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Archiv-Artikel

Bürgerrecht entzweit Koalition

GESETZ Justizminister Heiko Maas (SPD) sieht keinerlei Eile für ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Das sieht Innenminister Thomas de Maizière (CDU) anders

„Es gibt keinen Grund, jetzt schnell ein neues Gesetz vorzulegen“

BUNDESJUSTIZMINISTER HEIKO MAAS

AUS BERLIN ANJA MAIER

Sie hätten auch gemeinsam vor die Kameras und Mikrofone treten können. Aber der SPD-Justizminister und der CDU-Innenminister wahrten lieber einen zeitlichen Sicherheitsabstand, als sie am Dienstag zum aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) Stellung nahmen. Und das war auch besser so. Hätten Heiko Maas und Thomas de Maizière gleichzeitig die neu entstandene Situation in der Frage der Vorratsdatenspeicherung bewerten sollen, wäre allzu deutlich geworden, wie weit entfernt voneinander die Koalitionäre hier sind.

Am Morgen hatte der EuGH die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung für europarechtswidrig erklärt. Durch das Brüsseler Urteil ist die dreimonatige Speicherung von Telekommunikationsdaten, wie sie im Koalitionsvertrag festgehalten ist, hinfällig. Die Regierungspartner müssen sich nun bekennen, wie sie es künftig halten wollen mit der Vorratsdatenspeicherung.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) macht in seinem Statement deutlich, dass er es nicht eilig hat mit einer neuen Gesetzesvorlage. Weil der EuGH die EU-Richtlinie komplett für ungültig erklärt habe, sei eine neue Situation entstanden, sagt Maas. Es gebe nun keine Richtlinie mehr, die gemäß Koalitionsvertrag umgesetzt werden müsse. „Deshalb gibt es auch keinen Grund, jetzt schnell ein neues Gesetz vorzulegen.“ Das weitere Verfahren sei offen und müsse nun in Ruhe beraten werden, sowohl in seiner Partei als auch innerhalb der Großen Koalition.

Gut möglich, dass die SPD es auch deshalb nicht eilig hat, weil sie ihre inhaltlichen Prioritäten auf anderen Politikfeldern sieht. Ein Streit mit der überwachungsaffinen Union käme in Zeiten von Rente und Mindestlohn ungelegen. Und wenn in zweieinhalb Jahren wieder der Bundestagswahlkampf beginnt, könnten die Sozialdemokraten das Thema Vorratsdatenspeicherung gut gebrauchen, um sich dann von der Union abzusetzen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte denn auch, dass er weiterhin Handlungsbedarf sieht. „Ich dränge auf eine rasche, kluge, verfassungsmäßige und mehrheitsfähige Neuregelung.“ Alle Fachleute seien sich einig, dass eine Vorratsdatenspeicherung „zum Zwecke der Aufklärung schwerer Straftaten“ geboten sei. Gefragt nach Speicherfristen, spricht Thomas de Maizière von drei bis sechs Monaten, die er „für zulässig und möglich“ hält.

Einig wie selten in letzter Zeit sind sich dagegen Linke und Grüne über das EuGH-Urteil. Für Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ist die Entscheidung „ein Meilenstein in der Bürgerrechtsgeschichte Europas“. Unumwunden fordert er die Bundeskanzlerin auf, ihren Innenminister zurückzupfeifen. Dass der „nun weiter mit dem Kopf durch die Wand will und noch immer die Bürger ohne Grund überwachen will“, findet Hofreiter „traurig“.

Für die Linke sagte Fraktionsvize Jan Korte, seine Partei sei von Anfang an gegen die Vorratsdatenspeicherung gewesen. Diese und die letzten Bundesregierungen könnten sich „glücklich schätzen“, dass eine Neuregelung bislang am gemeinsamen Widerstand von Bürgerrechtsbewegung und Opposition gescheitert sei. Das Urteil lasse eigentlich nur einen Schluss zu: „Wenn die Bundesregierung verantwortlich handelt, lässt sie ab sofort ihre Finger von jeglicher Form von Vorratsdatenspeicherung.“