Aussiedler : Wahrnehmung und Wirklichkeit
Die Aussiedler waren der perfekte Sündenbock: Sie fallen als „anders“ auf und mit Heimatverlust und Integrationsproblemen hatte jeder Küchenpsychologe Erklärungsmuster parat, warum Aussiedler krimineller, vor allem: gewalttätiger seien als andere Deutsche. Es schien klar: Die Russen mit deutschem Pass versauen ihren neuen Landsleuten die Kriminaltitätsstatistik.
KOMMENTARVON JAN KAHLCKE
Irren ist menschlich. Noch menschlicher ist, das offen zuzugeben, ja sich am eigenen Irrtum zu erfreuen – so wie der Hamburger Polizeipräsident.
Was gibt es aus seiner Studie noch zu lernen? Erstens, fast ein Gemeinplatz, dass Wahrnehmung und Wirklichkeit oft weit auseinander klaffen. Zweitens müssen wir Journalisten uns fragen, was wir dazu beigetragen haben, dass ein vermuteter Trend in Hysterie umschlug. Das Adjektiv „russlanddeutsch“ und das Substantiv „Täter“ sollten eben nicht bei jeder Gelegenheit miteinander verbandelt werden. Drittens sollte versucht werden, der Bildung von Aussiedler-Ghettos entgegenzusteuern, wo sie das Bild dominieren. Im Moment tut (nicht nur) Hamburg mit der Vertreibung von Hartz-IV-Empfängern genau das Gegenteil.
Die wichtigste Frage birgt Ansätze für neue Studien: Warum werden die eingesessenen Deutschen immer krimineller? Und: Könnte das mit wachsender sozialer Ungleichheit zu tun haben?