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Archiv-Artikel

Georgien-Kneipen in Moskau unerwünscht

Wenn es um Georgien und das benachbarte Ausland geht, setzt Russland seine Interessen ohne jede Rücksicht durch. Mit antiwestlicher Rhetorik hält sich Moskau zurück. Die Außenpolitik ist eher pragmatisch als ideologisch bestimmt

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Georgische Truppen stehen kurz vor Moskau. Diesen Eindruck vermittelt Russlands Staatsfernsehen, seit vorletzte Woche vier Angehörige des russischen Militärgeheimdienstes in der georgischen Hauptstadt Tiflis wegen Spionageverdachts festgenommen wurden. Die Inhaftierten sind längst wieder zurück in der Heimat, aber Russland kommt nicht zur Ruhe.

Nach Auslieferung der Verdächtigen verhängte Moskau eine vollständige Wirtschaftsblockade über den Nachbarn. Flug-, Zug-, und Postverkehr wurden auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Zwar kündigte Verteidigungsminister Sergei Iwanow in dieser Woche an, die russischen Militärbasen in Georgien bis 2009 aufzugeben. Gleichzeitig sanktionieren die Behörden jedoch eine Reihe von Schikanen, die gegen Georgier gerichtet sind. Sie ließen in Moskauer Schulen Kinder mit georgischen Namen feststellen. Nach anhaltendem Druck schlossen letzte Woche zahlreiche georgische Restaurants in der Hauptstadt und georgische Händler wurden von Märkten vertrieben. Über hundert Georgier wurden deportiert.

Ein Exempel soll statuiert werden. Die Westorientierung des georgischen Präsidenten Saakaschwili und dessen Ansinnen, der Nato beizutreten, waren dem Kreml seit je her ein Dorn im Auge. Im Bewusstsein der politisch Verantwortlichen erlangte die ehemalige Sowjetrepublik ohnehin nie ihre Souveränität. Russland, als Energielieferant von der EU, China, Japan und Amerika gleichermaßen umgarnt, schert sich immer weniger um das Bild, das sich der Westen von ihm macht.

Im Januar kappte Moskau der Ukraine und der Moldau im Streit um höhere Gaspreise die Energiezufuhr. Vor kurzem nahm der Kreml den britisch-niederländischen Ölkonzern Shell ins Visier. Das zuständige Ministerium verfügte einen Baustopp über das Öl- und Gasprojekt „Sachalin 2“ im Fernen Osten mit der Begründung, die Auflagen zum Schutz von Grauwalen seien nicht beachtet worden. Tatsächlich geht es darum, die in den neunziger Jahren mit Shell vereinbarte Produktionsvereinbarung neu zu verhandeln – mit vorteilhafteren Bedingungen für Moskau. Der Staatskonzern Gazprom, den Präsident Wladimir Putin zur Lokomotive einer Energiesupermacht aufrüsten möchte, soll von dem Kuchen mehr abbekommen, geltende Verträge hin oder her.

Auch im Atomstreit mit dem Iran wirft das Verhalten des Kremls Fragen auf. Tritt Russland noch in der Rolle des Vermittlers auf, wenn es Aussichten auf einen Beschluss des UNO-Sicherheitsrats von vornherein blockiert? Nicht nur Russlands Atomlobby, auch die Rüstungs- und Luftfahrtindustrie sind an Geschäften mit Teheran interessiert. Erst kürzlich wurde Iran in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), der China, Russland und die zentralasiatischen Staaten angehören, ein Beobachterstatus eingeräumt. Weite Kreise der russischen Elite träumen davon, die SOZ zu einer Gegen-Nato auszubauen.

Russland ist auf der Suche nach einem eigenen außenpolitischen Profil. Zeichnet sich damit schon ein neuer Kalter Krieg mit dem Westen ab? Im Unterschied zur Blockkonfrontation des vergangenen Jahrhunderts kann Moskau heute mit keiner Ideologie aufwarten, die die Hegemonie über ein Staatenbündnis sichern würde. Russland dürfte weiterhin eine pragmatische Außenpolitik verfolgen, die im Westen „einmal einen Partner, einmal einen Gegner ausmacht“, sagt Lilia Schewzowa von der Moskauer Filiale der amerikanischen Carnegie-Stiftung.

Die herrschende Elite steht vor einem Dilemma: Ihre Privilegien verdankt sie einer russischen Gesellschaft, die gegenüber dem Westen noch immer ablehnend eingestellt ist. Gleichzeitig hat die Elite Geld, Eigentum und nicht selten auch die Familie ins westliche Ausland geschickt. Die antiwestliche Rhetorik ist für das Volk bestimmt, darf indes ein kritisches Maß, das die Interessen im Westen gefährden würde, nicht überschreiten.

Ambivalenz kennzeichnet auch den Shell-Sachalin-Konflikt: Weder Gazprom noch andere heimische Firmen verfügen über ausreichend Know-how, um die Ressourcen selbstständig auszubeuten. Das hindert die herrschende Bürokratie jedoch nicht daran, an einem „pluralistisch strukturierten Feindbild“ festzuhalten, sagt Schewzowa. Früher seien die Tschetschenen die Opfer gewesen, jetzt eben die Georgier.