: Das Reihenhaus für Stadtneurotiker
Die ersten „Townhouses“ auf dem Friedrichswerder neben dem Auswärtigen Amt sind bezogen. Die Siedlung mit 47 Hütten für reiche Bürger und Urbaniten ist ein Signal zur Rückkehr ins Zentrum. Als Modell für Berlin ist das Projekt aber noch zu kostspielig
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Der Park für den joggenden Minister dehnte sich vom Amt für Auswärtiges bis hinauf zur Leipziger Straße. Joschka Fischer musste vom Schreibtisch nur ein Stockwerk hinunter, und auf dem Grün am Friedrichswerder konnte der Dauerlauf beginnen. Sein Nachfolger im Amt ist von anderer politischer Couleur und auch sportlich weitaus weniger ambitioniert.
Nur konsequent ist es da, dass das lange Friedrichswerdersche Areal zwischen Außenministerium und Hausvogteiplatz, Schinkels Kirche und Spittelmarkt nun gleichfalls sein Gesicht wechselt. 47 „Townhouses“ entstehen dort im großen Rechteck. Die neue „Eigenheimsiedlung“ in der Stadtmitte stellt in ihrer Dimension, Architektur und Bedeutung ein Berliner Novum dar.
Klaus Theo Brenner, Berliner Architekt, baut für mehrere Bauherren auf dem Friedrichswerder. Gleich sind bei seinen Häusern – wie bei allen 47 Townhouses – die gerade mal 6 Meter breiten, rund 160 Quadratmeter großen Parzellen. Alles Weitere, die Architektur, die Fassade, der Stil, die Eingänge, die Zahl von vier oder fünf Etagen, die Material- und Farbwahl, das Dach und die Gartenseiten sind verschieden. Nicht nur der Block, sagt Brenner, auch die Parzelle biete „Modernität und in der Gebäudestruktur vielfältige Möglichkeiten für ein qualitätsvolles, zeitgemäßes und attraktives Wohnen in der Stadt“.
Das Reihenhaus soll den Block ersetzen, lautete die Vorgabe, mit denen der Senat im „Planwerk Innenstadt“ Ende der 1990er-Jahre auf dem Friedrichswerder die räumliche Figur festlegte. 2005 war Baubeginn, 2007 soll das Townhouseviertel fertiggestellt sein. Im Rahmen der Berliner Stadtentwicklung bildet das Projekt auch darum ein geradezu irres Bauvorhaben, bedeutet es doch die Revision der bisherigen Strategie: kleine statt großräumige Grundstücke, individuelle statt monolithische Gebäude. Ziel ist die Rückkehr zur differenzierten europäischen Stadtcollage des 19. Jahrhunderts, die dicht und eigentümerorientiert angelegt war. Der preußische Großkasten oder die Mietskaserne war nicht mehr – wie noch vor der Planung – Vorbild für das Berliner Bauprogramm.
Für Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der das Konzept mit entwarf, sind die Townhouses Modell und Weg der Wiedergewinnung von innerstädtischer Urbanität und Eigentumsbildung. Wie vor 150 Jahren, so Stimmann, ziehe es den Bürger von dem Stadtrand ins Zentrum. „Er möchte lieber in der Innenstadt mit all ihren Vorzügen in seinem Haus leben.“
Brenners Projekte zeugen von dieser Bürgerstadt-Programmatik. Während das eine Haus im Aufbau streng konzipiert ist, mit fünf Etagen, einer klaren sachlichen Fassade und den offen gestalteten Innenräumen, steht das zweite Projekt wie das schiere Gegenteil daneben. Dort ragt eine unruhige Backsteinfassade an der Straße empor. Plötzlich bricht die Wand auf, man kann durch das Haus hindurchschauen. Drinnen steigen Treppen und Galerien in die Höhe. Zum Garten hin ragt ein kleiner Flügel mit Arbeits- oder Wohnraum und Terrasse aus dem unruhigen Backsteinfelsen. Auch die benachbarten Häuser spielen mit Form und Funktion. Während das erste bezogene Haus der Familie W. ganz sachlich mit weißer Fassade und fünf gestapelten Stockwerken konzipiert ist, sind deren Nachbarn wieder „Ausreißer“: Swimmingpools auf dem Dach, Erdgeschosse mit Garagen, zweigeschossige Räume mit Galerien, Kinderzimmer oder Zweitwohnung sind die Reflexe auf den Wunsch nach Vielfalt.
