: Von Brücken und Aloha-Geist
BARACK OBAMA Die fesselnde Biografie von David Remnick, Chefredakteur des „New Yorker“, ist brillante amerikanische Geschichtsschreibung
Jackett ausziehen, Ärmel hochkrempeln und den alten Mann im Rollstuhl über die Brücke auf die andere Seite schieben. Würde es sich hier nicht um berühmtes Personal und eine berühmte Brücke handeln, die Szene wäre nicht weiter der Rede wert. Doch der alte Mann war Reverend Fred Shuttlesworth, eine Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, und die Brücke ist jene, die von Selma, Alabama, nach Montgomery führt und die Martin Luther King im März 1965 überquerte, um für die Aufnahme afroamerikanischer US-Bürger in die Wählerlisten demonstrieren. Der Mann, der im März 2007 bei der jährlich stattfindenden feierlichen Überquerung der Brücke von Selma den Rollstuhl schob, war Barack Obama.
Mit solchen Auftritten hatte Obama die Herzen der afroamerikanischen Wähler erobert. So jedenfalls schildert es David Remnick, Chefredakteur des New Yorker in seiner vor einem halben Jahr in den USA veröffentlichten und nun bereits auf Deutsch vorliegenden Biografie „Barack Obama – Leben und Aufstieg“. Der Titel des amerikanischen Originals lautet „The Bridge“. Völlig unverständlich ist, warum sich die Brücke nicht auch im deutschen Titel findet.
Denn nicht nur geht es Remnick in seinem opulenten Werk um Obamas Rolle als politischer Brückenbauer. Brücken spielen in Obamas Geschichte tatsächlich eine Rolle. Beispielsweise die kenianische „Luftbrücke“, die es seinem Vater 1959 ermöglichte, in den USA zu studieren.
Die Brückenmetapher als abgedroschen zu kritisieren, wäre allzu vorschnell. Remnick setzt in einer grandiosen amerikanischen Erzählweise die Inszenierung Obamas in den Kontext der US-Geschichte. Dabei gelingt ihm nicht nur ein überaus spannendes Porträt des ersten afroamerikanischen Präsidenten, sondern auch ein breites Panoptikum der US-Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Und dafür erzählt Remnick, der für das Buch über hundert Interviews führte, auch vom gelassenen „Aloha-Geist“ im Hawai der 1950er Jahre, von der kenianischen Unabhängigkeitsbewegung und von den postkolonialen Konflikten in Indonesien, die sowohl zur Biografie Obamas, wie zur Biografie der USA gehören.
Dabei verbindet er nicht nur Schauplätze von Kenia bis Kansas. Um den historischen Platz Obamas einzuordnen, flicht der Autor auch elegant Kulturgeschichte ein, wie Stanley Kramers Kinohit „Rat mal, wer zum Essen kommt“, TV-Serien wie „West Wing“ oder einen Roman des ghanaischen Schriftstellers Ayi Kwei Armah. Remnick hat ein historisches Werk geschrieben, dass deutlich macht, wie viele Brücken die USA gebaut und auch wieder eingerissen haben und wie leicht auch Obamas Brücke wieder einstürzen kann.
DORIS AKRAP
■ David Remnick: „Barack Obama – Leben und Aufstieg“. Aus dem Englischen von F. Giese, C. Knüllig, B. Rullkötter. Berlin Verlag 2010, 976 Seiten, 34 Euro