: Winkelzüge im Schloss
VON ASTRID GEISLER (SCHWERIN) UND MICHAEL BARTSCH (DRESDEN)
Wo die NPD künftig Platz nehmen wird? Die weißen Bänke im Plenarsaal verraten es auf den ersten Blick. Man könnte sogar meinen, Rechtsextreme übertrügen ansteckende Krankheiten. Abseits, ganz rechts außen an der Fensterfront reihen sich sechs Sessel hintereinander. Eine breite Gasse trennt sie von den übrigen engen Sitzreihen, wo FDP, CDU, SPD und PDS sich niederlassen werden. Doch von Sicherheitsabständen will im Schweriner Schloss niemand reden. Der FDP-Fraktionschef, künftig Sitznachbar von NPD-Führungsmann Udo Pastörs, hat eine viel bessere Erklärung. Einer seiner neu gewählten Parteifreunde sitze im Rollstuhl, sagt Michael Roolf: „Der braucht diesen Platz.“
Am Montag tritt der Schweriner Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen – und hinter den Kulissen arbeiten die Demokraten eifrig daran, sich auf die unerwünschten Neulinge im Parlament einzurichten. Die Linie ist klar: den rechtsextremen Kollegen alle Rechte einräumen, die ihnen zustehen, aber nicht mehr. Denn die Erfahrung mit der NPD im Dresdener Landtag lehrt: Die Rechtsextremen dürften jede Chance nutzen, um das Schloss in ihre Tribüne zu verwandeln. Und dem Schweriner Parlament steht zusätzlich eine brisante Premiere bevor: Mit Tino Müller und Birger Lüssow sitzen erstmals zwei Kader aus der militanten Kameradschaftsszene in einem Landtag.
„Natürlich sind alle Abgeordneten formal gleichgestellt“, sagt die Sozialdemokratin Sylvia Bretschneider. „Aber unser Anspruch ist auch, in den nächsten fünf Jahren die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen.“ Als bisherige und vermutlich auch als künftige Präsidentin des Landtags hat sie in den vergangenen Wochen mit den anderen demokratischen Fraktionen und der Landtagsverwaltung einen ganzen Katalog von Anträgen für die erste Sitzungswoche vorbereitet – beinahe sämtlich auf die rechtsextremen Kollegen zugeschnitten.
Als erster deutscher Landtag werde das Schweriner Parlament von den Angestellten der Fraktion polizeiliche Führungszeugnisse verlangen, kündigte Bretschneider an. Dazu wolle man gleich in der ersten Sitzungswoche das Abgeordnetengesetz ändern. Wahlkreismitarbeiter der Parlamentarier sollen künftig nur noch dann Gehälter vom Landtag beziehen, wenn sie ein Führungszeugnis ohne Vorstrafen vorlegen können. Vorbestrafte Referenten der Fraktionen sollen zumindest keinen Zugang mehr zu nichtöffentlichen Ausschusssitzungen bekommen.
Der Vorstoß ist nur eine der Lehren, die die Schweriner aus den Erfahrungsberichten ihrer Dresdner Kollegen gezogen haben. Einige Mitarbeiter der Landtagsverwaltung reisten sogar nach Sachsen, um sich persönlich über die Probleme im Umgang mit der NPD-Fraktion berichten zu lassen – auch Landtagsdirektor Armin Tebben. „Auf uns kommt ein schwieriger Spagat zu“, sagt er. „Denn einerseits gilt für uns der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Abgeordneten – aber gleichzeitig sind wir Dienstleister der parlamentarischen Demokratie.“
Was die Schweriner in Dresden zu hören bekamen, ließ sie Böses ahnen: Zwar fiel die Sacharbeit der dortigen Fraktion – von zahllosen werbeträchtigen kleinen Anfragen abgesehen – rückblickend eher bescheiden aus. Doch gelang es den Rechtsextremen immer wieder, den sächsischen Landtag zu schockieren und vor sich her zu treiben. Die überforderten Parlamentarier reagierten oft erst, als der Eklat geschehen war. So überraschte die NPD die Demokraten mit einem Neujahrsempfang, bei dem plötzlich 300 braune Sympathisanten den Plenarbereich okkupierten. Daraufhin erließ der Landtag ein generelles Verbot von Parteiveranstaltung im Plenarsaal. Wiederholt erhielt die NPD bei geheimen Abstimmungen einige Stimmen aus dem demokratischen Lager. Geschickt verstanden es die Rechtsextremen zudem, traditionelle Parteianimositäten – vor allem zwischen CDU und PDS – für ihre Ziele auszunutzen.
Erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine offensive Auseinandersetzung mehr bringt als demonstrative Ignoranz. So beschlossen die anderen Fraktionen im Dresdner Landtag im vergangenen Jahr, ihr Verhalten im Umgang mit der NPD künftig miteinander abzustimmen. Eine Folge: Inzwischen antwortet bei gezielten, ideologisch motivierten Provokationen meist nur noch ein Redner im Namen der übrigen Fraktionen im sächsischen Landtag.
Solche Umwege wollen die Schweriner Kollegen möglichst vermeiden. Sie rechne fest mit einem „großen Konsens“ der demokratischen Parteien, versichert Landtagspräsidentin Bretschneider. Immerhin schluckten die sieben Parlamentsneulinge der FDP bereits Änderungsvorschläge, die nicht nur auf Kosten der NPD gehen, sondern auch die kleine liberale Fraktion treffen. Zum Beispiel die geplante Kürzung der Zuschüsse für kleinere Fraktionen um etwa 30 Prozent. So bekäme die NPD statt 847.000 Euro nur 600.000 Euro im Jahr für ihre Fraktion, die FDP müsste sich mit 675.000 statt 882.000 Euro begnügen. „Wir haben unseren Finanzrahmen bereits überschlagen“, versichert FDP-Fraktionschef Roolf der taz: „Uns reicht das völlig aus.“ Die Landtagspräsidentin findet für den Vorstoß deutlichere Worte: „Kräfte, die offen ihre Verfassungsfeindlichkeit bekennen, wollen wir nicht auch noch überproportional mit Geld des Steuerzahlers ausstatten.“
Doch ob diese Pläne für die NPD-Parlamentarier in den nächsten fünf Jahren tatsächlich zu Hürden werden, lässt sich schwer prophezeien. Bisher will im Schweriner Schloss keiner Namen von Rechtsextremen nennen, denen die Führungszeugnis-Regelung in die Quere kommen könnte. Zwar wird getuschelt, in der NPD-Fraktion sei Alexander Wendt aktiv, ein wegen Körperverletzung vorbestrafter Betreiber eines nationalen Wohnprojektes aus Ostvorpommern. Doch ob er auf der Gehaltsliste der Fraktion stehen wird, ist offen. Auch über das Strafregister der künftigen Wahlkreismitarbeiter, von denen einige aus der militanten Kameradschaftsszene stammen, gibt es bisher nur Spekulationen. Der NPD-Abgeordnete Stefan Köster, der erst vor einigen Monaten in erster Instanz wegen Körperverletzung schuldig gesprochen wurde, jedenfalls gibt sich gelassen: „Das betrifft uns alles nicht“, beteuert er. Das angekündigte Programm der Landtagspräsidentin zeuge von einem „hilflosen“ Verhalten gegenüber seiner Fraktion.
Klar ist hingegen, dass die NPD auf die „Achse Dresden-Schwerin“ baut. Glaubt man dem sächsischen NPD-Abgeordneten Jürgen Gansel, dann will seine Fraktion künftig eng mit den Kollegen in Schwerin kooperieren. Mit dem bisherigen Dresdner Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx ist bereits ein NPD-Schwergewicht nach Mecklenburg-Vorpommern umgezogen. Außerdem wolle man Anträge und parlamentarische Initiativen koordinieren und Redner austauschen. In Sachsen, konstatiert Gansel mit Genugtuung, habe die „Protestenergie“ der Gegenseite bereits nachgelassen. Dieser Effekt, glaubt sein Parteifreund Michael Andrejewski, werde im Nordosten noch schneller eintreten. Bisher bescheinigen alle Umfragen den Rechtsextremen in Sachsen auch nach zwei Jahren im Landtag ein Wählerpotenzial klar über der Fünf-Prozent-Marke.