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Archiv-Artikel

Österreichs Grüne überholen die FPÖ

Dem endgültigen Ergebnis der Parlamentswahlen zufolge wird die Umweltpartei drittstärkste Kraft. An der Koalitionsarithmetik ändert das jedoch nichts. So wird es wohl schwierige Verhandlungen für eine große Koalition geben

Das Präsidium des Nationalrats wird zum ersten Mal rein weiblich

AUS WIEN RALF LEONHARD

„Geschafft!“ Selten hat man den Chef der österreichischen Grünen, Alexander Van der Bellen, so strahlen gesehen wie bei der gestrigen Pressekonferenz. Seine Partei erreichte spät, aber doch beide Wahlziele: zweistellig zu werden und die FPÖ zu überholen. Das stand Montag nach der Auszählung von rund 250.000 Wahlkarten fest.

„Arschknapp“ würde es werden. Das hatte Van der Bellen wenige Tage vor den Nationalratswahlen vom 1. Oktober prophezeit. Wie knapp, das hätte selbst er sich nicht träumen lassen: Die Grünen liegen 538 Stimmen oder 0,01 Prozentpunkte vor den Freiheitlichen.

Damit können sie sich als die eigentlichen Wahlsieger betrachten. Mit 11,05 Prozent der gültigen Stimmen wurden sie nicht nur zur drittstärksten Partei, sie bekamen durch die Briefstimmen auch ein Mandat auf Kosten des BZÖ. Die Haider-Partei verlor zwar 0,1 Prozentpunkte, bleibt aber mit 4,1 Prozent gerade noch über der Hürde für den Einzug ins Parlament und wird künftig sieben Sitze besetzen. Die fremdenfeindlichen Parteien abgehängt zu haben, bedeutet für die auf Menschenrechte und Weltoffenheit setzenden Grünen eine moralische Genugtuung.

Der Erfolg ist aber nicht nur von symbolischem Wert: Nach parlamentarischem Usus steht der drittstärksten Partei die Besetzung des dritten Nationalratspräsidenten und die Nominierung von einem der drei Volksanwälte zu. Für beide Funktionen wollen die Grünen Frauen nominieren. Für das Nationalratspräsidium ist Migrations- und Minderheitensprecherin Terezija Stoisits im Gespräch. Damit wird dieses Gremium erstmals rein weiblich. Den ersten Vorsitz soll die ehemalige SPÖ-Frauenministerin Barbara Prammer übernehmen. Bei der ÖVP denkt man an Justizsprecherin Maria Fekter.

Die grüne Partei-Vize Eva Glawischnig versprach, dass man mit den neuen Funktionen auch einen frischen Wind in die Institutionen bringen wolle. So würde man den Kabinettsmitgliedern ausweichende oder unzureichende Antworten auf parlamentarische Anfragen nicht durchgehen lassen. Gerade bei der abgewählten Regierung war das ein stetes Ärgernis für die Opposition.

Profitiert hat von den Briefwählern auch die ÖVP, die sich von 1,5 bis auf einen Prozentpunkt an die SPÖ heranschieben konnte. Den Mandatsstand beeinflusst das aber nicht. Die SPÖ behält 68 Sitze, die ÖVP 66.

Trotz des Zugewinns bleiben die Grünen für die Regierungsbildung aus dem Spiel. Für Rot-Grün fehlen drei Mandate, für Schwarz-Grün fünf. Außer einer großen Koalition könnten also nur Dreierkoalitionen über eine parlamentarische Mehrheit gebieten. Da sich sowohl Grüne als auch die SPÖ festgelegt haben, mit FPÖ und BZÖ auf keinen Fall regieren zu wollen, bleibt nur mehr die theoretische Variante ÖVP mit FPÖ und BZÖ. Davon warnt nicht nur Bundespräsident Heinz Fischer, der heute dem Wahlsieger Alfred Gusenbauer, SPÖ, den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen wird.

Zehn Tage nach ihrer für alle überraschenden Wahlschlappe gibt sich die ÖVP noch immer beleidigt. Sollte die SPÖ, wie angekündigt, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss über die bisher geheim gehaltenen Hintergründe der Beschaffung von Eurofighter-Jagdflugzeugen beantragen, könne sie sich eine Koalition mit der ÖVP abschminken, drohte Wirtschaftsminister Martin Bartenstein. Auch in der unternehmerfreundlichen Steuerpolitik und bei der Beibehaltung der unbeliebten Studiengebühren wolle man nicht von der bisherigen Politik abweichen. Das Klima zwischen den beiden Großparteien ist vergiftet, seit Wolfgang Schüssel vor sechs Jahren hinter dem Rücken der SPÖ mit Jörg Haider paktierte. Man rechnet also mit langen und schwierigen Koalitionsverhandlungen. Sollten sie scheitern, drohen Neuwahlen.