PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Raucherbeinharte Fakten

Zu Hause darf ich nur in einer sehr entwürdigenden Stellung rauchen. Gerade deshalb höre ich nicht auf

Zum Glück kann mich niemand sehen, wie ich so da sitze: Den Küchenstuhl zwischen Spülmaschine und Herd geklemmt, den Kopf wegen des tiefer gelegten Gewürzregals leicht schräg gestellt, blase ich den Inhalt meiner Lungen direkt in den Filter der Abzugshaube, die ich zuvor auf „Vollgas“ gestellt habe, und schaue dem Rauch der Zigarette zu, wie er in einem Rohr aus Edelstahl entschwindet.

Bei aller Ästhetik hat dieses Schauspiel auch etwas Entwürdigendes. Zumal es sich um meine eigene Wohnung handelt.

Aber ich bestimme eben schon seit einiger Zeit nicht mehr alles alleine. Rauchen zu dürfen unter der Abzugshaube in der Küche, das ist alles, was mir geblieben ist. Es ist mein letztes Recht.

Ich hatte es mir erstritten, weil ich im nahenden Winter nicht mehr im kalten Treppenhaus stehen wollte. Schon deshalb höre ich nicht zu rauchen auf: Ich will wissen, wie sie mich weiter quälen. So viel Märtyrerstolz muss sein.

Mir fiel der Albaner wieder ein, den sie auf dem Billigflug von Dubrovnik nach Stuttgart aus der Toilette zerrten, weil der Rauchmelder ihn verraten hatte. Als die Stewardess ihm sagte, er müsse nun 50 Euro Strafe bezahlen, fing er in gebrochenem Deutsch an, um Gnade zu winseln. Eine erbarmungswürdige Szene. So will ich nicht enden. Winselnd. Ich will mein Recht.

Mit schräg gedrehtem Kopf den Rauch verfolgend, so kommen einem nicht die schlechtesten Gedanken. Aristoteles entdeckte das peripathetische Denken, das Entwickeln eines Gedankens im Gehen. Von der fumativen Inspiration spricht man dagegen seltener. Dabei hätte es ohne Ernst Blochs Pfeifenrauch kein „Prinzip Hoffnung“ gegeben, und den größten Schachspieler aller Zeiten, Dr. Emanuel Lasker, musste man erst gar nicht fragen, was der Quell seiner genialen Taktik sei. Man konnte es sehen und riechen.

Aber was soll ich mich aufregen in einer Gesellschaft, in der Väter ihre zweijährigen Kinder unter den Augen des Sozialamts in Kühlschränken entsorgen, wo das Rauchen im Auto aber mit Blick auf die jüngsten Beifahrer verboten werden soll?

Gerade zurück aus Italien hat auch dort mein Weltbild gelitten. Ich hatte sie immer für aufsässiger, für anarchischer gehalten. Stattdessen: Weicheier von Palermo bis Turin, die sogar im strömenden Regen vor die Türe der Bar zum Rauchen gehen.

Die Iren? Hört mir auf mit den Iren! Baumgroße Kerle, sie sich wie Schuljungen in der Raucherecke vor den Türen ihres Stammpubs herumdrücken.

Hätten die Amerikaner ihre Indianer nicht ausgerottet, das Ritual der Friedenspfeife hätte manchen Krieg verhindert.

Und ohne das Geld der Zigarettenindustrie wüssten wir Deutschen doch bis heute noch nicht, was die Wehrmacht für Verbrechen beging. Reemtsma sei dank. Ja, so ist das. Wahrheiten sind das.

Raucherwahrheiten.

Raucherbeinharte Fakten.

Ich habe mich in den vergangenen Wochen allmählich an meine gebückte Haltung unter der Haube gewöhnt. Ich bin ihr auch nicht wirklich böse, nur etwas enttäuscht.

Hatte ich nicht ihr zuliebe sogar katholisch geheiratet? War ich diesen Sommer nicht gegen meinen Willen mit ihr ans Meer gefahren? Hatte ich nicht so getan, als ob es mir gefallen würde? Und kaufe ich nicht ihretwegen zum Frühstück Vollkornbrot statt Laugenweckle? „In guten wie in schlechten Zeiten“, hatte der Herr Pfarrer gesagt. Aber so sind sie halt, die Frauen.

Meine Zigaretten beziehe ich inzwischen von einem litauischen Schwarzhändler. Es geht mir dabei nicht ums Geld. Ich mag einfach nur diese Traueranzeigen auf den Packungen nicht mehr lesen und vor allem nicht von meinem Sohn vorgelesen bekommen.

„Rukymas zudo“, das klingt doch gleich viel schöner, und so nehme ich diese warnenden Aufschriften allenfalls noch lautmalerisch zur Kenntnis. „Papa, was heißt eigentlich: ‚Apsugokite vaikus: neverskite‘?“, fragte mich mein Sohn vor ein paar Tagen.

„EU-Bürokraten sind Vollidioten“, antwortete ich.

Hamse ma Feuer? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS