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Archiv-Artikel

Der Arbeitskampf für ein Stück Würde

Seit zwei Wochen blockieren Arbeiter das BSH-Waschmaschinenwerk in Spandau. Trotz Gewinnen will die Konzernleitung von Siemens die Produktion ins Ausland verlagern. Die Stimmung unter den Streikenden ist gut, doch die Aussicht auf Erfolg gering

von Nina Apin

Elvan und Cengiz steuern zielstrebig auf das Haupttor des Bosch-Siemens-Werks zu. „Wir gehen unserer Mutter beim Streiken helfen“, erklärt die zwölfjährige Elvan. Fast jeden Tag fährt sie nach der Schule von Kreuzberg nach Spandau, um in der Streikküche zu helfen, Tischtennis zu spielen – oder um einfach mal wieder ihre Mutter zu sehen. „Sie ist jeden Tag zehn Stunden im Werk, auch am Wochenende“, sagt ihr Bruder. „Aber es ist gut, dass sie kämpft.“

Cengiz’ Mutter kämpft mit den anderen Beschäftigten von Bosch-Siemens-Haushaltsgeräte (BSH) gegen einen mächtigen Gegner: die Logik der Globalisierung. Im Sommer kündigte die Münchner Konzernleitung an, die Waschmaschinenproduktion in Spandau zum Jahresende einzustellen. Das Argument: Der 1953 gegründete Standort arbeite nicht gewinnbringend, die Maschinen seien veraltet. Eine Weiterbetrieb würde laut Unternehmen „eine erhebliche wirtschaftliche Belastung von 20 Millionen Euro im Jahr“ mit sich bringen: ein Zuschussgeschäft.

Eine Bilanzschieberei, sagt Luis Sergio. „Spandau schreibt seit Anfang 2005 schwarze Zahlen“, erklärt der Streikleiter von der IG Metall. „Der angebliche Verlust entstand, weil die Werksleitung 4,5 Millionen Euro zurückgestellt hat, um für eine Schließung finanzielle Argumente zu haben“. Dafür spricht, dass die BSH-Waschmaschinen künftig in Polen und der Türkei gebaut werden sollen, wo die Löhne geringer sind. In Spandau sollen nur Teilbereiche mit höher qualifizierten Arbeitnehmern bleiben, wie Entwicklung und Buchhaltung. Das sind knapp 400 Arbeitsplätze. 620 der insgesamt 1.025 Angestellten sollen gehen. Doch die setzen sich zur Wehr – auch die, die bleiben dürfen. Seit 25. September sind die Werkstore verrammelt, die Arbeiter bewachen rund um die Uhr alle Ein- und Ausgänge.

„Hier kommt kein Mensch rein und keine Ware raus“, sagt einer der Aufpasser. Sie wirken entschlossen und gut gelaunt. In einem Zelt gibt es Kaffee und eine Tischtennisplatte. Für wärmende Feuertonnen liegt Holz bereit. Die IG Metall hat sich auf einen langen Arbeitskampf eingerichtet. Die Streikkasse ist gut gefüllt, das Geld für etwa 60 Euro Aufwandsentschädigung pro Tag und Nase wird so schnell nicht ausgehen.

„Uns geht es nicht um möglichst hohe Abfindungen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Güngör Demirci. „Wir kämpfen für den Erhalt der Industriearbeitsplätze in Berlin“. Demirci ist wütend: Der Konzern habe die Abwicklung lange vorbereitet, sagt er. Immer weitere Teile der Produktion wurden verlagert, investiert wurde in das Traditionswerk schon lange nichts mehr. Trotzdem machte es im letzten Jahr sogar Gewinn. „Das reicht den Managern nicht, die drehen immer mehr an der Lohnschraube. Und wir bleiben auf der Strecke“, erregt sich Demirci. Das Kompromissangebot der Konzernleitung sei reiner Hohn. Mehrarbeit bei 400 bis 500 Euro weniger Nettolohn für jeden, ohne mittelfristige Arbeitsplatzgarantie? 37 Arbeitsjahre habe er Bosch-Siemens geschenkt, da seien fünf Jahre Arbeitsplatzgarantie das Mindeste, findet Demirci. Klein beigeben, das kommt für ihn nicht in Frage.

Auch nicht für Bernhard Lemke. Der 55-Jährige mit dem grauen Bart ist seit sieben Uhr früh auf Schicht. Er registriert die Streikenden, eilt zwischen Versammlung, Betriebsrat und Streikleitung hin und her. „Eigentlich könnte ich mich frühpensionieren lassen“, sagt er. Das hat ihm das Management angeboten. Doch Lemke denkt nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen.

