: „Der Deutsche hatte die Füße auf dem Tisch“
Murat Kurnaz war auf der Heimreise nach Bremen, als er gekidnappt wurde. Im Stern erzählt er über seinen Glauben und sein Leben im Lager Guantanamo – und über die Deutschen, die ihn gequält und verhört haben – schon zwei Wochen nachdem ihn Pakistani an die USA verkauft hatten
Scheckbuch-Journalismus ist immer eine brenzlige Angelegenheit. Wer Geld bekommt für seine Bereitschaft, sich den Fragen eines Journalisten zu stellen, muss etwas „liefern“. Und für Geld wird leichter mal erfinderisch nachgeholfen als sonst, gerade der Stern weiß das.
Das exklusiv erkaufte Kurnaz-Interview im Stern dieser Woche rechtfertigt allerdings nicht besonderes Misstrauen – die große Sensation ist die Tatsache des Interviews. Da scheint nichts Aufgebauschtes, erstaunlich unaufgeregt und geradezu ruhig schildert Kurnaz die Methoden der Folter. Wie der inzwischen 24-jährige Murat Kurnaz sich selbst schildert, erscheint konsistent, da gibt es keinen Hinweis auf eine doppelte Identität: Ein Schiffbauerlehrling, der sich als Disco-Türsteher Geld verdient und in der Religion Halt sucht. Und einräumt, dass er vielleicht damals etwas naiv war, nach dem 11. September nach Pakistan zu reisen.
Nach dem, was Kurnaz da erzählt, haben die deutschen Behörden von Anfang an gewusst, dass da ein junger Mann aus Bremen in die Fänge der USA geraten war. „Ich hatte schon Souvenirs für die Heimreise gekauft“, erzählt Kurnaz da, auf dem Weg zum Flughafen sei er am 1. Dezember 2001 an einem pakistanischen Checkpoint aus dem Bus geholt worden – die wollten sich offenbar ein Kopfgeld verdienen, 3.000 Euro ist ihm später als Preis genannt worden. Kartoffelsack über den Kopf – weg. Da gab es einen Mann vom Roten Kreuz, der für ihn einen Brief an seine Familie geschrieben hat – der Brief landete offenbar direkt in den Händen seiner Peiniger. Schon bei den ersten Verhören wurde er mit Details konfrontiert: Wo er vor der Pakistan-Reise die Digitalkamera gekauft hatte, an wen er das Handy verkauft hatte. „Ich hatte keinen Zweifel, dass sie mit deutschen Behörden zusammenarbeiteten“, sagt er.
Zwei Wochen später kommen die Deutschen dann direkt zu ihm. „Es hieß, zwei deutsche Soldaten wollten mich sehen.“ Vermummte seien das gewesen. Er musste sich auf den Boden legen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. KSK, fragt der Stern. „Kann sein“, sagt Kurnaz. „Er hat meinen Kopf auf den Boden geschlagen, und die Amerikaner fanden das lustig.“
Diese kleine Episode zeigt nicht nur, dass die deutschen Behörden von Anfang an informiert waren über die Verhaftung. Offenbar gab es auch einen Korpsgeist beim Quälen der Gefangenen. Man könnte die Frage aufwerfen, ob das Verteidigungsministerium, das verantwortlich ist für die Einsatzkräfte, einmal erkundet hat, was die Deutschen von den Folterungen im US-Gewahrsam wussten.
Und während die Bundesregierung bisher ein Verhör durch deutsche Beamte im Herbst 2002 eingeräumt hat, erzählt Kurnaz von zwei Verhören. Wie laufen deutsche Verhöre in Afghanistan ab? „Der Deutsche hatte die Füße auf den Tisch gelegt, öffnete seinen Laptop und flüsterte mit dem Amerikaner. Etwa zwei Stunden lang ging das so.“ Dann habe er Kurnaz vorgeworfen, die Zeit seit dem ersten Verhör „nicht genutzt“ zu haben, seine Unschuld zu beweisen. „Sie haben morgen noch eine letzte Chance. Aber ich habe wenig Zeit. Überlegen Sie sich gut, was Sie sagen.“ Der deutsche Beamte wird gewusst haben, warum er dem Gefangenen die Möglichkeit verwehrt hat, einen Anwalt hinzuzuziehen.
