: Sieg des Körpers
KUNST Die weibliche künstlerische Existenz als Lebensentwurf gegen das Verschwinden: Die Sammlung Verbund in Wien zeigt 80 Fotografien der Künstlerin Francesca Woodman
VON BRIGITTE WERNEBURG
Sie hat sich hinter Tapeten verkrochen, in die Ecke verdrückt, in einer Vitrine voll ausgestopfter Tiere und Vögel versteckt und im Sand verbuddelt. Und dabei hat sie sich fotografiert. Zum ersten Mal mit dreizehn Jahren. Und dann hat sie sich, mit gerade einmal 22 Jahren, umgebracht. Wenig verwunderlich, dass Francesca Woodmans künstlerischer Nachlass, dieses melancholische Versteckspiel vor der Kamera, bei seiner Entdeckung fünf Jahre nach ihrem Tod, nur noch so interpretiert werden konnte, als habe sie darin schon ihr eigenes, freiwilliges Fortgehen aus der Welt antizipiert.
Gabriele Schor will aus dieser engen Sichtweise ausbrechen. Die Leiterin der Sammlung Verbund aus Wien erwirbt seit deren Gründung im Jahr 2004 kontinuierlich die Werke der 1958 in Denver, Colorado, geborenen Künstlerin. Inzwischen hält die Sammlung den umfangreichsten Bestand von Woodman-Arbeiten neben dem Nachlass-Archiv. Mit der aktuellen Ausstellung im Treppenhaus des Wiener Stammsitzes der Sammlung, in der sogenannten Vertikalen Galerie Am Hof, versuchen Gabriele Schor und ihre MitstreiterInnen noch einmal neu anzusetzen, vorneweg Elisabeth Bronfen als Mitherausgeberin des Bestandkatalogs.
Die Züricher Literaturwissenschaftlerin sorgte Anfang der 1990er Jahre mit ihrem Befund, dass tote Menschen in Literatur und Kunst unverhältnismäßig oft weiblich und schön sind, international für Furore. Woodmans vorzeitiges Ende, das viel zu ihrer späteren Celebrity beitrug, musste für Bronfen zunächst im Zentrum ihrer Betrachtung stehen. Heute interessiert sie Woodman als Künstlerin, die sich seriös, souverän und doch spielerisch mit der Kunstgeschichte auseinandersetzte. Dieser Ansatz ist wesentlich für das Verständnis des Woodman’schen Oeuvres. Die frühreife Fotografin wurde in eine Künstlerfamilie hineingeboren – ihre Mutter ist eine international bekannte Keramikerin, ihr Vater Maler und Fotograf – und war von Kindheit an mit der Kunstgeschichte vertraut. Ihr selbstbewusster Umgang mit dem Kanon und seinen Fallstricken ist in ihren Arbeiten evident.
Gabriele Schor hat außerdem Abigail Solomon-Godeau, eine Woodman-Exegetin der ersten Stunde, für den Katalog gewonnen. Gemeinsam mit der Kunsttheoretikerin Rosalind E. Krauss und Ann Gabhart vom Kunstmuseum des Wellesley College war sie an der ersten Woodman-Retrospektive 1986 beteiligt, die die Künstlerin mit einem Schlag bekannt machte. Damals erkannte Abigail Solomon-Godeau in Woodmans Inszenierungen des jungen, nackten, weiblichen Körpers einen, bei aller Jugendlichkeit der Künstlerin, brillant geführten Einspruch gegen den hegemonialen männlichen Blick. Knapp dreißig Jahre später fragt sie nach dem Reduktionismus ihres feministischen Ansatzes und geht auf einige der wichtigeren seither erschienenen Bücher und Aufsätze zu Woodmans Werk ein, die einige ihrer Annahmen von 1986 korrigieren.
