: „Wir haben auch eine lyrische Seite“
Die Melodic-Hardrock-Band „Fair Warning“ ist in Deutschland weitgehend unbekannt. In Japan aber sind die Hannoveraner Stars, auf Augenhöhe mit „Oasis“ und den „Red Hot Chili Peppers“. Warum? Songschreiber Ule W. Ritgen über zitternde Mädchen, Whiskey und fernöstliche Poesie
INTERVIEW: KLAUS IRLER
taz: Herr Ritgen, der Auftakt ihrer Tour durch Japan ist in Hiroshima. Was wird passieren, wenn Sie dort auf dem Flughafen landen?
Ule W. Ritgen: Es ist nicht so, dass da kreischende Fans stehen, zumal unsere Anreise nicht so publik gemacht wurde. Aber es erkennt einen schon auch mal ein Zollbeamter.
Wo steht Eure aktuelle Platte in den Charts?
In den nationalen Charts auf Nummer 11, in den internationalen auf Nummer drei.
Also in direkter Nachbarschaft zu den „Red Hot Chili Peppers“ …
Ja. Bisher war unsere beste Platzierung in Japan Platz zwei hinter „Oasis“ und wir sind mit allen Platten in die Top 5 gekommen. Jetzt würden wir gerne mal Platz eins schaffen.
Sehr erfolgreich in Japan war das zweite Album „Rainmaker“. Wie viele haben Sie denn davon in Japan verkauft und wie viele in Deutschland?
In Japan waren es 150.000, in Deutschland 12.000.
Wie kam es zu diesem Erfolg in Japan?
Wir sind 1993 in Japan zum Newcomer des Jahres gewählt worden von einem sehr bekannten Rockmagazin. Auf das erste Album folgte eine Tour und dann eine DVD der Tour. Das war ein toller Einstieg. Außerdem gab es unsere Art von Musik in Japan damals auch im Radio. Das war sehr hilfreich, denn unsere Musik ist absolut massentauglich.
Wie würden Sie Ihre Musik beschreiben?
Das ist von den Wurzeln her traditionelle Rockmusik. Wir sind sehr songorientiert und haben es nie auf ein Image abgesehen. Und es gibt ein breit gefächertes Instrumentarium: Was ein Song braucht, das wird genommen.
Sind Sie denn reich geworden in Japan?
Nein, das geht nicht so schnell. Reich wirst du erst, wenn du über Jahre Mega-Erfolge hast. Sonst kannst Du höchstens gut davon leben. Und wir brauchen immer zwei bis drei Jahre pro Platte, deshalb ist es mit dem Reichtum nicht so weit her.
Was kostet denn eine CD in Japan?
Die sind eine ganze Ecke teurer. Auch die Konzerte – da kostet ein Ticket schnell mal 100 Euro. Aber auch die Kosten für Hallenmieten sind ungeheuer. Osaka, Tokio, Hiroshima gehören zu den teuersten Städten der Welt.
Also, Sie leben nicht in Japan...
Nein, wir kommen nach den Tourneen immer wieder zurück. Dort leben könnte man nur, wenn dich jemand coached – du kannst ja sonst kein Straßenschild lesen.
Dann kennen Sie das Land vor allem aus dem Tourbus.
Ja, aber das sind nicht nur die großen Konzerte. Es gibt auch kleiner Promo-Tourneen und Fan-Events: Die Fans können dann Tickets gewinnen und in den Backstage-Bereich kommen. Das mag ich ganz gerne, weil du da einen engen Kontakt zu den Leuten hast und erlebst, was die Musik den Leuten bedeutet.
Nämlich?
Das ist unterschiedlich. Für viele ist das eine Art Lebenselixier, weil unsere Songs eher positiv sind – einer unserer Songs heißt zum Beispiel „Don‘t give up“. Wir kriegen dann oft Briefe, in denen die Fans beschreiben, wie viel Kraft ihnen das gibt. Das liegt auch an dem enormen Arbeitspensum, dass die Menschen in Japan haben.
Wie fühlt sich das Star-Dasein an?