„Arbeit ist Menschenwürde, und die lasse ich mir nicht nehmen“, sagt er. Er ist Siemens-Arbeiter in der vierten Generation. Sein Vater war beim kürzlich abgewickelten Kabelwerk angestellt. Lemke ist unglaublich enttäuscht – nicht nur von dem Konzern, der seit fast 200 Jahren für das Auskommen seiner Familie sorgt. „Ich vermisse die Solidarität der anderen Arbeitnehmer“, sagt er. Letzte Woche fuhr er mit Kollegen nach Leipzig. Für ihre Kundgebung interessierten sich nur wenige, auch beim Besuch des BSH-Werks Nauen wurden die Spandauer frostig empfangen. „Da kam gerade mal der Betriebsratsvorsitzende vor die Tür.“ Lemke schüttelt den Kopf. „Dabei gab es auch dort Entlassungen. Da muss man doch zusammenhalten.“ Mit einer deutschlandweiten Solidaritätsfahrt wollen Lemke und seine Mitstreiter zeigen, dass sie alle im gleichen Boot sitzen: die Arbeiter des Pleite-Handy-Herstellers BenQ, die Trocknerfabrikanten von Nauen, die Kumpel von EKO-Stahl in Eisenhüttenstadt. Solidarität bekommen die Streikenden zumindest von der Politik. Klaus Wowereit erklärte letzte Woche im Werk seine Sympathie. Auch der WASG-Vorsitzende Oskar Lafontaine sowie Wirtschaftssenator Harald Wolf und Gregor Gysi von der Linkspartei prangerten vor Ort die soziale Verantwortungslosigkeit des Konzerns an. Dessen Leitung zeigt sich bisher wenig verhandlungsbereit. „Die tarifvertraglichen Verhandlungen wurden von der IG Metall in den frühen Morgenstunden des 19. September für gescheitert erklärt“, heißt es in dürren Worten auf der Website des Unternehmens. „Momentan wird nicht verhandelt“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. „Über einen entsprechenden Sozialplan wird das Arbeitsgericht entscheiden“. Sozialplan – das bedeutet Abfindungen für die Entlassenen, aber keine Arbeitsplatzgarantie. Doch genau um die geht es den Streikenden.

„Sehen Sie, ich bin 41 und habe keine Ausbildung“, sagt Aynur Aktürk, die Mutter von Elvan und Cengiz. „Bei einem anderen Arbeitgeber hätte ich kaum Chancen.“ Den 9. September wird Aktürk nie vergessen. Um neun war eine Betriebsversammlung – angesetzt auf eine Stunde. „Der Betriebsleiter erklärte uns in 20 Minuten, warum er uns nicht mehr braucht. Und tschüß.“ Aktürk hätte kündigen können, für eine Abfindung. Das Angebot trägt sie noch in der Manteltasche, wie eine schlechte Erinnerung.

Aynur Aktürk kam als junge Frau aus der Türkei, fing bei Siemens an, heiratete, bekam zwei Kinder und arbeitete weiter. „Ich arbeite gerne, wenn ich zu Hause sitze, bin ich traurig“, sagt die zierliche Frau. Ihr Mann arbeitet in einer Tempelhofer Gießerei. Zur Not würde sein Gehalt für die ganze Familie reichen, doch darauf vertraut sie lieber nicht. „In letzter Zeit fallen da so viele Schichten aus, das macht mir Angst“. Also kämpft Aktürk, fährt mit ihrer Familie zu den Solidaritätsmärschen. Ihre Tochter ist immer dabei. „Sie ist eine sehr gute Streikkraft“, lobt die Mutter. „Ich hasse diese Firma!“, ruft Elvan. Die Mutter lächelt. Sie glaubt daran, dass sie die Werksschließung verhindern können. „Mit der IG Metall und der Unterstützung der Politik werden wir es schaffen!“ Auch Luis Sergio glaubt an den Erfolg. „Siemens steht durch die BenQ-Pleite und die unmäßigen Managergehälter stark unter Druck“, sagt er. „Ich bin sicher, dass die einlenken werden, um wenigstens in Spandau Ruhe zu haben.“

Aynur Aktürk hat ihre Kinder ins Zelt geschickt, wo zu türkischer Musik getanzt wird. Sie nimmt sich noch einmal ihren Schwager zur Brust, der den Streik für aussichtslos hält. „Du musst optimistisch sein, ich bin es doch auch“, sagt sie. Und fügt leise hinzu: „Vielleicht habe ich einfach keine Wahl.“