: Nordkorea ist Weltmeister im Statuenbau
Pjöngjang verzeichnet ein leichtes Wirtschaftswachstum. Kim Jong Ils Reich exportiert Arbeitskräfte, in Bronze gegossene Präsidenten und Meeresfrüchte. Aber auch der Handel mit Drogen und falschen Dollars blüht
PEKING taz ■ Bildhübsche Kellnerinnen in adretter Uniform, den Anstecker des verstorbenen Staatsgründers Kim Il Sung an der Brust, singen von Liebe und Sehnsucht nach der nordkoreanischen Heimat. Der heilige Berg Paektu-san und die Hochhäuser von Pjöngjang flimmern über den Fernsehbildschirm an der Wand, während die Gäste Kimchi-Kohl, kalte Nudeln oder gegrilltes Bulgogi-Fleisch verspeisen. Solche Nordkorea-Restaurants gehören inzwischen zur Gastronomie vieler Städte Asiens – in China ebenso wie in Japan und sogar in Kambodscha.
Für das verarmte Reich des Herrschers Kim Jong Il, der einst „Lieber Führer“, inzwischen aber „Großer Führer Genosse General“ genannt wird, sind diese Wirtshäuser wichtiger Devisenbringer. Um dringend benötigte Valuta zu verdienen, schickt Nordkorea mittlerweile nicht nur Kellnerinnen in alle Welt, sondern auch Holzfäller nach Russland und Bauarbeiter nach Afrika. Nach Angaben des chinesischen Koreaexperten Li Dunqiu werden aber auch Zeichentrickfilme, Videospiele und Präsidentenstatuen exportiert. Abnehmer für ihre in Bronze gegossenen Staatsoberhäupter seien unter anderem Äquatorialguinea, Togo und Gabun.
Nach der Hungersnot in den 90er-Jahren geht es mit Nordkoreas Wirtschaft wieder etwas aufwärts. Rund 40 Milliarden Dollar im Jahr, schätzen Ökonomen, erwirtschaften die Nordkoreaner an Gütern und Dienstleistungen. Die Zahl entspricht der Wirtschaftskraft von Haiti. Die südkoreanischen Landsleute bringen es auf das Zwanzigfache. Ein Großteil des Bruttosozialproduktes schaufelt Pjöngjang in die Rüstung – für den Bau einer Atombombe zum Beispiel.
Auch der Außenhandel Nordkoreas hat in den letzten Jahren leicht angezogen. Insgesamt kauften und verkauften die Staatsbetriebe im Jahr 2005 Waren im Wert von etwa drei Milliarden Dollar – das höchste Ergebnis seit 1991. Extra gerechnet in den Statistiken wird der Handel mit Südkorea, der im letzten Jahr über eine Milliarde Dollar erreichte. Zu den wichtigsten südkoreanischen Devisenbringern für den Norden zählt die Wirtschaftssonderzone Kaesong, in der nordkoreanische Arbeiter für südkoreanische Firmen Kleider nähen und elektronische Geräte zusammensetzen, und das Touristenzentrum im Kumganggebirge, das jährlich hunderttausende Südkoreaner besuchen.
China ist inzwischen größter Handelspartner Pjöngjangs: Die Nordkoreaner importierten nach chinesischen Statistiken im vergangenen Jahr Waren im Wert von rund 1,08 Milliarden US-Dollar, vor allem Lebensmittel, Kohle und Treibstoff. Bis zu 90 Prozent ihrer Ölimporte kommen aus China. Das Geschäft ist jedoch keineswegs ausgeglichen. Nordkorea verkaufte Mineralien, Erze, Meeresfrüchte und Holz im Wert von weniger als einer halben Milliarde Dollar nach China.
Weil es an Treibstoff mangelt und die Maschinen veraltet sind, lassen die Nordkoreaner inzwischen die rohstoffhungrigen Chinesen ins Land. Sie betreiben Bergwerke und Werften. Die Provinz Jilin liefert Strom als Gegenleistung für die Lizenz zum Kupferabbau jenseits der Grenze.
Weniger harmlos sind Rüstungsexporte in den Iran und nach Pakistan. Um Dollar in die Kassen zu bekommen, finanziert sich das Kim-Regime auch durch den Export von Drogen und das Drucken von Hundertdollarnoten. Auch gefälschte chinesische Währung soll mittlerweile im Umlauf sein. US-Experten schätzen die Einnahmen Nordkoreas aus illegalen Quellen auf etwa ein Drittel des gesamten staatlichen Einkommens.
Pekings Politiker hoffen, dass sich Kim und seine Generäle vom erfolgreichen Beispiel der chinesischen Reformpolitik überzeugen lassen. Viermal luden sie den 62-Jährigen seit 2000 ein, mit seinem Sonderzug durch das Land zu reisen. Bei seiner letzten Tour im Januar besuchte Kim Hightech-Unternehmen, den Drei-Schluchten-Staudamm am Jangtse sowie die südliche Sonderwirtschaftszone Schenzhen. Der Besuch sollte dem nordkoreanischen Nachbarn zeigen, dass Chinas Reformen weder die führende Rolle der KP Chinas geschwächt noch zu sozialen Unruhen geführt hat, so Koreaspezialist Li in einer Studie über die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder. Kim sei so beeindruckt gewesen, dass er zum ersten Mal davon sprach, sein Land wolle von China lernen. Zurück in Pjöngjang löste Kim „Schockwellen“ unter den hohen Funktionären aus: „Nie da gewesene Ansichten wurden geäußert“, erfuhr Li, etwa über die Frage, ob Kapitalismus schlecht oder gut sei.
Eine Delegation hochrangiger nordkoreanischer Wirtschaftsexperten reiste bald darauf nach China, um auf den Spuren Kims Firmen, Institute und Betriebe zu besichtigen. Auch in Pjöngjang informiert man sich über das Wesen des Kapitalismus: Im vorigen Jahr veranstaltete die EU dort ein Seminar über die Funktion von Zentralbanken.
Von praktischer Umsetzung ist indes wenig zu merken. Zwar erlaubt Kim in der Hauptstadt nun einen privaten Markt, doch Getreide darf nicht verkauft werden – dafür ist das staatliche Versorgungssystem zuständig. Immerhin dürfen Bauern Gemüse und Obst aus ihrem kleinen Hausgarten feilbieten.
Vor allem die Hardliner in der nordkoreanischen Armee, die einen großen Teil der Fabriken führt, sträuben sich hartnäckig gegen „Reformen“. Schon das Wort ist tabu. Stattdessen spricht man in Pjöngjang von „Pragmatismus“. Solchen bewiesen die Generäle kürzlich mit der Übernahme der mit chinesischer Hilfe gebauten Taean-Glasfabrik in Pjöngjang. Die zivile Geschäftsleitung, so hieß es, habe nicht für effizientes Arbeiten gesorgt.
JUTTA LIETSCH