Vor allem geht es in dem Bericht von Kurnaz um die Haftbedingungen, um die Strategien der Demütigung und der Folter – und um die Frage, wie man so etwas überleben kann. „Zum Verhör haben sie mich mit Elektroschocks an den Füßen vorbereitet“, berichtet er. Willkür ohne Grenzen. „Einmal kam ich für drei Monate und fünf Tage in die Isolationszelle, weil mein Vernehmer mit meiner Aussage nicht zufrieden war. Oft gab es Strafen, für die kein Grund zu erkennen war. Guantanamo ist ein Ort ohne Gesetze, dafür wurde es geschaffen.“
Kaum vorstellbar, wie ein Mensch diese Behandlung über Jahre aushalten kann, zumal jede Hoffnung auf ein Ende fehlte. An kleinen Hoffnungsträgern scheinen sich die Gefangenen aufgerichtet zu haben, zum Beispiel den Iguanas. „So nannten wir die großen Geckos, die haben uns besucht, da konnten die Amerikaner machen, was sie wollten.“ Die US-Lagerwachen wollten auch das unterbinden, aber die Iguanas kamen zu den Essenszeiten. „Ich habe sie manchmal gefüttert, obwohl das verboten war. Dann wurde ich halt bestraft, musste in die Isolationszelle.“
Was sind Schikanen? „Ich wurde mal beschuldigt, ich hätte meinen Plastiklöffel nach dem Essen nicht abgegeben.“ Er habe die Wächter aufgefordert, in der Zelle nachzusehen. „Stattdessen kam der Trupp. Zuerst sprühen sie Pfefferspray in die Zelle. Dann wird das Wasser abgestellt im ganzen Block, damit auch keiner aus einem Nachbarkäfig dir etwas geben kann, um die Augen auszuwaschen. Sie warten fünf bis zehn Minuten, bis du nichts mehr siehst, dann kommen sie rein, springen auf dich, du wirst zu Boden geworfen.“ 30 Tage Isolationshaft war die Strafe.
Wie hält man das aus, über Jahre? „Man ist schon etwas beschäftigt“, sagt Kurnaz. Zum Beispiel mit der Kälte. „Dann setzt man sich in die Ecke, versucht, dem Strom der Kaltluft auszuweichen.“ Man muss vor allem die Finger bewegen – aber nicht zu sehr. „Man bekommt ja nur drei Scheiben Toast am Tag, mit ein paar Gurken und Tomaten.“ Am schlimmsten sei es, wenn die Lüftung ganz abgeschaltet wird, erzählt Kurnaz, „dann muss man sich hinlegen, sonst kippt man um“. Wovon träumt man im Lager? Man denke viel über das Essen nach sagt Kurnaz, denke „an die nächste Scheibe“, denke über das Leben nach. „Warme Socken, wie wunderbar die sind in der Kälte.“
Und der Tagesablauf? „Meist begann es mit einem Gebetsruf“, erzählt Kurnaz, über Lautsprecher. Manchmal übertönten die US-Wärter das mit lauter Rockmusik oder mit der amerikanischen Nationalhymne. Dann kam das Frühstück – „das Tablett musst du mit dem Rücken zur Zellentür annehmen, damit du die Wärter nicht angreifen kannst. Dann Schlafen, Verhöre, durch die Gitter mit deinen Zellennachbarn reden, den Koran lesen, beten.“
Im Oktober 2004, nach drei Jahren Isolationshaft, bekam Kurnaz erstmals Besuch von einem amerikanischen Anwalt. „Ich zweifelte, ob er auf meiner Seite stand“, sagt er. Der Mann habe erklärt, dass er alles, was er von den Besuchen mit dem Gefangenen mitbringe, den Amerikanern zeigen müsse. Immerhin habe er einen Zettel dabei gehabt, „von meiner Mutter“.
kawe