EMOTIONSMANAGEMENT GEGEN RECHTSPOPULISMUS : Symbolische Integration
KNAPP ÜBERM BOULEVARD
Der Rechtspopulismus hat nun also auch Deutschland erreicht. Überall in Europa greift er – langsamer oder schneller – um sich: Österreich, Niederlande, Schweiz etc. Mancherorts hat er bereits feste parteipolitische Form angenommen. In Deutschland hingegen befindet er sich – noch – in einem gesellschaftlichen Aggregatzustand: ein prä-(partei-)politischer Populismus. Es ist also dringend nötig, sich mal wieder damit auseinanderzusetzen.
Durch Thilo Sarrazin ist etwas aufgetaucht, das längst überwunden schien. In der alten Bundesrepublik durch (vorgebliche) Sachlichkeit und Vernunft und in der Berliner Republik durch die Vorherrschaft eines ökonomischen Denkens: die Tatsache, dass Politik eine hochgradig emotionale Angelegenheit ist. Auch und gerade in Demokratien, die sich als rein rationale Form der politischen Organisation verstehen.
Gerade in Zeiten, wo eine tiefe Spaltung der Gesellschaft entlang der „Migrationsfrage“ aufbricht, muss sich die Theorie und mehr noch die Politik diesem Thema zuwenden. Selbst die Wirtschaftswissenschaften, deren Gegenstand die Inkarnation von Rationalität und harten Fakten zu sein scheint, hat den „emotional turn“ vollzogen und sich den „weichen“ Tatsachen des Emotionalen zugewandt. Das erste grundlegende und hartnäckige Missverständnis, von dem sich die Politik verabschieden muss, ist die Zuordnung: Emotionen seien das Gegenteil von Rationalität. Es gibt nicht entweder rationale Sachprobleme oder emotionale Konflikte. Helmut Dubiel – bei dem es sich lohnt nachzuschlagen – hat vor vielen Jahren einen Aufsatz über teilbare und unteilbare Konflikte geschrieben. Da prangerte er die strikte Unterscheidung zwischen „teilbaren“, also verhandelbaren, messbaren, monetär buchstabierbaren Konflikten und sogenannten unteilbaren, also kulturellen, identitären, emotionalen Konflikten an. Jede Tarifverhandlung – Inbegriff des Teilbaren – sei auch ein Verhandeln von Identitäten und Anerkennungsverhältnissen und insofern emotional aufgeladen. So wie sich auch jede religiöse oder kulturelle Auseinandersetzung – zumindest partiell – ins Teilbare übersetzen lässt.
Weitergedacht bedeutet dies, dass Emotionen eine wesentliche politische Ressource sind. Das ist die „Wahrheit“ des Populismus, seine „Erkenntnis“, die Deutschland kalt erwischt hat. Der springende Punkt dabei ist, dass diese Wahrheit nicht nur für den Populismus gilt: Jede Form der Politik, wirklich jede, beruht auf einer Gefühlsgrundlage. Das ist genau das, was alle Parteien (gerade auch nichtpopulistische) verstehen müssen.
Daraus folgt zweierlei: Man darf den Kampf gegen den Populismus nicht als einen Feldzug der Vernunft gegen die Unvernunft missverstehen. Dann hat man diesen nämlich bereits verloren. Ressentiments und Vorurteile lassen sich nicht einfach aufklären, und gegen sie lässt sich nicht vernünftig argumentieren. Die Träger des Ressentiments glauben an dieses wie der Fetischist an seinen Fetisch. Auch dieser ist, wie Freud schreibt, resistent gegen das „Dementi der Realität“. Daraus folgt nun, dass die Parteipolitik ihr Selbstverständnis revidieren muss: Sie darf ihre Aufgabe nicht darauf beschränken – und „beschränken“ mag in diesem Fall absurd klingen, trifft die Sache jedoch ziemlich genau –, Probleme zu lösen. Ihre Aufgabe besteht nicht nur darin, Sachfragen sachlich abzuhandeln.
Sie muss vielmehr erkennen, dass Politik auch und im wesentlichen Ausmaß „Emotionsmanagement“ ist – nach dem Wort von Frank Nullmeier, einem anderen Gewährsmann in diesen Fragen. Emotionsmanagement, das meint symbolische Politik, Politik also, die Gefühle anspricht, weckt, aber auch einhegt. Dazu muss die Politik ein altes Missverständnis verabschieden: Gefühle sind auch im Politischen nicht per se pathologisch. Nur dann versteht man, dass ein populistisches Moment erst dann möglich wird, wenn den bisherigen emotionalen Bindungen der Boden entzogen wurde, wenn diese zu „vagabundierenden Potenzialen“ (Dubiel) werden. Gerade in Zeiten, wo die Nachkriegslösung einer sozialstaatlichen Integration, die gleichzeitig eine ökonomische und eine emotionale war, sinkt, braucht es etwas Neues: eine neue symbolische Integration. Das ist die Aufgabe der Politik.
■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien