: Sind Sie unabhängig?
Der „Independent“ feiert 20. Geburtstag. Von mörderischen Preiskriegen über Gemälde auf der Titel-Seite bis zum Tabloid-Format hat Großbritanniens jüngste Tageszeitung jede Menge durchgemacht
AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
Am Samstag ist der Independent 20 Jahre alt geworden. Damit ist der Indy, wie er von seinen – zu wenigen – Lesern liebevoll genannt wird, die jüngste überregionale Tageszeitung Großbritanniens. Die Spekulationen, dass die jüngste gleichzeitig auch die kurzlebigste Zeitung sein würde, waren verfrüht. Andreas Whittam Smith, Stephen Glover und Matthew Symonds – drei ehemalige Journalisten des konservativen Daily Telegraph – hatten gemeinsam 18 Millionen Pfund aufgebracht und sich einen bescheidenen Überziehungskredit geben lassen, um die Unabhängigkeit der Zeitung zu sichern. Die erste Ausgabe am 7. Oktober 1986 erschien denn auch mit dem Werbeslogan: „Independent. It is. Are you?“
Als das Blatt auf den Markt kam, waren die Zeiten nicht gut für Journalismus in Großbritannien. Rupert Murdoch, der australische Medienmogul, führte bei seinen Zeitungen wie der Times und der Sun ruppige Sitten ein, verlegte die Redaktionen aus Kostengründen nach Wapping und legte sich mit den Gewerkschaften an. Zunächst kam das dem Independent zugute, der die besten Leute von Murdochs Blättern abwerben konnte. Die neue Zeitung profilierte sich zunächst mit innovativem Design, bei dem meist hochwertige und großformatige Fotos im Mittelpunkt standen. Das hatte auch ökonomische Gründe: Die Anzeigen liefen nur spärlich ein.
Politisch stand der Independent von Anfang an den Liberalen Demokraten nahe: gebildet, moderat und liberal. So tritt das Blatt gegen Personalausweise, für die Einführung des Verhältniswahlrechts und für Maßnahmen gegen den Klimawandel ein. Das Königshaus wird weitgehend ignoriert. Die Hochzeit von Prinz Charles und Camilla Parker Bowles war der Zeitung gerade mal eine Kurzmeldung wert.
Der Independent zielt auf die liberale Leserschaft des Guardian ab. Der nahm den Konkurrenten nach Auskunft des damaligen Chefredakteurs Peter Preston anfangs nicht ernst. „Ein unzufriedener Telegraph-Redakteur und ein paar Kommentatoren rangierten bei uns nicht sehr hoch auf der Gefahrenskala“, sagt Preston. „Unsere Geschäftsführung hatte ganz andere Sorgen. Wir mussten mit den Sparmaßnahmen der Times mithalten, aber nicht mit deren Methoden.“
Hinzu kam, dass der Guardian nach dem Umzug der Times, mit der man sich die Druckerei geteilt hatte, nun alleine auf den alten Maschinen saß. Weil die häufig ausfielen, konnte an manchen Tagen nur eine Teilauflage gedruckt werden. „Was machst du“, fragt Preston, „wenn die Zeitung deiner Wahl nicht erhältlich ist? Du kaufst eine, die erhältlich ist.“
Als man beim Guardian bemerkte, dass man den neuen Konkurrenten unterschätzt hatte, war es zu spät. Der Independent hatte sich etabliert. 1989 lag die verkaufte Auflage bei 423.000 Stück, nur 18.000 weniger als der Guardian und 10.000 weniger als die Times. Das führte bei den anderen „Broadsheets“, wie die großformatigen Qualitätszeitungen heißen, zu hektischen Layout-Reformen und löste einen Preiskrieg aus. Murdoch verkaufte seine Times für zehn Pence, ein Fünftel des Normalpreises.
Der Independent wäre dabei fast auf der Strecke geblieben, zumal auch die Auflage der Sonntagsausgabe, die ab 1990 erschien, weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Die Gründer, deren 18 Millionen längst aufgebraucht waren, mussten sich entscheiden, ob sie die Zeitung oder ihre Unabhängigkeit aufgeben wollten. Sie entschieden sich für letzteres. Nach einem kurzen Intermezzo von David Montgomery, der vor einem Jahr beim Berliner Verlag eingestiegen ist, übernahm 1994 der irische Verleger Tony O’Reilly sowie die Mirror Group den Großteil der Aktien. Seit 1998 ist O’Reilly Alleineigentümer. Er zahlte damals 30 Millionen Pfund, und zusätzlich handelte er sich die erheblichen Schulden des Blattes ein.
Im selben Jahr wurde der angesehene Kolumnist Andrew Marr Chefredakteur und führte eine Blattreform durch, die zwar in der Branche Anerkennung fand, bei den Lesern jedoch nicht. Unter anderem ersetzte er das große Foto auf Seite 1 durch ein Gemälde, was anfangs funktionierte, doch schon nach kurzer Zeit hatte sich der Überraschungseffekt abgenutzt. Marr räumte später in seiner Autobiografie ein, dass seine Blattreform eine Torheit war.
Die Auflage des Independent sank auf unter 200.000 Stück, das Blatt fuhr Verluste von fünf Millionen Pfund im Jahr ein. Daran konnte auch der Preis für die beste überregionale Zeitung des Jahres 2004 nichts ändern. Im Jahr 2003 hatte der Independent ein Experiment gewagt, das seitdem von vielen Zeitungen nachgeahmt wird: Parallel zum „Broadsheet“ erschien eine inhaltlich identische Ausgabe im kompakten Tabloid-Format. Seit Mai 2004 gibt es nur noch den Mini-Independent, der ein Jahr später nach dem Vorbild der französischen Libération generalüberholt wurde.
Seitdem stehen häufig Meinungsartikel oder Hintergrundberichte mit Grafiken auf der Titelseite. Die Auflage hat sich etwas erholt, sie liegt bei rund 250.000, und man hofft, dass das Blatt im nächsten Jahr schwarze Zahlen schreiben wird. Dazu sollen nicht zuletzt die diversen Kampagnen beitragen. So unterstützt der Independent unter anderem „Product RED“, das Wohltätigkeitsprojekt von Bono, dem Sänger der irischen Band U2. Der war im Mai 2006 einen Tag lang Chefredakteur der unregelmäßig erscheinenden Sonderausgaben „RED Independent“, deren Erlös zur Hälfte an das Projekt geht.
Vorigen Monat entwarf Modedesigner Giorgio Armani eine Ausgabe und platzierte das Fotomodell Kate Moss mit schwarz geschminktem Gesicht auf der Titelseite – als Illustration für einen Artikel über die Aidskrise in Afrika.