„Die Anerkennung muss gegenseitig sein“

Die Fatah hat ihren Machtverlust psychologisch noch nicht verschmerzt, sagt Wasfi Kabha, Minister im Hamas-Kabinett. Die Gewalt auf der Straße stehe einer Einheitsregierung aber nicht prinzipiell im Weg – sondern die Forderungen Israels

taz: Herr Minister, am Sonntag wurde Ihr Wagen in Brand gesteckt. Ist Ihnen selbst Gewalt angedroht worden?

Wasfi Kabha: Es stimmt: Mein Wagen, den ich neben dem Erziehungsministerium geparkt hatte, brannte ab. Mir persönlich ist aber nichts passiert. In den Nachrichten hieß es, ich sei entführt worden. Völliger Blödsinn.

Die Lage ist sehr angespannt. Fatah-Aktivisten drohen inzwischen sogar mit der Ermordung von Hamas-Politikern.

Der Dialog ist die einzige Lösung: Wir müssen uns auf eine gemeinsame Vision einigen und auf eine Einheitsregierung.

Ist das nach mehr als zwölf Toten auf beiden Seiten noch realistisch?

Ich hoffe schon. Es herrscht große Verwirrung auf der Straße. Beide Seiten bemühen sich aber, die Lage wieder zu beruhigen.

Die Verhandlungen zwischen Hamas und Fatah stecken fest. Woran liegt das?

Die Fatah wurde vom Wahlergebnis kalt erwischt. Sie war stets an der Macht und fand sich jetzt in die Opposition gedrängt. Diese Tatsache hat sie psychologisch noch nicht akzeptiert.

Die Fatah drängt – mit Blick auf die internationalen Hilfen – die Hamas zur Anerkennung Israels. Wo liegt das Problem?

Wie soll ein Toter seinen Henker anerkennen? Warum erkennt Israel nicht zuerst die Rechte des palästinensischen Volkes an? Warum müssen immer die Palästinenser zuerst Kompromisse eingehen? Warum drängt niemand Israel, einem Staat Palästina in den Grenzen von 1967 zuzustimmen? Die Anerkennung muss gegenseitig sein.

Worauf könnten sich Hamas und Fatah denn einigen?

Die Fraktionen haben sich schon vor Wochen geeinigt: auf das Gefangenendokument.

Sie meinen den Kompromiss, den eine Gruppe palästinensischer Gefangener aller Fraktionen in israelischer Haft ausgehandelt hat und mit dem Israel indirekt anerkannt wird?

Ja, es wurde von allen nationalen Bewegungen und den im Parlament vertretenen Fraktionen unterzeichnet. Von Seiten der Europäischen Union erreichen uns positive Signale, dass sie die Kontakte zur palästinensischen Regierung auf dieser Grundlage wieder aufnehmen würden.

Welche Rolle spielen der entführte israelische Soldat Gilad Schalit und ein geplanter Gefangenenaustausch bei den Koalitionsgesprächen?

Gilad Schalit wurde von mehreren Gruppen festgenommen: Mit ihnen verhandeln die ägyptische und die jordanische Regierung zusammen mit den Europäern. Weder Präsident Mah- mud Abbas noch Premierminister Ismail Hanijeh sind beteiligt. Als Regierung geht es uns nur um die 370 Häftlinge, die schon vor dem Oslo-Abkommen von 1993 inhaftiert waren: um 110 weibliche Gefangene und 350 Häftlinge, die unter 16 Jahre alt sind. Außerdem sollten 1.000 kranke Häftlinge entlassen werden.

Sie gehören zu den palästinensischen Ministern, die nach der Entführung Schalits verhaftet wurden, um eventuell als Faustpfand herzuhalten.

Wir Minister und Parlamentarier waren uns von Anfang einig, dass wir auf unserer bedingungslosen Entlassung bestehen würden. Die Verhaftung von Volksvertretern ist ein Verstoß gegen internationale Gesetze.

Sie wurden aufgrund der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verhaftet. Wie haben Sie den Richter von Ihrer Unschuld überzeugt?

Nach 16 Tagen höllischer Verhöre im Gefängnis „Kishon“, wo ich in einer schrankgroßen Zelle eingesperrt war, wurde ich zweimal dem Richter vorgeführt. Die Anklage lautete, dass ich ein Vertreter der Hamas sei und den Posten des Ministers im Auftrag einer Terrororganisation übernommen hatte, was ich bestritt. Ich argumentierte, dass die Regierung aus demokratischen Wahlen hervorgegangen sei, die Israel sogar selbst in Jerusalem genehmigt hatte.

Aber sind Sie nicht Mitglied der Hamas, die in Israel als Terrororganisation gilt?

Ich habe als Minister einen Eid auf die palästinensische Verfassung geschworen: Ihr bin ich verpflichtet, nicht dem Programm der Hamas. Es besteht ein enormer Unterschied zwischen der Regierung und der Hamas. Niemand in der Hamas kann für das Kabinett entscheiden und umgekehrt. Diese Regeln galten auch für die frühere Regierung der Fatah. Damals wurden nach Operationen …

also Terroranschlägen …

… der Al-Aksa-Brigaden auch keine Minister verhaftet. Warum also jetzt? Ich will es Ihnen sagen: Weil hier der Versuch unternommen wird, diese Regierung zum Scheitern zu bringen.

Welche ideologischen Unterschiede gibt es denn zwischen der Regierung und der Hamas?

Wir sind mit dem Motto „Reform und Veränderung“ als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen: Das kündet schon von unserem Wunsch, den Verwaltungsapparat zu modernisieren.

In der Vergangenheit war es außerdem üblich, vor der Einstellung eines palästinensischen Arbeitnehmers die Zustimmung der Sicherheitsdienste einzuholen. Keine Gesellschaft, die Freiheit als wichtig empfindet, kann so etwas zulassen. Wir müssen unseren jungen Menschen jede Möglichkeit offen halten.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL

CHARMAINE SEITZ