: Das zarte Pflänzchen Erinnerung
GEDENKEN Einst gehörten Villa und Garten in der Grunewalder Wissmannstraße 11 einer jüdischen Familie. Jetzt soll dort eine Luxusvilla entstehen. Eine Nachbarin will das verhindern. Sie sucht einen Mäzen, der das Gelände kauft. Zumindest Zuspruch erntet sie reichlich
VON SUSANNE MEMARNIA
Ein Trupp Spatzen sitzt in einem kahlen Apfelbaum und wärmt sich das Gefieder in der milden Sonne. Laut zwitschernd fliegen die Vögel auf, als Barbara Gstaltmayr mit energischen Schritten das Laub aufwirbelt. Vor dem Obstspalier bleibt die zierliche Mittfünfzigerin stehen. „Dahinter liegt der Gemüsegarten, davor war der Ziergarten. Und dort drüben“, sie zeigt in Richtung Straße, „könnte man den Zaun durchbrechen und einen öffentlichen Zugang schaffen.“
Barbara Gstaltmayr hat eine Mission: Sie will den Garten neben der Villa in der Grunewalder Wissmannstraße 11 vor der Bebauung bewahren. Nicht weil sie etwas gegen die Luxusvilla hätte, die dort geplant ist. Auch nicht weil ihr der Neubau den Blick versauen würde, den sie von ihrer Terrasse im benachbarten Gartenhaus aus auf das verwunschene Grundstück hat. „Für mich ist das Schlimmste, dass damit die Spur der Erinnerung an die Familie Barasch vernichtet wird“, erklärt die selbstständige PR-Beraterin. Deshalb sucht Gstaltmayr einen Mäzen, der 1,5 Millionen Euro spendet – für den Kauf des Grundstücks und zur Einrichtung eines Bürgergartens als Ort des Erinnerns an das Schicksal der jüdischen Familie.
Villa mit 24 Zimmern
Wie das Leben in der prachtvollen Klinkerbauvilla vor 1933 aussah, beschreibt der Sohn der jüdischen Familie Werner Barasch in seinem Buch „Entronnen“ so: „Wir hatten 24 Zimmer. Darunter war ein riesiger Salon mit einem Bechstein-Flügel, […] ein Herrrenzimmer mit Ledermöbeln und getäfelten Holzwänden, ein Biedermeierzimmer, Wohnungen für Portier, Gärtner und Angestellte, […] und auf der Gegenseite eines Hofes ein Gebäude mit Garage, Platz für mein Fahrrad, Gewächshaus, Kuhstall und Werkstätte, dann ein großer Garten mit Liegewiese, Blumen- und Gemüsegarten.“
Werners Vater Artur Barasch hatte vor dem Ersten Weltkrieg in Schlesien einige Warenhäuser besessen und, wie Werner Barasch schreibt, „das Warenhaussystem in Deutschland eingeführt“. So habe sich sein Vater vom „einfachen Lehrling mit Grundschulbildung“ zum „wohlhabenden Kaufmann“ hochgearbeitet. Als die Nazis an die Macht kamen, schickte Artur Barasch Kinder und Ehefrau ins Ausland. Sich selbst konnte er nicht mehr vor der Verfolgung retten. Er wurde gezwungen, die Villa samt Gartenhaus und Garten für den Spottpreis von 40.000 Reichsmark an den Kaufmann Franz Großmann zu verkaufen. 1942 wurde Artur Barasch im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet.
Diese Geschichte hat Barbara Gstaltmayr nicht mehr losgelassen. „Als ich von den Baraschs erfuhr“, erzählt sie, „bekam das Haus für mich eine ganz neue Bedeutung“. 2006 war das, als Villa und Gartenhaus ohne den Garten verkauft wurden, um die Pflegekosten der damaligen Besitzerin Margarete Heinze – der Witwe von Franz Großmanns Sohn – zu bezahlen.
Gstaltmayr und die anderen Mieter in Villa und Gartenhaus machten sich auf die Suche nach den Spuren der Familie. Sie wollten herausfinden, ob man das Anwesen nicht den überlebenden Kindern oder deren Nachfahren zurückgeben könnte. So fanden sie Werner Barasch in den USA und nahmen Kontakt mit ihm auf. „Aber er schrieb uns, dass er nach dem Krieg von der deutschen Regierung mit 5.000 Reichsmark entschädigt worden war“, sagt Gstaltmayr. Eine Restitution war damit rechtlich nicht mehr möglich.
