: Du sendest niemals allein
Keine Werbung, keine Morningshows, keine Durchhörbarkeit: Seit zehn Jahren stemmt sich das Freie Radio für Stuttgart gegen den Mainstream. Nur die finanziellen Probleme sind erwartungsgemäß
Aus StuttgartSabine Weissinger
Montagabend, 20 Uhr. Fans von Psychedelic Trance müssen jetzt schnell wieder zu sich kommen und abschalten. Oder einen krassen Programmwechsel mitvollziehen. Statt „Miditation“ gibt’s jetzt „Du läufst niemals allein!“ – Manfred „Manne“ Adam berichtet aus der Welt des Fußballs. Zwischen den An- und Abpfiffen: Hardrock. Das Richtige für harte Jungs, die Mannes O-Töne aus dem Abseits der Bundesliga, sei’s vom letzten Spiel der Stuttgarter Kickers oder des FV Zuffenhausen, jede Woche voll Spannung erwarten. Nun gut: Geschmäcker sind eben verschieden.
Diese Erkenntnis passt bestens zur Maxime des Freien Radios für Stuttgart (FRS), das Manne und seinen gut 200 Kolleginnen und Kollegen als Plattform dient. Seit dem 28. September 1996 on air, will der gemeinnützige Verein einen Kontrapunkt setzen zum kommerziellen Radio, zu Mainstream und gängigen Hörgewohnheiten.
„Keine Werbung, kein Sponsoring. Keine Morningshows und keine Durchhörbarkeit“, erklärt FRS-Vorstandsmitglied Jörg Munder den Unterschied zum Gros des hiesigen Hörfunks. Den Großraum Stuttgart beschallen immerhin 13 kommerzielle Privatradios, dazwischen funken sieben öffentlich-rechtliche Sender: Deutschlandfunk und D-Radio Kultur mit ihren bundesweiten, der SWR mit einem regionalen und vier landesweiten Programmen. „Die letzten zehn Jahre haben uns bewiesen, dass wir freie Medien – egal ob Radio, Print oder auch Fernsehen – brauchen: als Sprachrohr und öffentlichen Raumgeber. Heute wie damals“, ist Munder überzeugt. „Das FRS sendet Themen und Musik, die anderswo zu kurz kommen. Wir sind offen für alles – und für alle.“
Lebenswelten treffen zusammen. Ob Hiphopper, Arbeitslose oder Umweltaktivistin, Azubi, Alevit oder Migrantin: Sie alle schaffen sich ihr eigenes Medium in den rund 50 Redaktionsteams, in 75 Sendungen und 20 Sprachen – vom Russischen Kulturroulette, der Ghana Voice und dem Arbeitsweltradio der DGB-Jugend bis hin zum Greenpeace-, Schwul- oder Stotter-Funk. Hinzu kommen Schulprojekte, Workshops, Kooperationen mit Jugend- und Kultureinrichtungen.
Um zu bündeln und zu planen, das Ausgestrahlte zu kritisieren und neue Ideen vorzustellen, gibt’s ein monatliches Plenum. „Das FRS ist gelebte und gesendete Vielfalt in Extremform“, schwärmt dessen Öffentlichkeitsarbeiter Oliver Herrmann. Er hat zusammen mit einem Techniker und einer Medienpädagogin das Glück einer nach Tarif bezahlten 12-Stunden-Stelle. Alle übrigen FRSler arbeiten ehrenamtlich.
„550 zahlende Mitglieder hat unser Verein“, sagt Munder. „Doppelt so viele sollen es werden.“ Mit diesem Ziel mache man derzeit Werbung in eigener Sache. Denn dann wäre das FRS finanziell unabhängig von der Landesanstalt für Kommunikation (LfK) – mit der sich der Sender im Rechtsstreit befindet: Vor dem Verwaltungsgericht beklagt das FRS, dass der kommerzielle Hörfunk bei der Frequenzvergabe bevorzugt und die zugeteilte 99,2 MHz-Welle gesplittet wurde. Seit das NKL (so die offizielle Abkürzung für „Nichtkommerzielles Lokalradios“) diese Frequenz mit dem Hochschulradio Stuttgart teilen muss, kürzt die LfK den Zuschuss von ehedem 52.000 Euro schrittweise auf knapp 45.000 Euro pro Jahr. Das tut weh: Vor wenigen Monaten sah Munder gar das runde Jubiläum des Senders gefährdet.
Mit seinen finanziellen Sorgen ist das FRS nicht alleine. In Baden-Württemberg, dem Bundesland mit der größten und ältesten freien Radioszene (das Freiburger Radio Dreyeckland ist seit fast 30 Jahren auf Sendung), kann die dortige AFF Assoziation Freier Gesellschaftsfunk e. V. ein Lied davon singen. Auf Bundesebene arbeiten gut 30 Hörfunkinitiativen beim BFR Bundesverband Freier Radios mit Sitz in Marburg zusammen. Beide Verbände haben sich dem Networking verschrieben. Sie organisieren den Austausch, vertreten die Interessen ihrer Mitglieder bei medienpolitischen Fragen, kämpfen für Frequenzen und Fördergelder. Andere Aufgaben werden geteilt: Die AFF berät in Sachen Gema, Steuerrecht oder Medienpädagogik und unterstützt mit Aus- und Weiterbildung. Der BFR hält Kontakt zu europäischen Gleichgesinnten. Und er hat 1994 in einer Charta definiert, wie Freies Radio zu sein hat und was nicht.
In Stuttgart haben Spenden und Benefizkonzerte das Schlimmste abgewendet, das FRS sendet weiter. Zum Geburtstag gratulierte die örtliche Musikszene mit der CD „frei“, dessen Erlös den Radiomachern zugute kommen soll. Doch die Geldnot bleibt: „Unsere Technik läuft seit zehn Jahren im Dauereinsatz. Sie ist veraltet und marode, wir müssen sie dringend erneuern“, sagt Munder. „Wie wir das bezahlen sollen, steht in den Sternen!“
„Das Leben ist eine Baustelle.“ Manne Adam, der Hardrock-Fan mit Faible für Fußball, zitiert den Titel eines Low-Budget-Films. Der 42-Jährige – im Hauptberuf Sprachtrainer – macht aus der Not eine Tugend: „Wenn die Technik streikt, sind Improvisation und Kreativität gefragt. Radiomachen ist ein Prozess mit Rückschritten.“ Und dazu gehöre momentan eben das leiernde Tonband oder das knackende Mikro. Er schaltet auf Heavy Metal, schiebt den Lautstärkeregler nach oben und schließt genüsslich: „Auch an diesem Prozess sollen unsere Hörer teilhaben.“