: Feldzug gegen die Fesseln
Was tun gegen Zwangsverheiratung? Integrationsminister Armin Laschet will das Nachzugsalter für MigrantInnen erhöhen. ExpertInnen sind sich uneins, ob das hilft oder reiner Populismus ist
VON MANFRED GÖTZKE
Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) sagt der Zwangsehe den Kampf an. Er schlägt vor, dass in Zukunft verheiratete Frauen erst dann zu ihrem Mann nach Deutschland ziehen dürfen, wenn sie mindestens 18 Jahre alt sind. Damit will Laschet verhindern, dass Familien ihre Töchter gegen deren Willen im Ausland verheiraten, um sie dann zu ihrem fremden Mann nach Deutschland zu holen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) setzt sich sogar dafür ein, das Nachzugsalter auf 21 Jahre zu erhöhen. Eine Entscheidung des schwarz-roten Bundeskabinetts dazu steht in den nächsten Monaten an.
Wie viele junge Frauen in NRW zwangsverheiratet werden, ist nicht bekannt. 2002 wurden allerdings allein in Berlin 230 Fälle dokumentiert. Die Kölner Beratungsstelle für Migranntinnen „agisra“ kümmert sich jedes Jahr um etwa 50 betroffene Frauen.
„Das geplante Gesetz ist absurd. Es wird die Probleme nur verstärken“, sagt Ida Schrage von agisra. Die Mädchen würden weiterhin mit 16 im Ausland verheiratet und dann eben zwei Jahre später nach Deutschland geholt. „Dann haben sich die Paare nur noch weiter entfremdet“, sagt Schrage. Statt Familien zu kriminalisieren, müsse man mit ihnen reden. „Man muss klarmachen, dass der Koran den Familien keineswegs gebietet, über das Leben ihrer Töchter zu entscheiden.“
Die Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ steht dagegen hinter den Plänen der NRW-Landesregierung. „Wir befürworten alle Gesetze, die die Heirat von Minderjährigen beschränken“, sagt Rahel Volz, Referentin für Frauenrechte in islamischen Gesellschaften. Dieses Ziel sieht sie beim Vorschlag Schäubles, das Nachzugsalter auf 21 Jahre anzuheben allerdings nicht. „Das würde vor allem die Zuwanderung beschränken“, sagt Volz. Gegen Zwangsheiraten könne Laschets Gesetz nur ein Baustein sein, diese könnten so keineswegs verhindert werden. „Wir erreichen damit nicht die Wurzeln des Problems.“
Doch die Wurzeln zu bekämpfen kostet Geld: „Wirklich sinnvoll sind Präventionsmaßnahmen von Jugendämtern und Schulen, die die Wertvorstellungen in den Familien verändern“, so Volz. Noch gibt es solche Maßnahmen nicht, die Landesregierung arbeitet an einem Konzept. Zudem, beklagt Volz, fehlen Einrichtungen, die junge Frauen aufnehmen, wenn sie sich aus einer Zwangsehe lösen wollen – oder einen drohenden Verheiratung entziehen. Denn das Problem besteht auch in Deutschland: 30 Prozent aller Mädchen, die Beratungsstellen für Migrantinnen aufsuchen, „sagen, sie seien von Zwangsheirat bedroht“, erklärt die Autorin Serap Cileli (siehe Interview). Für solche Fälle gab es bis Februar dieses Jahres das Mädchenhaus Rabea als Zufluchtsort. Um die Mädchen und Frauen vor ihren Familien zu schützen, war nicht einmal bekannt, in welcher Stadt sich Rabea befand.
Obwohl es das einzige Mädchenhaus dieser Art in NRW war, wurde Rabea geschlossen. Als Anfang des Jahres Landesmittel für Frauenhäuser gekürzt wurden, fiel Rabea über die Klippe. „Wir haben das nie verstehen können“, sagt Ida Schrage von agisra. Sie hat früher viele junge Frauen an das Mädchenhaus vermittelt. „Die Mädchen haben da einen Familienersatz gefunden.“
Nicht nur agisra hält Laschets Vorschlag für falsch. „Ich finde es diskriminierend, wenn in Deutschland 16-Jährige mit Erlaubnis der Eltern heiraten dürfen, junge Türkinnen, die einwandern wollen, aber nicht“, sagt Mekonnen Mesghena, Migrationsexperte bei der Heinrich-Böll Stiftung.Den Vorstoß des NRW-Ministers verbucht Mesghena vor allem als Versuch, beim Dauerbrenner Integration populistisch zu punkten. „Das Thema Zwangsheirat wird derzeit gerne aufgegriffen. Wirkliche Integration kostet aber viel Geld.“