Töten aus Mitgefühl

Offenbar aus Mitleid hat eine Charité-Krankenschwester zwei schwerstkranke Patienten getötet. Ihr einstiger Chef will sie im Gefängnis besuchen. Staatsanwalt überprüft 13 Todesfälle auf der Station

Von Nina Apin

Die Charité-Krankenschwester, die wegen Tötung zweier todkranker Herzpatienten unter Mordverdacht steht, hat offenbar aus Mitleid gehandelt. Nach Informationen der Bild-Zeitung und des Spiegels sagte die 54-Jährige in einem Verhör, sie habe die Qualen in der Intensivmedizin nicht mehr ertragen. Inzwischen hat die Charité Akten zu 13 weiteren Todesfällen, die sich während der Dienstzeit der Beschuldigten auf der kardiologischen Intensivstation ereignet hatten, an die Staatsanwaltschaft übergeben.

Die Ermittlungen konzentrieren sich auf die Zeit ab Juni 2004, nachdem ein elektronisches Erfassungssystem für Patientendaten eingeführt worden war. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Michael Grunwald, sagte, man überprüfe nun die Unterlagen. Bei Auffälligkeiten seien Exhumierungen nicht ausgeschlossen. Zur kriminalistischen Routine in solchen Fällen gehört nach Ermittlerangaben auch die Überprüfung der finanziellen Verhältnisse der Beschuldigten, um zu klären, ob sie von den Testamenten der getöteten Patienten profitiert haben könnte.

Gegen die Krankenschwester war am Donnerstag Haftbefehl erlassen worden. Sie soll Mitte August und Anfang Oktober zwei schwerkranke Herzpatienten im Alter von 77 und 62 Jahren mit einer Überdosis des blutdrucksenkenden Mittels Nitroprussidnatrium getötet haben. Die beiden Patienten litten an unheilbarer Herzinsuffizienz und wurden nicht mehr therapiert. Beide wären nach Einschätzung der Klinikleitung vermutlich binnen zwei Wochen gestorben. Wegen des ungewöhnlich plötzlichen Ablebens der Patienten schöpften Klinikmitarbeiter Verdacht und alarmierten die Klinikleitung. Die erstattete Strafanzeige bei der Polizei. Die Krankenschwester, die seit zehn Jahren in dem Klinikum tätig ist, hat laut Staatsanwaltschaft beide Tötungen in Teilen gestanden.

In mehreren Medien wird darüber spekuliert, ob außer Mitleid mit den todkranken Patienten auch private Motive eine Rolle gespielt haben könnten. Die Krankenschwester soll die an Nierenkrebs erkrankte Schwester einer Freundin bis zu ihrem Tod im Juli im Krankenhaus besucht haben. Die Schmerzen und das lange Leiden der unheilbar Kranken sollen die Pflegerin emotional sehr stark mitgenommen haben.

Der Direktor der Klinik für Kardiologie, Gert Baumann, will nun seine ehemalige Mitarbeiterin in der Untersuchungshaft besuchen. Laut Charité-Sprecherin Kerstin Endele habe Baumann am Freitag einen Besuchsantrag bei der Staatsanwalt gestellt. Über die Verhaftung seiner langjährigen Mitarbeiterin hatte sich Baumann bestürzt gezeigt. Nach ihrer Festnahme sagte er, er habe sie als bewährte Pflegekraft „sehr geschätzt“. In einem persönlichen Gespräch wolle er die Schwester zu einem umfassenden Geständnis bewegen.

Die Charité hat für besorgte Patienten und Angehörige eine Telefonauskunft eingerichtet. Dort hätten sich bisher rund 25 Personen gemeldet, sagte Kliniksprecherin Endele. 12 Anrufer hatten Angehörige, die in den vergangenen Jahren auf der kardiologischen Intensivstation gestorben seien. Sie würden psychologisch betreut. Gleichzeitig prüfe man, ob der Tod der jeweiligen Patienten außerhalb der Dienstzeit der Tatverdächtigen eingetreten sei. Die Charité-Hotline ist unter der Telefonnummer (0 30) 450 550 500 erreichbar.