„Es war ein paradiesischer Ort“

SCHREBERGÄRTEN Jonas Pabst hat mehr als zwei Jahre lang Fotos in den Neuköllner Kleingartenkolonien gemacht, die dem Weiterbau der A 100 weichen mussten. Er saß mit den Bewohnern zusammen, hat mit ihnen gefeiert, ihre Traurigkeit mit erlebt. Nun ist sein Buch fertig – über eine Welt, die verschwunden ist

■ 29, ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Er studiert Kommunikationsdesign an der FH Potsdam mit den Schwerpunkten Illustration und Bewegtbild.

INTERVIEW CLAUDIUS PRÖSSER

taz: Herr Pabst, Sie haben einen Bildband über die Kleingärten veröffentlicht, die der A 100 weichen mussten. Wobei, „veröffentlicht“ kann man gar nicht sagen, oder?

Jonas Pabst: Nein, ich habe das Buch in kleiner Stückzahl selbst produziert, es ist sozusagen exklusiv. Wenn sich ein Verlag dafür interessieren würde, hätte ich natürlich nichts dagegen.

Trotzdem wirkt das Produkt sehr professionell. War das nur ein Hobby?

Nein, ich studiere in Potsdam Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Illustration. Das Projekt fügt sich insofern schon in mein Studium ein. Andererseits war es mir auch ein echtes Bedürfnis.

Wieso hat Sie das Schicksal der Laubenkolonien so bewegt?

Ich wurde im Oktober 2012 zu einer Party in der Kolonie Weißer Stern eingeladen und stieß da auf einen Ort, den ich ungeheuer faszinierend fand. Die Parzellen waren schon verlassen, aber in den Dingen waren die Besitzer immer noch sehr präsent. Ich bin dann regelmäßig dort gewesen.

Wurde da nicht ohne Ende Party gemacht?

Das betraf stärker die Kolonien weiter nördlich an der Dieselstraße, die wurden richtig runtergefeiert. Da, wo die meisten meiner Bilder entstanden sind, gab es auch Partys, aber es war ein paradiesischer Ort, wie ein verwilderter Hain, wo man Äpfel pflücken und unterschiedlichsten Menschen begegnen konnte.

Die sich dort als Zwischennutzer niedergelassen hatten?

„Einer Frau hätte ich gern ein fertiges Buch überlassen, aber sie wollte nicht. Es hätte sie wohl zu sehr an den Verlust erinnert“

Ja. Da gab es einen Physikstudenten, der Gitarre spielte, und einen jungen Kanadier mit einem langen Bart, der selbst an einem künstlerischen Projekt gearbeitet hat. Außerdem eine Lebenskünstlerin, ein Kurde mit drei Kindern und eine fünfköpfige polnische Familie, die in der Stadt arbeitete. Als ich sie kennenlernte, war gerade noch der Opa zu ihnen gezogen – er war zwei Tage vorher in einer anderen Laube mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen und konnte sich gerade noch retten.

Auch ehemaligen Laubenbesitzer haben Sie getroffen.

Ich habe einige im Vereinsheim der Kolonie nebenan ausfindig gemacht, da gibt es eine kleine Gruppe, die sich regelmäßig auf ein Bier trifft. Es war gar nicht so einfach, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, ich musste erst mal klarstellen, dass ich kein Sensationsreporter bin. Einer hat mir für mein Buch auch Fotos aus seinem Garten zur Verfügung gestellt, Sommerbilder aus den neunziger Jahren. Sie stehen für eine Welt, die jetzt verschwunden ist.

Wie haben Sie diese Menschen erlebt?

Sehr frustriert. Ihre Gespräche drehten sich bei dem Thema oft im Kreis. Einer Frau hätte ich gern ein fertiges Buch überlassen, aber sie wollte nicht. Es hätte sie wohl zu sehr an den Verlust erinnert. Alle, die ich getroffen habe, haben eine Ersatzparzelle bekommen, aber viele andere fühlten sich zu alt dafür. Sie wurden zwar finanziell entschädigt, aber das ersetzt den Garten natürlich nicht. Von ihnen fehlt jede Spur.

In Ihrem Band wechseln sich Fotos mit Illustrationen ab. Wofür stehen die?

Sie bilden eine emotionale Ebene ab, während die Fotos rein dokumentarisch sind. Und sie deuten die Geschichte hinter den Fotos an. Dabei habe ich auch vorgefundenes Material verarbeitet, alte Pachtquittungen etwa oder schwarze Folie von Müllbeuteln.

Die letzten Grafiken sind dann auch ziemlich düster.

■ Lange wurde hin und her gezerrt – dann machte 2011 der rot-schwarze Koalitionsvertrag den Bau des 16. Abschnitts der Stadtautobahn A 100 endgültig klar. Eine rot-grüne Koalition war genau daran gescheitert. Uneins war aber auch die SPD, eine Zeit lang gab es einen Parteitagsbeschluss gegen den Weiterbau.

■ Die Vorarbeiten sind im Gange. In Neukölln wurden Straßen gesperrt oder umgeleitet. Mit der Fertigstellung des Abschnitts, der vom Dreieck Neukölln zum Treptower Park führt, wird dennoch erst für 2021/2022 gerechnet. Die Kosten liegen bei 450 Millionen Euro – zurzeit jedenfalls. (taz)

Ja, das Ende war dann auch ein Trauerspiel. Diese Parallelwelt hatte zwei Jahre Bestand, bis alles rechtskräftig war. Im November 2012 ging es dann ganz schnell, die Bäume wurden gefällt und alles Grün zerhäckselt. Die Lauben standen dann noch eine Weile in der Ödnis herum, bis sie abgerissen wurden. Jetzt ist da eine plane Fläche, einfach gar nichts.

Gehen Sie noch hin, um die Bauarbeiten zu dokumentieren?

Nein. Das ist auch für mich jetzt abgeschlossen.

Kontakt zum Autor:jonas.pabst@gmx.de