It’s only Rock ’n’ Roll

Das SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Die Lindenstraße hat aufgezeigt, woher die wirkliche Gefahr droht: von den Lisas dieser Welt Ich beschäftige gern Libanesen. Jetzt sagt man Muslime. Sie sind angenehm schweigsam

Wir nehmen nicht einen Glauben an, weil er wahr ist (sie sind es alle), sondernweil eine dunkle Kraft unsdazu treibt. Verlässt uns dieseKraft, so ist es der Kollapsund der seelische Bankrott,das „Auge in Auge“ mit dem,was von uns übrig bleibt.E. M. Cioran

Solange die Hysterie da bleibt, wo sie hingehört, ins Feuilleton nämlich, können wir uns in Sicherheit wähnen. Die Straße jedenfalls scheint von der ganzen Aufregung unberührt. Der gemeine Muslim hat jetzt gerade gar keinen Sinn für zivilisationskritische Auseinandersetzungen.

In Türken- und Araberläden sind sie derzeit nur mit dem Einkaufen von Fressalien beschäftigt. Schon morgens drängeln sich da die fastenden Massen mit riesigen Fleischtüten, Gemüsekörben und klebrig tropfenden Dessertpaketen an den Kassen. Wahrscheinlich wird man vom Ramadan irre dick und krank. Dicke und kranke Menschen können aber keinesfalls Terroristen sein. Kein Grund zur Beunruhigung also.

Wenn nun allerdings auch die Journalistenkollegen aus dem Politikressort anfangen, Gaga-E-Mails zu schreiben, dann ist vielleicht doch Vorsicht geboten. X sei neulich von einer Kurdin an der Bushaltestelle angemacht worden, weil er ihr den Rücken zugekehrt habe, schrieb ein Inlandsredakteur aufgebracht am Ende einer langen Suada über die Westler als bedrohte Art. Die Kurdin habe gegenüber X darauf bestanden, dass man in ihrem Land (?) niemandem den Rücken zukehre. „Das ist es, was ich meine“, schreibt der Kollege, „wir müssen unsere Lebensweise verteidigen!“, und er endet mit dem nahezu rührend kämpferischen Slogan der Konsumgesellschaft: „Die Freiheit ist mir viel wert!“

Wenn es nicht auch ein bisschen Besorgnis erregend wäre, könnte man sich vor Lachen in die Hose machen. Als Therapie hilft hier vielleicht nur die kleine Anekdote aus den Siebzigern oder Achtzigern oder wann immer es war, als ein amerikanischer Tourist seinen Westberliner Taxifahrer fragte, ob es gewisse Gegenden gebe, die man meiden solle, und der Kutscher vergnügt antwortete: „Nee, hier könn’se überall inne Schnauze kriegn.“ Jawoll, so isset. Und wer nicht mal ’ne verwirrte Kurdin aushält, soll aufs Land ziehn. Am besten gleich nach Meck-Pomm, da sind bestimmt keine.

Ich für meinen Teil trage derweil den Kulturkampf gegen die stinkfaulen und vermutlich evangelisch getauften Sachsen vor meinem Fenster weiter aus. Eigentlich sollen sie das Haus anstreichen. Stattdessen hocken sie qualmend im Keller, lesen dumme Zeitungen und quasseln genauso dummes Zeug. Morgens kommen sie um halb neun und müssen sich davon erst mal bis halb zehn ausruhen. Um zwölf Uhr sagt man „Mahlzeit“, wenigstens bis eins, und nach drei ist keiner mehr zu sehen. Sie werden von der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft bezahlt. Also auch von Ihnen, vielen Dank noch mal.

Mir käme allerdings kein deutscher Handwerker über die Schwelle. Sie brauchen für alles dreimal so lange und reden doppelt so viel wie jede andere Nationalität. Ich beschäftige gern Libanesen. Jetzt sagt man Muslime. Sie sind angenehm schweigsam und reparieren zuverlässig alles vom Auto bis zum Wasserhahn.

