: Das Montagsinterview„Der Beamtenberuf war eine Sackgasse“
Als Beamter, sagt Lars Münster, kannst du dir deine Pension schon am ersten Tag ausrechnen. Das wollte er nichtSICHERHEIT ODER SPASS Der Hamburger Lars Münster hatte genug von der Schreibtischarbeit. Er kündigte, verließ alle Sicherheiten und wurde Personal-Fitness-Trainer. Zusammen mit seinem Partner bringt er jetzt eine Modelinie heraus – und präsentiert sie auch noch selbst
26, Hamburger, studierte bis 2008 Public Management, war „Beamter am gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienst an der Behörde für Wirtschaft und Arbeit“ und hat in der Abteilung Arbeitsmarktpolitik als Zuwendungssachbearbeiter für den Europäischen Sozialfonds gearbeitet.
Seit September 2009 ist er Personal und Group Fitness Trainer.
Seit März 2010 vermarktet er die Modelinie seines Freundes, betreut die dazugehörige Internetseite www.timgold.com, für die er auch selbst modelt.
INTERVIEW KATHARINA GIPP
taz: Herr Münster, was war so stark, dass es Sie aus dem sicheren Beamtenberuf herausreißen konnte?
Lars Münster: Ich habe schon während des Studiums und meiner Ausbildung gemerkt, dass es nicht das ist, was ich mein Leben lang machen möchte. Ein Beamtenverhältnis ist zwar sicher, aber es gibt keine Anreize. Man weiß ganz genau: In 40 Jahren werde ich das immer noch machen. Das war für mich keine besonders schöne Vorstellung. Zudem sind finanzielle Anreize gar nicht gegeben. Wenn Kollegen viel weniger arbeiten als du selbst, bekommen sie genau das gleiche Geld, weil sie sich in der gleichen Gehaltsstufe befinden. Herausgetrieben hat mich der Gedanke, dass ich etwas machen musste, was mir gar nicht richtig Spaß bringt – und das auch noch hinter dem Schreibtisch.
Wann ergab sich eine Alternative?
Als ich meinen Partner kennenlernte, der Personal Trainer ist, und mir klar wurde, dass das ein Beruf ist, der mir auch gefallen könnte. Ich war sowieso jeden Tag im Fitnessstudio. Das ging dann Hand in Hand.
Hätte es eine Alternative zum Sport gegeben, wenn Sie Ihren Partner nicht kennengelernt hätten?
Ich hätte wahrscheinlich versucht, nebenberuflich im Sportbereich zu arbeiten, oder hätte irgendwann noch mal angefangen zu studieren. Der Beamtenberuf war für mich eine Sackgasse. Obwohl ich gerade erst angefangen hatte, habe ich schon das Ende gesehen. In mir drin wollte es weitergehen.
Warum haben Sie dann überhaupt Public Management studiert?
Ich wollte zu Schulzeiten auf jeden Fall in die Richtung Betriebswirtschaft gehen. Das Angebot des Hamburger Senats war da sehr attraktiv für mich: Eine vergütete Ausbildung zum Beamten im gehobenen Dienst im dualen Studium. Es erschien mir grundsolide und hörte sich nicht uninteressant an. Zudem bin ich ja auch Hamburger und der Stadt sehr verbunden. Es war aber nie mein Traumberuf.
Wie verlief Ihre Ausbildung?
Wir hatten vier Semester Theorie und zwei Praxissemester. Das Studium war, wie es sich herausstellte, relativ realitätsfern und nicht unbedingt in der Verwaltungspraxis anwendbar. Wer Betriebswirtschaftslehre auf die Verwaltung überträgt, der hat meistens die Verwaltung von innen noch nicht gesehen und stellt sich allerlei utopische Zustände vor.
Wie verlief Ihr Arbeitsalltag?
Ich war Sachbearbeiter im Europäischen Sozialfond. Ich habe Anträge reinbekommen, bei denen ich das Zahlenwerk prüfen musste. Im Großen und Ganzen war es jeden Tag das Gleiche. Das ist Rechenschieberei, mehr nicht. Während meiner Ausbildung habe ich allerdings andere Bereiche kennengelernt, die vielleicht ein bisschen spannender waren. Das waren aber die Exotenarbeitsplätze innerhalb der Verwaltung. Die Chance, in die Presseabteilung zu kommen, war verschwindend gering. Ein Gros der Verwaltung arbeitet einfach irgendwelche Anträge ab und hat hin und wieder mit Kunden zu tun. Die einen machen ihren Dienst nach Vorschrift von acht bis 16 Uhr und gehen dann nach Hause und sind damit glücklich, andere Leute sind früh da und bleiben bis spätabends, wollen was erreichen. Gerade wenn man jung ist, möchte man ja viel machen. Aber man macht eigentlich die Arbeit von all denen mit, die nur bis 16 Uhr da sind – und bekommt die gleiche Vergütung.
Gab es im Beamtentum keine Aufstiegschancen?
Doch, natürlich. Das läuft aber alles über Bewerbungen. Dabei ist immer die Laufbahn entscheidend. Du bist, wenn du dual studiert hast, in der gehobenen Laufbahn, fängst mit Besoldungsstufe A9 an und hörst bei A12 auf. Bei A12 ist Schicht im Schacht, wenn du nicht ein weiteres Studium anfängst. Dann kannst du dir im Prinzip heute schon deine Pension ausrechnen.