Um das Andenken an die Familie dennoch zu ehren, organisierten die Villenbewohner 2008 einen Stolperstein für Artur Barasch. Zur feierlichen Verlegung wollte eigentlich auch dessen Sohn Werner kommen. „Leider starb er kurz vorher“, erzählt Gstaltmayr. Doch für sie ging die Geschichte weiter: Das verbliebene Gartengrundstück – vermutlich einer der ältesten erhaltenen Gärten in Grunewald – kaufte vorigen Sommer die Firma Ralf Schmitz Immobilien, laut Barbara Gstaltmayr für 1,5 Millionen Euro.
Und so schrieb Gstaltmayr im Dezember einen Brief an die Firma, in dem sie über die Geschichte des Grundstücks informierte. Daraufhin habe sie einen Gesprächstermin bekommen: „Ein Mitarbeiter sagte, man könne ja vielleicht einen Gedenkstein am neuen Haus anbringen.“ Damit sei sie zunächst auch zufrieden gewesen. „Aber dann dachte ich: Warum nicht den ganzen Garten retten? Kämpf doch richtig!“
Dass sie sich derart für die Sache engagiert, erklärt Gstaltmayr mit ihrer eigenen Familiengeschichte: „Großvater hat in einer kleinen Gruppe gegen die Nazis agitiert. Er wurde kurz vor Kriegsende an die Front geschickt, weil er sich weigerte, den Hitlergruß zu zeigen.“ Auch ihre Großmutter hatte einen eigenen Kopf, fährt die gebürtige Bayerin fort, und nahm nach dem Krieg zwei jüdische Frauen auf, die Auschwitz überlebt hatten. „Oma stand für ihre Dinge.“
Und so die Enkelin: Für ihre Idee mit dem Gedenkgarten setzt Gstaltmayr seit Monaten Himmel und Hölle in Bewegung. Dutzende Stiftungen und vermögende Einzelpersonen hat sie angeschrieben, sämtliche Kontakte in Politik und Kultur spielen lassen. Von denen hat sie einige, schließlich war sie lange Jahre Theaterdramaturgin und Kulturprojektemacherin und gehörte zu der Gruppe, die Anfang des Jahrtausends in Berlin das weltweit erste Opernhaus für zeitgenössische Musik errichten wollte. Dass ihr Gartenprojekt womöglich an der Finanzierung scheitert, so wie damals die Oper, mag sie noch nicht glauben „Ich bekomme viel Zuspruch“, sagt die umtriebige PR-Frau. „Ich habe nur noch nicht den richtigen Mäzen gefunden.“
Tatsächlich findet der Gedenkgarten mehr und mehr Fürsprecher. „Die Idee ist toll“, sagt etwa die kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Sabine Bangert. „Es ist schön, wie sich in dem Garten bürgerschaftliches Engagement mit Kultur- und Bildungsarbeit verbindet. Da wird Geschichte lebendig.“ Auch die Piraten hätten sich grundsätzlich bereit erklärt, das Projekt zu unterstützen, so Bangert. Allerdings sei parlamentarisch wenig zu machen, wenn der private Besitzer auf seinem Bauvorhaben bestehe.
Streit über Zusagen
Und genau danach sieht es inzwischen aus. Solange die Besitzverhältnisse nicht endgültig geklärt waren und der neue Eigentümer nicht ins Grundbuch eingetragen war, sah man bei Ralf Schmitz Immobilien dem Treiben von Barbara Gstaltmayr offenbar gelassen zu. Mittlerweile sei man allerdings Eigentümer des Grundstücks und plane die Bebauung, erklärte eine Sprecherin Ende März auf Anfrage. „Möglichen Vorschlägen, das Andenken an die Familie Barasch im Rahmen dieser Bebauung in würdiger Form zu wahren, stehen wir weiterhin offen und mit großem Verständnis gegenüber.“ Es sei jedoch nicht wahr, „dass wir Frau Gstaltmayr oder anderen dritten Parteien irgendwelche Fristen für eine alternative Nutzung des Grundstück eingeräumt hätten“.
Barbara Gstaltmayr ist empört: Ein Mitarbeiter der Firma habe ihr im Dezember gesagt, im nächsten halben Jahr passiere auf dem Grundstück ohnehin nichts und so lange könne sie versuchen, einen Geldgeber zu finden. „Ein Geschäftsmann muss zu seinem Wort stehen. Mir wurden sechs Monate Zeit zugebilligt, einen Mäzen zu finden. Und die nutze ich.“