Was allerdings die muslimischen Wohnungssanierer mit den Gerüstprotestanten vor meinem Fenster verbindet: Beiden fehlt es komplett an Verständnis für Gladys Knight and the Pips oder Jackie Wilson. Da kann „I heard it through the grapevine“ oder „Higher and higher“ noch so laut aufgedreht sein: Kein Lächeln verschönert ihre Gesichtszüge, kein Muskel zuckt in ihren Handwerkerbeinen … Bei den Muslimen könnte es sich um Ramadanschwäche handeln, für die Sachsen aber gilt keine Entschuldigung.

Tja. Was tun? Meine Leitkultur gegen alle durchsetzen? Ich wuchs in einer Zeit auf, da Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll das Wertebild bestimmten. Hat heute kaum noch jemand Verständnis für. Aber knatsch ich deswegen rum, dass alle, die früher auch gern vögelten, kifften und gute Musik hörten, eingeknickt sind vor Hartz IV, Islamismus und Henryk Broder?

Dass wir uns nicht missverstehen: Ich hab ihn lieb, den alten Zausel, und wenn ihm jemand an den Kragen wollte, würd ich mich ohne zu zögern dazwischenwerfen. Aber ihn zu lesen kommt schon einer buddhistischen Niederwerfübung gleich. Jetzt ist er schon nahezu ein Jahrzehnt auf der Achse des Guten unterwegs, jeden Tag wieder und wieder die gleiche Leier, so lange, bis ein bewusstseinserweiterndes Satori niederkommt.

Dabei sollte man doch ab einem bestimmten Alter wissen, dass wahre Erleuchtung nur in erquickenden Nickerchen und maßvollem Essen und Trinken und nicht etwa im unkontrollierten Schreibzwang zu finden ist.

Neulich schob ich meinerseits auf der Suche nach gehaltvoller Nahrung einen Einkaufswagen durch einen elsässischen Supermarkt und wurde von einem jungen, bleichen, keinesfalls arabischstämmigen Pärchen überholt. Er trug ein schwarzes, an Kragen und Ärmeln mit Silberfäden besticktes bodenlanges Kleid und über dem unentschlossen sprießenden blonden Fusselbärtchen die dazu passende Kappe. Sie war bis auf das Gesicht in eine beigefarbene Burka aus fließend fallender Mikrofaser gehüllt und trug den Schleier in der angesagten nofretetischen Turmmode.

Voller Faszination starrte meine Mutter ihnen hinterher. „Das sieht ja toll aus“, sagte sie und hatte damit sofort begriffen, worum es bei diesem Auftritt ging. Die beiden waren der Knüller des Morgens im Carrefour und ich war sicher, dass sie vor nicht allzu langer Zeit noch in der Gothic-Szene auf den Friedhöfen von Mulhouse oder Colmar rumspukten und bei Konzerten von Evanescence mitbrüllten.

Auch die Lindenstraße hat, zumindest eine Folge lang, aufgezeigt, woher die wirkliche Gefahr droht: von den Lisas dieser Welt. Nein, nicht von Lisa Simpson, der wird ja leider in keiner Welt Gehör geschenkt, sondern von den Lindenstraßen-Lisas. Jene unbehaust herumstreunenden Zukurzgekommenen, immer auf der Suche nach Authentizität und Gefühl, die sich das Kopftuch strammer als jedem Leichnam um die Kinnlade binden und nach der Lektüre des Korans etwas von Warmherzigkeit faseln. Dabei wusste schon Ambros Bierce, dass es sich hierbei um ein Buch handelt, „von dem die Moslems törichterweise glauben, dass es auf göttliche Inspiration zurückgehe, von dem jedoch die Christen wissen, dass es sich um eine bösartige Hochstapelei handelt, die im Widerspruch zur Heiligen Schrift steht“.

Unbeeindruckt davon legen jedoch diese Lisas ihre Schahada, ihr Bekenntnis zum Glaubensübertritt, vor dem Schlafzimmerspiegel ab – tatsächlich zwei muslimische Zeugen dabeizuhaben, schien den abergläubischen Filmemachern wohl zu heikel–, und nerven ab dann die gesamte Umwelt inklusive des türkischen Ehemannes mit ihrer Konversion. „Lisa … bitte!“ war wohl der köstlichste meistgesagte Satz dieser halben Stunde, und was Lea Rosh jahrelang nicht für das deutsche Kabarett war, wird Lindenstraßen-Lisa für diese Ära bedeuten.