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Archiv-Artikel

Korruptionsfall Schanghai weitet sich aus

In der chinesischen Hafenstadt werden Firmenchefs von Parteifunktionären verhört. Es geht um veruntreute Gelder und zweifelhafte Immobiliengeschäfte. Damit will Parteichef Hu seine Macht gegen andere Seilschaften im Apparat sichern

In den Augender Bevölkerungist die Korruption unerträglich

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

„Wir bessern die Innenausstattung aus“ steht auf einem Schild am Eingang des Hotels „Moller“ in der Shaanxi-Straße im Zentrum von Schanghai. Doch dies stimmt nicht: Das einst von einem schwedischen Reeder mit Türmchen und vielen Erkern ausgestattete Schlösschen beherbergt derzeit viele Gäste, die seltsamerweise nie die Vorhänge aufziehen. Schwarze Limousinen passieren das schmiedeeiserne Tor, aus denen Passagiere eilig herausspringen, Polizeiwagen stehen vor der Tür, Uniformierte und Zivilbeamte beobachten scharf die Umgebung.

Rund einhundert Inspektoren aus Peking sind hier abgestiegen – Abgesandte im Kampf gegen die Korruption. Die Disziplinkommission der Kommunistischen Partei – eine Art interne Kriminalpolizei für die 70 Millionen KP-Mitglieder – hat sie in die Hafenstadt entsandt, um korrupte Genossen zu entlarven und Abermillionen Euro veruntreuter Gelder aufzuspüren. Was als städtischer Korruptionsskandal begann, hat sich inzwischen zu einer politischen Affäre auf höchster Ebene ausgeweitet. Längst geht es nicht mehr um umgerechnet 400 Millionen Euro aus dem Pensionsfonds der Stadt, die abgezweigt oder fehlinvestiert wurden, sondern auch um zweifelhafte Immobiliengeschäfte. Mittlerweile sollen die Anti-Korruptions-Inspektoren der Partei mindestens zehn Schanghaier Firmenchefs zum Verhör geholt haben.

Mit dem Schanghaier Parteichef Chen Liangyu, der zugleich Mitglied des mächtigen Pekinger Politbüros und des Zentralkomitees der KP war, wurde am 25. September zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder ein Kader der engsten Führungsspitze gestürzt. Die Säuberungswelle hat inzwischen eine Reihe hoher Funktionäre in Schanghai, Peking, Tianjin und einigen Provinzen erfasst. Der geschasste Schanghaier Parteichef Chen gehörte zu jenen Provinzfürsten, die sich gegen Weisungen aus Peking aufgelehnt hatten. Chen weigerte sich, die Baufirmen Schanghais stärker zu kontrollieren, die Spekulationsgeschäfte am Immobilienmarkt förderten.

Wie bei parteiinternen Säuberungskampagnen üblich, wurden nicht Polizisten, Staatsanwälte oder Richter ausgeschickt, sondern Partei-Fahnder. Chinas Zeitungen dürfen nicht recherchieren, wer an den trüben Geschäften beteiligt war, in die öffentliche Rentengelder flossen. Welche der KP-Größen, Familienmitglieder und Freunde schließlich vor einem Richter landen, entscheidet allein die Partei.

Obwohl sich viele Chinesen nicht um Politik scheren, haben die Vorfälle in Schanghai im ganzen Land Diskussionen ausgelöst. Thema ist vor allem, warum es gerade Chen und nicht andere Politiker erwischt hat, die als käuflich gelten. In den Augen der Bevölkerung hat die Korruption unerträgliche Ausmaße erreicht.

Für Staats- und Parteichef Hu Jintao geht es derzeit vor allem darum, seine Macht gegen andere Seilschaften in der KP zu sichern. Das kann er nur, wenn er loyale Funktionäre in der Zentrale und den Provinzen des Riesenreiches hat.

Bis zum nächsten Parteitag im Herbst 2007 sind rund 170.000 Parteiämter neu zu besetzen – von den Spitzen der Provinzen bis hinunter in die Kreisstädte. Trotz aller wirtschaftlichen Reformen, die China in den letzten Jahren in ein faktisch kapitalistisches Land verwandelt haben, funktioniert die Regierung nach altem leninistischen Prinzip: Das letzte Wort haben nicht etwa Bürgermeister oder Regierungschefs, sondern die Parteifunktionäre.

Um den Parteitag vorzubereiten, versammeln sich ab Sonntag in Peking die 300 Mitglieder des Partei-Zentralkomitees zu einem dreitägigen Treffen. Dabei wird Hu versuchen, die Delegierten auf seine politische und personelle Linie einzuschwören. Hinter seinem Slogan einer „Harmonischen Gesellschaft“ verbirgt sich eine Politik, in der die wirtschaftlichen Reformen weitergetrieben, zugleich aber drängende Probleme bei Sozialversicherung, Umweltschutz, Gesundheitsversorgung und Bildung stärker als bislang angepackt werden sollen.

Das Geschehen in Schanghai zeigt, dass Hu und seine KP noch weit entfernt sind von einer harmonischen Gesellschaft. Ob da Parolen helfen, wie sie jetzt am Hotel Moller hängen: „Wir müssen die richtige Auffassung von Ehre und Scham durchsetzen“?