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RECLAIM THE STREETSShoefiti

Eines der Mädchen bindet einen Büstenhalter an ihre Schuhe

Samstag, 2 Uhr nachts. Ich komme leicht angetrunken aus einer Bar und bin auf dem Heimweg. An der Ecke Schönhauser Allee/ Danziger Straße versuchen einige Jugendliche ein paar Turnschuhe über den Mast einer Verkehrsampel zu schmeißen. Ich bleibe stehen und denke: Endlich sehe ich euch einmal. Ich habe mich schon oft gefragt, warum und wer all diese Turnschuhe auf die Stromleitungen und Ampeln dieser Stadt wirft.

Es sind drei Jungens und zwei Mädchen, vielleicht so 16 oder 17 Jahre alt. Die Jungens tragen Basecaps, die Mädchen schwarze Kapuzenpullis. Sie feuern sich gegenseitig an, haben eine Flasche Wein dabei. Einer der Jungens hat sein Ziel bereits schon dreimal verfehlt. Anstatt auf den Ampelmast sind die an den Schnürsenkeln zusammengebundenen Schuhe immer wieder auf die Straße gekracht.

Eines der Mädchen kreischt: „Jetzt komm schon, Tommy, jetzt muss es doch klappen.“ Die andere filmt Tommy mit ihrem iPhone. Tommy wirft und hat diesmal mehr Glück: Seine Turnschuhe baumeln hoch oben auf der Ampel. Tosender Beifall. Ich gehe zu Tommy und frage ihn: „Warum macht ihr das?“ Tommy antwortet: „Einfach so, aus Fun.“ Sein Kumpel fügt hinzu: „Nein, es ist mehr, es ist Straßenkunst. Verstehst du, wir setzen ein Zeichen.“ „Was für ein Zeichen denn“, frage ich. Er antwortet: „Na dass wir da sind. Wir sind real. Das sind unsere verfickten Schuhe. Reclaim the Streets. Shoefiti eben, versteht du.“ „Shoe was“, frage ich. „Na, Shoefiti, Schuhe und Graffiti, verstehst du jetzt.“

Danach bindet eines der Mädchen einen Büstenhalter an ihre Turnschuhe und versucht diesen ebenfalls auf den Ampelmast zu werfen. „Und was ist das jetzt?“, frage ich Tommy. „Na, das ist“, sagt er cool und lässig, „Brafiti, der neueste Trend bei den Mädchen.“ Alles klar, denke ich und gehe schmunzelnd nach Hause.

ALEM GRABOVAC

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