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Archiv-Artikel

Die Nähe, die sich niemals herstellt

SCHMERZ Knappe Dialoge, genau beobachtete Gesten: In dem Band „Von nun an“ erzählt Bjarte Breiteig intensive Geschichten

Es klingt so banal: Vom grundlegenden Alleinsein erzählt Breiteig. Und doch will man das lesen!

Es ist bereits das dritte Buch des in Norwegen längst bekannten, 1974 geborenen Autors Bjarte Breiteig, doch das erste in deutscher Übersetzung: ein schmaler Erzählband von gut hundert Seiten – der ein existenzielles Thema birgt. Es klingt so banal: Vom grundlegenden Alleinsein des Menschen erzählt Breiteig. Und dazu kommt: Er bietet keine Lösungen an. Nicht die Liebe. Nicht die Kommunikation. Und die Empathie trägt meist nicht weit über den Moment hinaus.

So viel Schwere – und doch will man das lesen. Schon allein die Sprache verhindert, dass sich die Erzählungen wie Blei aufs Gemüt legen. Sie ist knapp, präzise, oft lakonisch. Sie beschreibt konkrete Dinge, Körper, Gesten – was man eben zu fassen bekommt. Was die Leerstelle, die das eigentliche Zentrum ist, umgibt: die Nähe, die sich nicht herstellt. Der Schmerz oder die Angst, die sich nicht teilen lassen.

Wie in der Titelerzählung „Von nun an“, in der sich der Erzähler Tor mit dem Zug in ein Krankenhaus aufmacht, zu einer Operation. Dass diese gefährlich ist, ergibt sich aus knappen Dialogen, einer genau beschriebenen Geste. Eine Atmosphäre ist gleich da, was aber vor sich geht, muss man sich erschließen, man folgt der Spur, weil man verstehen will.

„Der Aufnahmebescheid kam im August, als wir schon fast aufgehört hatten, darauf zu warten. (…) Ich gab ihr den Brief, den ich bereits geöffnet hatte, und während sie ihn las, hob ich einen Zweig an und begann, wahllos ein paar unreife Pflaumen zu entfernen. Schon am Montag, sagte Elisabeth. Ja, sagte ich. Da steht nichts davon, wie lange du bleiben musst. Sie haben von einer Woche gesprochen, sagte ich, aber es kommt wohl darauf an. Sie hatte sich von mir abgewandt, und da begriff ich, dass sie zu weinen anfangen würde.“

Breiteigs Erzählungen entwickeln einen ganz eigentümlichen Sog dadurch, dass in ihnen das vermeintlich Bekannte auf das Verstörende und Neugierweckende trifft. Auch hier geht es nicht nur um das sich gegenseitig allein lassende Paar. Im Zug trifft Tor auf einen Mann, der behauptet, ihn aus der Schule zu kennen. Tor erkennt ihn nicht, aber wovon der Mann, den alle damals hänselten und Knirps nannten, spricht, daran kann er sich erinnern. Nun entfaltet sich eine Geschichte in der Geschichte: von Tors Drachen, der sich an der Spitze eines Baukrans verfing. Wie Tor erfolglos hochkletterte, unten alle besorgt nach ihm riefen. Wie der andere sich einen Tage später bei starkem Wind allein bis zum Drachen vorrobbt, in schwindelnder Höhe, die einen beim Lesen ganz hilflos macht, und sich vorstellt, wie Menschen aus Sorge um ihn unten stünden und riefen – das ist skurril, auch unheimlich und zugleich sehr anrührend; die Verzweiflung dieses Jungen, die als Schmerz noch im erwachsenen Mann steckt – das ist großartig erzählt!

Am nächsten Morgen ist der Mann verschwunden; sind Tor und Elisabeth nach einem nächtlichen Telefonat, in dem sie ihn bat, den Bekannten von früher um Verzeihung zu bitten, weit voneinander entfernt – nachdem Breiteig alle drei Figuren in einem durch die Nacht gleitenden Zug traurig-flüchtig miteinander verwoben hat.

In der Erzählung „Jetzt tanzen wir“ geht es zunächst um eine harmlose Party: „Als Brit sich langsam wieder besser zu fühlen begann, beschloss Jørn, dass sie ein Fest geben sollten.“ Schon dieser erste Satz scheint nicht unbeschwert. Dieser Eindruck wird sich verstärken: Breiteig erklärt die Art der Krankheit nicht, wohl psychisch. Er baut eine Spannung zwischen dem Paar auf, die sich zunehmend mit Aggression auflädt, die von Jørn ausgeht. Man will begreifen, was vor sich geht – und sieht sich mit einer Gewalttätigkeit konfrontiert, die offenbar Routine ist: Jørn übt sie aus, Brit erleidet sie fast einvernehmlich. Gewalt erscheint als pervertierte Form, Verbindung zu erreichen.

Eine bleibende Nähe herzustellen, das gelingt Breiteigs Figuren nie. Darin ist er sehr klar, radikal. Zugleich aber erzählt er verrätselt, fast geheimnisvoll. Die Sehnsucht und der Schmerz der Figuren sind immer spürbar. In der Verbindung dieser scheinbaren Gegensätze liegen der große Reiz, die Intensität der Geschichten. CAROLA EBELING

Bjarte Breiteig: „Von nun an“. Aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel. Luftschacht Verlag, Wien 2010. 106 S., 14,60 Euro