So ist es etwa gar nicht immer Woodman selbst, die in ihren Bildern auftritt. Sie arbeitete auch mit Freundinnen und Modellen. Schon deshalb sind ihre Selbstinszenierungen nicht ohne Weiteres nur auf den Begriff des Selbstporträts zu bringen. Sie sei so oft ihr eigenes Modell, sagte sie einmal, weil sie immer verfügbar sei – also nicht in Auseinandersetzung mit Fragen der Identität. Der feministische Blick mag das falsch interpretiert haben, aber er hat eine Rezeption überhaupt erst ermöglicht. Denn aus welcher Perspektive sonst hätte man sich ernsthaft mit diesem faszinierenden Werk auseinandersetzen können, das – streng genommen – doch die Studentenarbeiten einer 22-Jährigen bildeten?
Requisiten des Surrealen
Dazu scheint dieses Werk – wie seine chronologische Anordnung beim Hochsteigen der Treppe verdeutlicht – aus der Zeit gefallen. Nirgendwo sind die siebziger Jahre zu erkennen, das Jahrzehnt, in dem Woodman ihre Aufnahmen macht, für die sie mit den Spiegeln, dem blätternden Putz, den lose hängenden Tapeten, dem bröckelnden Kamin und den splitternden Dielen ihres Settings deutliche Anleihen bei den Stilmitteln des Schauerromans des frühen 19. Jahrhunderts macht. Daneben fallen noch die Requisiten des Surrealismus auf, die Muscheln, Strumpfhalter, Handschuhe, Masken und ausgestopfte Tiere. Warum dieses seltsam entrückte Werk, dessen Protagonistinnen ein Schatten an der Wand sind oder fragmentierte Schaustücke in der Vitrine, seine Betrachter und Betrachterinnen so nachhaltig beschäftigt, diese Frage ist weiß Gott interessant.
In all seinen vielen kunst- und medienhistorischen Anleihen und Referenzen – die eigentliche Originalität des Woodman’schen Oeuvres scheint unter feministischer Perspektive noch immer am triftigsten zu benennen zu sein. Denn der weiblich definierte Körper bleibt in ihm zentral. Seine Bewegungen, Gesten und Handlungen, seine Be- und Entkleidungen zu interpretieren, kommt man nicht umhin. Und dann ist es heute vielleicht gar nicht sein Verschwinden, das uns in Woodmans Bildern auffällt, sondern sein unheimliches, weil gegen alle Widerstände siegreiches Erscheinen. Sicher, es ist nicht nur das Bild selbst, sondern auch die Zeit, in der wir leben, die uns diese Betrachtung nahelegt. Es ist die überall zu beobachtende Gewalt, der Frauen im öffentlichen und im privaten Raum ausgesetzt sind. Fast scheint es ein Wunder, dass es sie immer noch gibt, die Frauen, die halb Asien schon als weiblich identifizierte Föten regelmäßig abtreibt.
Es ist aber ganz sicher auch das Bild, das uns diese Sichtweise nahelegt. „Ich zeige dir, was du nicht siehst – die innere Kraft des Körpers“, formulierte Francesca Woodman einmal als Ziel ihrer fotografischen Exerzitien. Beate Söntgen, Kunsthistorikerin in Lüneburg, nimmt diese Spur auf und sieht in den Rahmen, Glasscheiben und sonstigen, den Körper einengenden Dingen nicht die Bedrängung des Körpers, sondern die Möglichkeit, seine inneren, unsichtbaren Kräfte zu veranschaulichen, die Energie, die in ihm steckt. Auch wenn die innere Kraft des Körpers keine geschlechtsspezifische Frage ist, wo läge für einen Mann die Notwendigkeit, ihr nachzuspüren? Am Ende erklärt sich der Wunsch, die innere Kraft des Körpers ins Bild zu setzen, doch über Francesca Woodmans weibliche künstlerische Existenz, die per se ein Lebensentwurf gegen das Verschwinden ist, gegen das Aufgehen im Alltag von Haushalt und Familie. Ein Lebensentwurf, der im Gegenteil das Hervortreten sucht, die öffentliche Bekanntheit und den Starruhm.
■ Bis 21. Mai. Sammlung Verbund, Wien. Der Katalog ist bei Walther König erschienen und kostet 48 Euro