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Archiv-Artikel

Im Schatten des Polit-Popstars

CSU Einst als Retter gefeiert, kämpft Parteichef Horst Seehofer ums politische Überleben. Gepriesen wird nun sein Zögling zu Guttenberg. Und am Wochenende ist Parteitag

„Ich wäre ruhiger, wenn am Wochenende Neuwahlen wären“

HORST SEEHOFER, CSU-CHEF

AUS MÜNCHEN BERNHARD HÜBNER

Er fuchtelt energisch mit seinen übergroßen Händen. Es hat keine Dreiviertelstunde gedauert, schon ist aus einer aufgeräumten Pressekonferenz des CSU-Parteivorsitzenden wieder einmal eine fahrige Horst-Seehofer-Predigt geworden. „Ja, liebe Freunde, wo leben wir eigentlich“, ruft er den Journalisten zu. „Sind wir so technokratisch geworden, dass uns alles ruhig lässt, was in der Gesellschaft passiert?“

Wild fliegen Inhalte und Themen durcheinander. In der ersten Hälfte eines Satzes redet Seehofer von Energiepolitik, in der zweiten von Gesundheit. Dann eine Kunstpause. Und schließlich: „Ich freue mich auf den Parteitag.“

Es ist ein paar Tage her, als Seehofer mit seiner Ankündigung, notfalls ein Veto gegen die Rente mit 67 einzulegen, die engsten Vertrauten in der CSU verstört hatte. In den eigenen Partei halten sie ihn nun endgültig für unberechenbar. Und die Münchner Abendzeitung zitiert ein anonymes bayerisches Regierungsmitglied mit der wohl bittersten Kritik, die ein CSU-Spitzenpolitiker je an einem aktiven Parteichef üben kann: „Überall werde ich schon gefragt, ob der jetzt total spinnt.“

Es hat sich eine sonderbare Revolutionsstimmung in der sonst so stromlinienförmigen CSU zusammengebraut, wo die stets beschworene Geschlossenheit zum festen Bestandteil des Parteimythos gehört. Parteitage sind bei der CSU gewöhnlich pompöse Machtshows mit wenig Debatten, dafür mit Lichteffekten, lauter Musik und einer ausufernden Rede des Parteichefs. Doch wenn sich die CSU am Freitag in München zum Parteitag trifft, erwartet die Delegierten ein ungewohntes Programm: 260 Anträge hat die Parteibasis zur Debatte gestellt. Die Mitglieder vertrauen der Parteiführung nicht mehr bedingungslos. Sie wollen selbst gestalten.

In dem 563 Seiten langen Antragsbuch stehen auch Vorstöße, die Pläne Seehofers direkt torpedieren. Seehofer möchte eine Frauenquote in der CSU einführen. Viele, vor allem junge Mitglieder, wehren sich dagegen.

Seehofer möchte die Mitgliedsbeiträge in der CSU anheben. Zwei Anträge schlagen vor, darauf zu verzichten und stattdessen die parteicheftreue CSU-Zeitung Bayernkurier einzustellen. Parteichef Seehofer steht nicht zur Wahl. Aber er steht unter Druck. Er sagt: „Ich wäre vielleicht sogar ruhiger, wenn am Wochenende Neuwahlen wären.“ Dann, so Seehofer, wären die Beschlüsse mit einer Vertrauensabstimmung verbunden.

Seine umstrittenen Thesen zu Integration und Zuwanderung sind auch ein Versuch, bei der eigenen Partei Stimmung zu machen, sich als Macher zu zeigen. Denn Erfolge kann Seehofer derzeit kaum vorweisen. Vor zwei Jahren trat er nach dem Verlust der Alleinherrschaft in Bayern an, die CSU zurück zur absoluten Mehrheit führen. Er hat sie in Umfragen unter die 40-Prozent-Marke geführt. Vor zwei Jahren hatte die CSU keine charismatische, mehrheitstaugliche Alternative zu Seehofer. Dann machte Seehofer Karl-Theodor zu Guttenberg zum Minister in Berlin und schuf ungewollt einen Politstar, gegen den seine eigene Strahlkraft verblasst.

Vergangene Woche besuchte Guttenberg den bayerischen Landtag. Seehofer ist hier meist zweimal in der Woche, ohne größeres Aufsehen zu erregen. Als Guttenberg die Gaststätte betritt, brandet Applaus auf. Die Besuchergruppen im Saal lassen ihr Mittagessen liegen und bejubeln den Verteidigungsminister wie einen Popstar. Seehofer ist so etwas noch nie passiert. Guttenberg selbst dementiert seine Ambitionen auf den Parteivorsitz. Er kann auch noch ein, zwei Jahre warten.

Weniger später auf der Pressekonferenz hat Horst Seehofer wieder Angst, falsch verstanden zu werden. Seine Thesen zur Zuwanderung hätten nichts mit Polarisierung zu tun, sagt Seehofer. Er wolle verhindern, dass die „Volksverführer“ in der Debatte die Oberhand gewinnen. Ein Journalist will wissen, ob die legendäre Geschlossenheit der CSU nicht längst Geschichte sei. Eine Antwort gibt Seehofer nicht. Er sagt: „Das Leben ist schön.“