangen Insekten und beindicken Fröschen zu stören, die den Boden bewohnen wie ein lebender Teppich. Beim Frühstück begreifen wir, dass man uns in einer der Speisekammern untergebracht hat. Dürre Diener stellen ausgehöhlte Elefantenfüße vor uns hin, füllen sie mit siedendem Wasser, pflücken Gottesanbeterinnen und Knoblauchkröten von den feuchten Mauern und werfen sie in die qualmende Brühe. Garniert wird das Mahl mit Fledermaushirn und Vogelspinnweben. Einige Kinder tauchen mit Babyelefantenfüßen auf und betteln um eine milde Gabe. Wir zeigen uns großzügig. Gern!
Da erscheint Apu. Pasapenekattasingh erwartet uns zur Audienz! Wir schütteln Amphibienlaich und Fleischmaden von uns ab. Dennoch muss der Fotograf vor der Tür zum Thronsaal bleiben. Der Guru schätze es nicht, wenn man sich „auf westliche Weise“ ein Bild von ihm mache, erläutert Apu. Tatsächlich gibt es bislang nur eine einzige Aufnahme des Meisters. Sie zeigt ihn mit nach innen gedrehten Augen, im Zustand tiefster Meditation. Um so überraschter sind wir, als wir ihm gegenüberstehen: Der „Greis“ hat strahlend blaue Augen, den Körper eines Profi-Surfers und dicht gelocktes blondes Haar. „Nennen Sie mich Ed!“, sagt er, als wir vor seinem giraffenhohen Thron niederknien. Unsere vom Kellermoder durchtränkten Kleider scheinen seine Nase zu beleidigen: „Der Körper ist dein Tempel. Halte ihn sauber und rein, damit die Seele darin wohnen kann!“ Ehe wir ihn fragen können, wo die Duschräume sind, wiegt er den markigen Schädel und raunt: „Die Vermehrung des Glücks ist der Zweck der Schöpfung.“ Ob diese Sprüche nichts als Blech- und Blödgerede seien, wollen wir wissen. „Ed“ donnert uns an: „Ich bin, der ich bin! Wenn ich ein Dämon bin, dann bin ich eben ein Dämon. Punktum!“
Allmählich wird es uns zu bunt. Ein kalifornischer Surfer, der sich als Gottgesandter ausgibt und seine Gäste mit schlechtem Essen und miesen Witzen quält – das muss sich selbst ein unterbezahlter Wahrheit-Korrespondent sich nicht gefallen lassen. Wir haben nicht übel Lust, ihm die Lackaffenfresse zu polieren, und sagen ihm das auch. Er lächelt milde, als er antwortet: „Um jenseits der Gewalt zu sein, darf ich sie nicht unterdrücken, sie nicht ablehnen.“ Und hat uns schneller im Schwitzkasten, als wir „Krishna“ sagen können.
Als wir endlich wieder Luft bekommen, möchten wir wissen, wie er, „Ed“, es denn geschafft habe, zu Indiens bedeutendstem Guru und Poeten aufzusteigen. „Das“, sagt er und lässt lässig seinen Bizeps spielen, „war halb so schwer. Erstens: Übertreibe deine Taten! Wenn du einen Einkaufszettel geschrieben hast, erzähle den Menschen, du habest eine Enzyklopädie verfasst. Zweitens: Rede in Rätseln! Wer dich nicht versteht, der wird dies nämlich nie zugeben wollen. Und drittens: Gib einfach allen recht.“ Allen recht und jedem wohl getan, geben wir zu bedenken, ist eine Kunst, die keiner kann. Der Meister lächelt nachsichtig: „Mit der Einstellung bringen Sie es natürlich nie zu was.“ Und ein Arschtritt, der nicht von schlechten Eltern ist, befördert uns vor die Tür.
Bevor wir den Heimritt nach Haiderabad antreten, löffeln wir gedankenversunken in Affenaugensuppe, der regionalen Spezialität. Leider untersagt Apu uns, das Geschirr als Souvenir einzustecken. Er würzt sein Verbot mit einer echt indischen Weisheit: „Wo Elefanten sich bekämpfen, hat das Gras den Schaden.“ Und so verlassen wir den Ashram „Friedensblüte“ ohne Teller und Tüte. Shit! KAY SOKOLOWSKY