Kühler Empfang

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der Besuch von Kanzlerin Merkel in der Türkei steht unter keinem guten Stern. Das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei ist nach Eröffnung der Beitrittsverhandlungen vor einem Jahr an einem Tiefpunkt angekommen, und Angela Merkel, vor allem aber ihre Partei, ist aus türkischer Sicht dabei eher ein Teil des Problems als Teil einer Lösung. Während ihrer ersten Pressekonferenz gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan gestern Nachmittag beschränkten sich beide Staatschefs auf freundliche Belanglosigkeiten und Fragen der Integration türkischer Migranten in Deutschland.

Der Kontrast zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder könnte kaum größer sein. Wo Schröder und Ex-Außenminister Fischer die EU-Türkei-Beziehungen aktiv unterstützt haben, kommt von Merkel entweder vornehme Zurückhaltung oder aber die Mahnung, die Türkei solle nun endlich ihre Versprechen einhalten und die griechisch-zypriotische Republik völkerrechtlich anerkennen. „In dieser Frage“, so Merkel noch vor ihrem Abflug, „wird es für die Türkei keinen Rabatt geben.“ Das betonte sie auch auf Nachfrage noch einmal in Ankara. Was sich so logisch anhört, ist aber auch nur die halbe Wahrheit, wie in der Türkei bitter vermerkt wird (siehe unten stehenden Artikel).

Deshalb besteht in der Türkei auch der Verdacht, das massive Drängen auf eine Anerkennung Zyperns sei letztlich nur der verdeckte Versuch, die von der CDU/CSU so vehement kritisierten türkischen Beitrittsverhandlungen auf dem Umweg über Zypern zu beenden. Warum, so wird gefragt, hat die EU ihrerseits ihre Versprechen, den Wirtschaftsboykott gegen die türkischen Zyprioten zu beenden, nicht eingehalten? Die Enttäuschung ist mittlerweile so groß, dass zurzeit geradezu eine Anti-EU-Atmosphäre vorherrscht.

Angeheizt wird diese Stimmung von den Gegnern der regierenden moderat-islamischen AKP und ihrem Ministerpräsident Erdogan, der sich mit dem EU-Projekt identifiziert hat. Die wachsende Islamphobie im Westen, die Forderungen nach sofortiger Anerkennung Zyperns und der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern sind Steilvorlagen für die Nationalisten, die Erdogan damit in Bedrängnis bringen. Gerade die Islam-Debatten wecken darüber hinaus auch in Erdogans eigener Partei wachsende Zweifel, ob die Türkei wirklich Mitglied „im Christenclub“ werden kann und soll.

Der Besuch Angela Merkels wird diese Zweifel eher verstärken als zerstreuen. Zur Vorbereitung ihres Besuchs war CDU-Generalsekretär Roland Pofalla vor zwei Monaten in der Türkei, um dabei lediglich einer Frage nachzugehen: Wie geht es den Christen im Land? Das ist sicher auch ein Thema, allerdings mutet es doch etwas seltsam an, wenn die Beziehungen Deutschlands zur Türkei sich auf diese Frage beschränken. Merkel wird aber an dieser Stoßrichtung festhalten: Nach dem obligatorischen Treffen mit Wirtschaftsführern wird ihr wichtigster Gesprächspartner heute der orthodoxe Patriarch Bartholomäus sein. Das in Istanbul residierende spirituelle Oberhaupt der weltweiten Orthodoxie trifft sie gleich zweimal. Zuerst unter vier Augen und dann noch einmal gemeinsam mit Ministerpräsident Erdogan, dem armenischen Patriarchen Mutafyan, dem Mufti von Istanbul Mustafa Cagrici und dem jüdischen Oberrabbiner Isak Haleva.