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Archiv-Artikel

„Ein guter Tag für die Grundrechte“

WAS NUN? Der SPD-Netzexperte Lars Klingbeil sieht durch das Urteil die Gesetzesgrundlage entzogen

Lars Klingbeil

■ Jahrgang 1978, ist SPD-Bundestagsabgeordneter und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien und im Unterausschuss Neue Medien.

taz: Herr Klingbeil, der Europäische Gerichtshof hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Gut so?

Lars Klingbeil: Es ist ein guter Tag für die Grund- und Bürgerrechte in der EU. Ich freue mich für die Bürger. Und ich glaube, dass sich die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung nun grundlegend verändern wird.

Justizminister Heike Maas sagt, ein schneller Gesetzentwurf in Deutschland sei damit vom Tisch, Innenminister de Maizière drängt auf eine rasche Einigung. Wird die Vorratsdatenspeicherung jetzt in der Koalition zum Dauerstreitthema?

Nein, aber man muss sich jetzt schon Zeit nehmen für die politische Debatte. Wir hatten eine klare Vereinbarung im Koalitionsvertrag, dass wir die EU-Richtlinie umsetzen. Mit dem Urteil vom EuGH ist die Geschäftsgrundlage weg. Damit ist die Vereinbarung obsolet. Ich erwarte also jetzt, dass alles ergebnisoffen diskutiert wird.

Wäre es den Bürger vermittelbar, wenn Deutschland jetzt die Speicherung einführt?

Kaum. Das Urteil ist so grundsätzlich, dass ich dringend davon abrate, ein nationales Gesetz auf den Weg zu bringen, bevor es in Europa – wenn überhaupt – eine neue Richtlinie geben wird.

Wird Deutschland auf eine neue EU-Richtlinie drängen?

Das wird jetzt in der Regierung zu klären sein. Die Debatte steht wieder am Anfang. Viele haben nicht damit gerechnet, dass das Urteil so weitreichend ist. Wir haben zudem eine neue Sensibilität in der Debatte um Datensammlung und Datenschutz. Ich sehe jedenfalls keine Notwendigkeit für eine neue EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.

Es kommt jetzt wohl auf die SPD an, sie muss Farbe bekennen. Will sie die Vorratsdatenspeicherung politisch? Wie wird sie sich positionieren?

Wir werden intern Gespräche führen. Ich versuche inhaltlich zu überzeugen, dass die Vorratsdatenspeicherung unverhältnismäßig ist. Meine Kritik wurde bestätigt, meine Argumentation gestärkt. Natürlich ist das in der SPD umstritten, beim letzten Parteitag stimmten 60 Prozent für eine veränderte Vorratsdatenspeicherung. Seitdem gab es viele Diskussionen. Ich weiß nicht, wie das heute aussehe.

Ist das eine Chance für die Sozialdemokraten, sich als Bürgerrechtspartei zu etablieren und profilieren?

Ich finde, dass es in der Partei schon immer einen starken Bürgerrechtsflügel gab. Auch der neue Justizminister Maas hat das Thema ja stark besetzt, das sieht man nicht zuletzt an seiner Äußerung heute.

INTERVIEW: PAUL WRUSCH