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Archiv-Artikel

Wie die Wüste lebt

Viele linke Szenekneipen sind vom platten Land verschwunden. Das Café Grenzbereiche im Wendland dagegen hat sich zu einem Kulturzentrum weiter entwickelt – für die Szene und die Bürger drumrum

von Klaus Irler

In der Stadt würden sie die Nase rümpfen. „Szenetreffpunkt“, das ist für junge alternative Großstädter so ein Prädikat, das in Reiseführern oder Lokalzeitungen steht und signalisiert: Dieser Ort hat seine besten Zeiten hinter sich. Der Mainstream hat’s gemerkt, jetzt steigen die Getränkepreise. Auf keinen Fall hingehen. Lieber jenen Menschen im Freundeskreis anrufen, der weiß, wo wirklich was geht. Möglichkeiten gibt’s ja genug in der Großstadt, man muss nur dran sein.

Für alternative Landbewohner sieht das anders aus. „Szenetreffpunkt“, das klingt nicht abgenudelt, sondern wegweisend. Szenetreffpunkt ist da, wo alle hingehen, die mit der Erdbeer-Limes-Party in der Großraumdisko an der Bundesstraße nichts anfangen können. Er ist sehr selten auf dem Land, hat dafür eine sehr großen Einzugsbereich. Jeder kennt ihn, ist es doch die einzige Chance, Gleichgesinnte zu treffen.

Viele dieser Kneipen gibt es nicht mehr heutzutage, schon gar nicht solche, die seit den 80er Jahren durchgehalten haben. „Das Café Grenzbereiche ist über die Jahre ein Szenetreffpunkt geblieben“, sagt die 46-jährige Birgit Huneke. Das hat damit zu tun, dass das Café Grenzbereiche mitten im Wendland liegt, zwischen Dannenberg und Lüchow, wo der Castor rollt und das potenzielle Atommüll-Endlager Gorleben nebenan ist. Es ist ein symbolträchtiger Landstrich für die Anti-Atom-Bewegung und viele der Atom-Gegner kamen in den 1980er Jahren erst zum Demonstrieren und sind dann geblieben, haben Hausgemeinschaften und WGs gegründet in den alten, leer stehenden Fachwerkhäusern am Rand der damaligen Bundesrepublik. 1982 haben vier Berliner den Hof gekauft und das Café Grenzbereiche gegründet, neben dem Kommunikationszentrum Meuchefitz „einer der beiden Orte, wo Mensch sich getroffen hat“, sagt Huneke. Was heute im Café Grenzbereiche passiert, wenn der Castor rollt? Huneke: „Dann haben wir entweder zu und sind bei der Demonstration oder wir haben auf, weil sich hier alle treffen.“

Wobei die Politik längst nicht alles ist im Café Grenzbereiche. Seit seiner Gründung war das Café nie nur Treffpunkt und Gastronomie, sondern immer auch Veranstaltungsort. Anfang der 1990er bekam das damalige Team im Rahmen der Zonenrandförderung Geld von der Bezirksregierung, um das Fachwerkhaus mit einem Anbau zu versehen. Seitdem ist das Fachwerkhaus ein Konzertsaal und das Café ist umgezogenen in einen Anbau mit viel Glas, gefliestem Boden, orangefarbenen Wänden und edlen Vitrinen, in denen fair gehandelter Kaffee und Salinas-„Salz für Gorleben“ angeboten werden. Außerdem gibt es einen Theaterraum, in dem immer Donnerstags jene Kinofilme gezeigt werden, die es sonst kaum aufs Land schaffen. Und ein taz-Abo gibt es auch: „Wir müssen versuchen, auf dem Laufenden zu bleiben, was in der Stadt gerade angesagt ist“, sagt Sabine Peters, 41, neben Huneke die zweite professionelle Grenzbereiche-Organisatorin. „Weil das doch eine Zeit dauert, bis das hier ankommt.“

Das Café Grenzbereiche hat sich zu einem etablierten Kulturzentrum entwickelt. Getragen wird es vom Kulturverein Platenlaase. Das Kulturzentrum ist angewiesen auf die Mitarbeit von 30-50 Ehrenamtlichen und auf Projektförderung aus unterschiedlichen Töpfen. Birgit Huneke und Sabine Peters sind die einzigen, die für Programmplanung und Organisation bezahlt werden – ebenso aus zeitlich begrenzten Projektfördertöpfen. Bis Januar 2007 sind ihre Stunden finanziert, für die Zeit danach müssen sie auf die Suche nach neuen Geldgebern gehen. Im Moment werben sie um Fördermitglieder

Dafür ist der Theatersaal an diesem Montagabend, Anfang Oktober ausverkauft. Es ist die Premiere des Stückes „Ratz!“, das Kinder und Erwachsene aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg gemeinsam auf die Bühne gebracht haben, ein Projekt unter dem Label „Generationsübergreifende Kulturarbeit“. Anschließend wird es eine Tanznacht mit DJ geben, bei der das Altersspektrum von Anfang 20 bis Mitte 50 reicht.

Klar: Ein alternatives Kulturzentrum auf dem Land muss für ein breites Publikum etwas bieten, wenn es überleben will. Zumal „das Stammpublikum von früher mittlerweile Familie hat und abends nicht mehr so viel weggeht“, sagt Peters.

Überhaupt, die Kultur: Für das Café Grenzbereiche war und ist sie die Brücke zu jenen Menschen im Landkreis, die zu jung oder zu bürgerlich sind, um über die Anti-Atom-Bewegung mit dem Haus in Berührung zu kommen. Also setzt man auf Vielfalt: Nach „Ratz!“ kommt Ende der Woche der Film „Lemming“, dann ein Kabarett-Gastspiel des Hamburger Spottvereins und ein Doppelkopfturnier.

Eine Lücke im Publikumsspektrum bleiben die jungen Erwachsenen, jene, denen das generationsübergreifende Programm zu uncool ist. „Wir versuchen da im Musik-Programm eine Mischung hinzukriegen, dass etwa nicht drei Monate hintereinander ältere Bands auftreten“, sagt Peters. Tomte, Madsen und Kettcar hatten sie beispielsweise im Programm, Bands, bei deren Auftritten in Hamburg oder Hannover meist keine Karten mehr zu kriegen sind.

Trotzdem bleibt das Problem, dass „die Jüngeren mit 20 ausbildungsmäßig in die Stadt gehen.“ Das Wendland ist eine strukturschwache Region und Huneke sagt: „Zwischendurch dachte ich, es stirbt aus.“ Andererseits, meint sie, komme die Stadtflucht wieder, Großstädter zögen nach wie vor zu.

Auf dem schwarzen Brett im Café steht dann: „Liebes Weltall, vielen Dank für Eure Hilfe! Ich suche einen 6-8 Meter langen Bauwagen, um ihn auszubauen.“ Oder: „Nette Hausgemeinschaft, drei Frauen, zwei Männer, 29-45, suchen Mitbewohner.“ Oder eben: „Suche Mofa. Zustand fahrtüchtig.“

Hinweis: Klaus Irler, 33, machte ein Volontariat bei der taz bremen und ist seit drei Jahren taz-Redakteur, zunächst in Bremen und inzwischen in Hamburg