Was haben Ihre Kollegen zu Ihrer Kündigung gesagt?
Viele haben es mir gegönnt, fanden es gut, dass ich den Schritt wage. Sie selbst würden es eigentlich auch gerne machen, aber sie haben keine Alternative. Auf der anderen Seite gab es natürlich aber auch Skeptiker, die meinten, das werde ja sowieso nichts. Der übelste Spruch war: „Wir sehen uns dann auf der Mönckebergstraße, wenn du nach Geld bettelst“. Ich weiß nicht, ob das Neid war, oder ob derjenige wirklich nicht dachte, dass man aus eigenem Antrieb so viel erreichen kann.
Wie haben Freunde und Familie reagiert?
Meine Freunde waren sehr positiv. Schon während des Studiums hat jeder mitbekommen, dass das für mich nicht das Richtige war. Meine Familie hatte da schon eher Bedenken – was ich aber nachvollziehen konnte. Denn ich gab ja eine gewisse Sicherheit auf. Heute sind diese Bedenken vergessen. Meine Familie steht hinter mir und freut sich, dass ich einen guten Job mache, der mir Spaß macht. Nur meine Großmutter fragt hin und wieder, ob auch wirklich alles klappt.
Vermissen Sie Ihren ehemaligen Job?
Richtig vermissen tue ich eigentlich nichts. Höchstens meine Arbeitskollegen, mit denen ich mich nett unterhalten konnte. Dafür lerne ich jetzt immer wieder neue Menschen kennen.
Wie oft kündigen Beamte denn so im Schnitt?
Ich glaube, das kommt einmal in 20 Jahren vor. In meiner Stammbehörde kennt mich, glaube ich, inzwischen jeder. Wenn nicht vom Sehen, dann vom Hören – eben als denjenigen, der gekündigt hat.
Sind Ihre Kommilitonen von damals zufrieden mit ihren jetzigen Jobs?
Nein. Schon während des Studiums haben sie gesagt, das sei nicht das, was sie sich vorgestellt hatten und eigentlich auch nicht das, was sie ihr Leben lang machen möchten. Aber ich glaube, auch ihnen fehlt die Alternative.
Welche Konsequenzen hatte Ihre Kündigung?
Ich habe sämtliche Ansprüche verloren. Und meine Ausbildungsvergütung muss ich zurückzahlen. Ich muss – wie es so schön heißt – Lehrgeld zahlen.
Wussten Sie bei Ihrer Kündigung schon etwas über Ihren künftigen Beruf?
Ich hatte fast keine oder nur sehr wenige Erfahrungen in meinem neuen Beruf, habe aber trotzdem meine Kündigung eingereicht. Das war natürlich sehr riskant. Ich habe nicht gewusst, ob das funktionieren würde. Aber durch die Unterstützung meines Partners war ich sicher, dass es klappen würde. Er hat mir so viel Halt gegeben, dass ich alle Zweifel über Bord warf habe. Außerdem hatte ich einen Plan B.
Nämlich?
Noch mal an die Uni zu gehen und etwas zu tun, was mir Spaß macht – Romanistik oder Anglistik zum Beispiel.
Aber Plan A hat funktioniert.
Ja, und zwar wirklich von heute auf morgen. Ich habe Trainerlizenzen gemacht, für alle Bereiche, in denen ich arbeiten wollte. Dadurch, dass mein Freund damals schon Personal Trainer war und viele Kontakte hatte, bin ich in vieles reingerutscht. Meinen ersten Personal Training Kunden habe ich über unsere Internet-Seite bekommen. Meine ersten Aerobic-Kurse habe ich in dem Studio gegeben, in dem ich ausgebildet worden bin. Und so ging es weiter. Mit jedem neuen Kontakt öffneten sich weitere Türen.
Arbeiten Sie auf etwas Bestimmtes hin?Konkrete Ziele entstehen immer zwischendurch. Gerade als Selbstständiger muss man viel unternehmen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Ich glaube, man hört nie auf, etwas Neues zu finden. Ich habe jetzt auch eine Ausbildung zum Schmerztherapeuten gemacht. Ein weiteres Projekt ist die Modekollektion, eine Idee meines Freundes. Er hat schon immer davon geträumt, Sportklamotten herzustellen, die nicht nur funktionell sind, sondern auch optisch was hermachen. Anfang diesen Jahres hat er sich entschlossen, seine Pläne umzusetzen. Dann ging alles relativ flott von den ersten Ideen bis zu den ersten Einzelteilen.
Und welchen Part spielen Sie?
Ich bin für die Promotion zuständig – und ich bin das Gesicht unserer Werbekampagne. Wir haben uns gesagt, wir sehen passabel aus, machen viel Sport: Könnte passen, dass wir uns selbst repräsentieren.
Waren Sie immer modebewusst?
Eigentlich schon. Ich gehe nicht ungestylt aus dem Haus.
Was gefällt Ihnen besonders an Ihrem neuen Leben?
Dass ich aufstehe und etwas machen darf, was mir Spaß macht. Ich gehe meistens mit einem Lächeln zu einem Kunden und dann zufrieden wieder nach Hause. Das Schönste ist, wenn jemand sagt, das war toll, das hat mir viel gebracht. Dann sieht man, man bewirkt was.