Es ist schon komisch: Da gibt es dann Mädchen, die weinend zusammenbrechen und zittern, wenn du denen die Hand gibst. Das erste Mal kann man gar nicht mit sowas umgehen und denkt sich: Das gebe ich selbst ja gar nicht her. Aber die wichtigen Sachen werden bei uns nicht vergessen. Das merken die Fans.
Was sind denn die wichtigen Sachen?
Dass du zu allererst Mensch bist und den anderen auch als solcher begegnest.
Jubelt das Publikum denn an den richtigen Stellen?
In den USA redet das Publikum während der Balladen. In Japan ist das ganz anders, da kannst du eine Stecknadel während der Balladen fallen hören. Die gehen da total mit, sind ganz aufmerksam und sensibel.
Und können sie auch abgehen?
Wie verrückt. Die können alle Texte auswendig und singen die Wort für Wort mit. Mit Akribie und Disziplin, und dabei heben sie immer die Arme hoch. Aber es ist schon ein eigener Umgang mit der Musik dort: Auf unserer ersten Platte beispielsweise hatten wir drei Balladen und weil uns das für die Konzerte zu viel war, haben wir aus einer einen Reggae gemacht. Das hatte was Ironisches. Aber das gefiel den Japanern nicht so gut, die wollten, dass die Ballade so bleibt, wie sie auf CD war. Man geht in Japan mit der Musik nicht so spielerisch um.
Wie erklären Sie sich, dass Sie in Japan so viel Erfolg haben und in anderen Märkten, etwa in Deutschland, nicht?
Erstens haben wir in Deutschland nie eine große Plattform gehabt. Die Leute kennen uns nicht, weil wir hier nicht viel getourt sind, außerdem hat es unsere Musik nie im Radio gegeben – es war eben die Zeit des Formatradios, als wir rauskamen. Anfang und Mitte der 1990er Jahre war es schwer, mit Rockmusik medienmäßig eine Präsenz zu entwickeln. In Japan dagegen ist das Interesse an dieser Art Rockmusik viel größer: In Tokio beispielsweise gibt es die Radioshow „Power Rock Today“ – die hat fünf Millionen Zuhörer und bei denen waren wir mit unserer Musik live im Studio.
Aber es gibt auch deutsche Rockbands, die in Deutschland Erfolg haben.
Ja, aber unsere Art von Musik wird in Deutschland nur akzeptiert, wenn sie aus den USA kommt. Und unser Erfolg in Japan wurde in Deutschland nicht so geschätzt – es gab wenig Selbstbewusstsein in Deutschland mit Musik, die aus dem eigenen Land kommt. Das hat sich mittlerweile geändert mit den Bands, die mit deutschen Texten erfolgreich sind. Aber es ist immer noch sehr schwer.
Warum klappt es nun ausgerechnet in Japan?
Also erstens ist das Publikum für unsere Art von Musik dort wesentlich größer als hier. Zweitens haben wir auch eine lyrische Seite, deshalb sind in Japan sehr viele Frauen bei unseren Konzerten. Der japanische Geschmack ist insgesamt sehr poetisch. Die Bands aus den USA kommen da häufig nicht so gut an: Die Amis legen sehr viel Wert auf ihr Image, und das Image ist in Japan kein Grund, warum man eine Band interessant findet. Die wollen die Musik hören. „Guns ’n Roses“ zum Beispiel mit dem Gitarristen Slash, der mit Zigarette im Mundwinkel und Whiskey-Flasche auf der Bühne steht – damit können die Japaner nichts anfangen. Da sind wir mehr nach dem Geschmack der Japaner.
Welches Image hat Fair Warning denn in Japan?
Kann ich gar nicht so sagen. Ich glaube, wir sind für die Japaner einfach eine Band, die tolle Songs macht und toll spielt. Dafür werden wir respektiert. Es geht weniger um die Optik.
Wie alt ist euer Publikum?
Vielleicht von Anfang 20 bis Mitte 40. Das Publikum ist mit uns älter geworden. Und du findest normalerweise im Metal nur wenige Frauen. Das ist bei uns anders.