Leggings sei Dank

Viele Pailletten, Polster gegen die Magersucht, doch die Trends finden auf der Straße statt: Was die Prêt-à-porter-Schauen in Paris gebracht haben

„Ich will lieber sehen, was reale (chice) Leute tragen, als tausend Laufstege“, kommentiert eine Leserin im Blog auf salon.com

VON KATRIN KRUSE

Wer will, findet immer Tendenzen. Gestern gingen die Pariser Prêt-à-porter-Schauen für den nächsten Sommer zu Ende, und sicher: Auffällig viel Weiß ist zu sehen, gern kombiniert mit Transparenz als weiterer Tendenz. Die Transparenz wiederum lässt die Konstruktion hervortreten, weil Säume und Abnäher plötzlich auch auf Entfernung sichtbar sind. Da ist ein Hang zum schmalen Rock, gern kurz oder eine Handbreit über dem Knie endend. Vor allem aber ist es so: Das Wesentliche findet in dieser Saison zwischen den Defilees statt.

Das Hotel ist eine finstere Absteige, man kann es nicht anders sagen, und wenn der Verfall wie beobachtet fortschreitet, dann steht schon in drei Saisons nichts mehr davon. Madame aber ist reizend, und immerhin logiert auch Bill Cunningham hier, Fotograf der New York Times mit der Kolumne „On the streets“. Cunningham ist unansprechbar: Es ist Schauenzeit. Im Carrousel du Louvre macht der zierliche ältere Herr, wenn die avanciert gekleideten Schauenbesucher zwischen den diversen Salles wechseln, ein Bild nach dem andern, flink in gebückter Haltung in der Menge unterwegs. Bei Chanel sitzen Katie Holmes und Victoria Beckham, bei Dior Janet Jackson und Lenny Kravitz: Dauereinsatz für Cunningham.

Cunningham ist so eine Art Maler des modernen Lebens; er hält den modischen Wechsel fest und erinnert die Betrachter daran, dass gestern keineswegs heute ist und das Heute eben Gegenwart bedeutet. Cunningham fotografiert am Rand der Modewoche, was man derzeit auf den Laufstegen sucht: Modernität. Was ihm dieser Tage im Paris der Jetztzeit immer wieder begegnet, sind schwarze Leggings. Im letzten Oktober noch war alles unverdächtig, eine Saison später gibt es nur mehr bis zum Knöchel schwarz bekleidete Beine, darunter schwarze, lacklederne Peep-toe-Pumps. Bisher trägt man, also: jede dritte Pariserin, Rock dazu. Bald werden es kurze oder eben eine Handbreit unter dem Knie endende, eher schmale Röcke sein. Alle werden sie tragen: Leggings sei Dank.

Die Legging demokratisiert den kurzen Rock, sagt die englische Kollegin, die sich bei Chanel in den deutschen Block verirrt hat, weil die schmuckvolle Kalligrafie der Platzkarte zwischen I und J und G keine signifikanten Unterschiede kennt. Der Chef eines Pariser Trendbüros kann das später nur bestätigen: Die neue Sechziger-Jahre-Länge werde sich nur der Legging wegen durchsetzen können.

Die Aufmerksamkeit verlagert sich, zugespitzt gesprochen, vom Laufsteg auf die Wege zwischen den Präsentationen. So entsteht eine gewisse, sagen wir, Gelassenheit im Hinblick darauf, ob man eine Schau nun gesehen hat oder nicht. Viel, glaubt man in dieser Saison, ist ohnehin nicht zu verpassen. Den Überblick bietet www.style.com. Dort bloggt auch „The Sartorialist“. Scott Schumann liefert täglich Bilder des gelungenen Stils. Was tragen die Fashionistas? Das interessiert nicht nur Cunningham. „Ich will lieber sehen, was reale (chice) Leute tragen, als tausend Laufstege“, kommentiert eine Leserin. Allerdings ist es wohl noch immer so: Wer heute die Laufstege sieht, kann noch immer vage vorhersagen, was diese realen, chicen Leute tragen werden.

Ganz überraschend auch deshalb eine der schönsten Schauen: Chanel. Sehr klar, die offenen Tweedkanten zurückgenommen, auf Schwarz-Weiß-Kontraste setzend, goldgeschmückt und passagenweise sportiv. Gut möglich zwar, dass sich die kurzen Paillettenpanties, die Lagerfeld jedem zweiten Oberteil als Unterteil beigab, auch trotz der Legging nicht durchsetzten werden. Ebenso die Badeanzüge in Écru, denen reichlich großformatiger Goldschmuck beigegeben war. Eher die hellen, zweilagigen Jeans, deren Oberschicht aus schwarzem Chiffon hübsche Knittereffekte produziert. Die wenigen Männer des Defilees trugen dergleichen als Zweiteiler. Für Röcke und Kleider galt: kurz und in leichter A-Linie.

Schmale Goldketten, mindestens im Dutzend zusammengebracht, gaben die Gürtel. In Gold kam auch die klassische Chanel-Tasche, wenn sie nicht schwarz war, und mit silbernen Abzeichen besetzt wie ein Wanderstock eines Besessenen. Schwarze, natürlich transparente Chiffonblusen wurden über Kleidern getragen und pink, schwarz und weiß gestreifte Jerseyminikleider zu einem graugestreiften Ding, das nur aus Ärmel und Rückenpartie bestand und kapuzenartig über den Kopf gezogen wurde.

Bei Chloé dominierte Farbe, musterlos. Kräftiges Ocker, gegen Maronenbraun und Koralle gesetzt, in Schnitte der späten Sechzigerjahre gebracht. Viel hohe Taillen zu goldknopfverzierten Seidengeorgetteblusen mit rüschenbesetztem Latz, ein hübsches Ensemble aus Überladenem und Reduziertem. Ein Retrogefühl lag ebenso in der Kollektion wie eine veritable Kindlichkeit: erhöhte Taille, kurzes Kleid und Körperferne, dann sehr große Knöpfe an sehr kleinen Kleidungsstücken. „Inspiriert auch von der Kindheit“, ließ der Kollektionstext wissen.

Ungewohntes Volumen bei Alexander McQueen. Der nämlich gab dem Thema Magermodelle Kleider bei, die an den Hüften hübsch gepolstert waren. Ein weißes Bustierkleid, das unter der schmal gehaltenen Taille aufs Doppelte anwuchs. Das letzte Modell war ein Rosenkleid, die Muster zogen von den futuristischen Schultern ins Kleid hinunter, das unten nur mehr Blütenkaskade war.

Ähnlich dem Laufsteg bei Yves Saint Laurent. Der war, der Kollektionsfarbe gemäß, mit kleinen violetten Blumen bepflanzt. Das Laufen darauf war, wie es mit frisch gemachten Beeten so geht, eine wacklige Sache. Mittelkurze Kleider in schwarz-weißem Großkaro, deren seitliche Taschen der geraden Strenge etwas Tulpiges beigaben, wurden mit schwingenden Bolerojacken in Koralle und einer toupierten Steckfrisur kombiniert. Très chic, bis die Sechziger in die Siebziger umschlugen. Haremshosen und Puffärmelbluse ergaben ein orangefarbenes Blütendruckensemble. Schließlich das Kleid zum Laufsteg, dasselbe Muster in Lila, bodenlanger Seidengeorgette, vorn weit hinaufgezogen. Die Zukunft sieht bisweilen doch sehr aus wie das, was schon einmal war. Wer dieser Tage Modernes will, der muss auf die Straße sehen. Am besten zur Schauenzeit.