Willkür bedeutet das nicht. In der Geschichte des Städtebaus habe auch das „städtische Reihenhaus“ seine Tradition, meint Architekt Brenner. Er hat über diese urbane Gebäudeform ein Buch publiziert, das die Entwicklungsgeschichte dieses Typus untersucht und das Reihenhaus rehabilitiert. Es sind vereinzelt deutsche, in der Mehrzahl europäische Beispiele von Reihenhaus-Bautypen, die in London, Amsterdam oder Brüssel seit Jahrhunderten gestaltet werden. Um ihre Bürger, deren Arbeit und damit das Geld in der Stadt zu halten und ihnen zum Bauen zu verhelfen, wurden dort kleine Parzellen ausgewiesen, welche die Eigentümer erwerben und mit Stadthäusern – Townhouses – gestalten konnten.
Das Stadtbild auf dem Friedrichswerder folgt exakt diesen Maximen. Das Land Berlin hat nicht nur Grundstück für Grundstück – des nach der Kriegszerstörung vom Ostberliner Magistrat leergeräumten einstigen dichten Stadtviertels – an einzelne Bauherren vergeben. Es hat auch bewusst unterschiedliche Architekten ausgewählt, darunter so namhafte wie Brenner, Bernd Albers oder Behles und Jochimsen.
Als die Deutsche Grundstücksgesellschaft im Auftrag des Landes 2003/4 die Parzellen veräußerte, war der „unerwartete Ansturm“, wie Projektleiter Arno Pluschke sich erinnert, so hoch, dass innerhalb weniger Tage die handtuchschmalen Stadthäuser verkauft waren. Zwischen 600.000 und 800.000 Euro pro Haus schreckten offensichtlich nicht. Zu den Bewerbern zählten Beamte des Auswärtigen Amts, Architekten, Medienleute, Familien, „echte Stadtneurotiker“, die die Nähe zu den Linden und dem Zentrum suchten.
Winfried Hammann, Vorstand der Bürgerstadt Aktiengesellschaft, die auch die Rückkehr in die Stadt und die individuelle Eigentumsbildung propagiert, sieht das Townhouse-Projekt noch nicht als Modell, sondern erst „als Ausnahme“. Hammann erinnert an den gescheiterten Versuch des Landes 1998, große Townhouses hinter der Schinkel-Kirche zu errichten. Aufgrund der hohen Investitionen nahmen Käufer damals Abstand.
„Um doch Bauherren in die Stadt zu kriegen, war die Konsequenz die Parzelle, die in dieser I-a-Lage am Auswärtigen Amt nicht einmal übermäßig teuer war.“ Es sei zwar nicht jedermanns Sache, in einem 6 Meter breiten Haus „immer die Treppen rauf- und runterzurennen“, sagt Hammann. Die rege Nachfrage habe aber gezeigt, dass es genug Stadtrückkehrer und -ideologen für dieses Reihenhausprojekt gegeben habe.
An einen Durchbruch des städtischen Reihenhauses wie im Ausland glaubt Hammann nur, wenn es nicht bei der „Sonderform“ wie am Friedrichswerder und „nicht bei diesem Preisniveau für ein Haus bleibt“. Man könne das auch „günstiger haben und eine andere Klientel erreichen“. Dann mischten sich reiche und weniger begüterte Stadtbürger – im Unterschied zum reichen Reihenhausghetto am Auswärtigen Amt.