piwik no script img

Archiv-Artikel

Letzte Chance genutzt

BASEBALL Nach dem Gewinn der World Series droht eine jahrelange Dominanz der San Francisco Giants

Am Mittwoch werden die Helden in San Francisco zur Parade erwartet. Wenn die Stadt dann noch steht. Denn kaum dass es den Giants gelungen war, den entscheidenden vierten Sieg bei den Texas Rangers einzufahren, brachen an der Westküste die Dämme: Mit kleineren Freudenfeuern und demolierten Fahrzeugen feierte die Hippie-Stadt ihr geliebtes Baseball-Team.

Kein Wunder: Der fünfte und bis Montagnacht letzte World-Series-Titel der Giants liegt lange 56 Jahre zurück. Und damals spielte das Team noch in New York. Seit dem Umzug an die Westküste 1958 hatte die Franchise zwar drei Mal die Endspiele erreicht, aber jedes Mal verloren.

Nicht so beim vierten Anlauf. Doch der emotionale Ausbruch in San Francisco hielt sich nach dem ersten Baseball-Titel der Stadt noch im Rahmen. Während in anderen US-Metropolen zur Meisterschaftsfeier schon mal mittelgroße Stadtviertel geplündert werden, meldete die Polizei in San Francisco nur fünf Verhaftungen nach dem 3:1-Erfolg der Giants in Texas. Daran aber sollten sich die Ordnungshüter schon mal gewöhnen: Scheint die Mannschaft nach vier Siegen in fünf Spielen gegen die Rangers doch auf dem besten Wege, in den kommenden Jahren weitere Titel einzufahren.

Edgar Renteria wird dann höchstwahrscheinlich nicht mehr dabei sein, obwohl er zum wichtigsten Akteur der Finalserie gewählt wurde. Der Shortstop spielte nicht nur in der Verteidigung wie gewohnt herausragend, sondern zeigte, dass er auch mit dem Holzschläger umgehen kann. Im letzten Spiel war er mit einem Homerun für die entscheidenden drei Punkte der Giants verantwortlich.

Aber Renteria, der bereits 1997 einmal die World Series mit den Florida Marlins gewinnen konnte, ist bereits 35 Jahre alt. In dieser Saison war er lange verletzt, und wenn er doch einmal spielte, schien er bisweilen zu langsam für seine Position. Die Playoffs begann der Kolumbianer auf der Bank, aber er schwang sich noch einmal zu großer Form auf – stellvertretend für viele seiner Kollegen, die von anderen Teams bereits ausgemustert wurden.

Diese Kollektion von gescheiterten Existenzen, die ihre vermutlich letzte Chance nutzte, beherrschte zwar die Schlagzeilen während des unerwarteten Siegeszugs der Giants. Doch die Zukunft der Mannschaft stellen sie nicht dar. Die steht stattdessen auf dem Wurfhügel: Dort platziert San Francisco bei jedem Spiel einen überdurchschnittlichen Pitcher. Beim 3:1-Sieg in Texas ließ Tim Lincecum (26) nur einen einzigen Run zu. Davor waren es Matt Cain (26) und Madison Bumgarner (21), die die Angreifer der Rangers frustrierten. Nur Jonathan Sanchez (27) fiel zuletzt etwas aus dem Rahmen.

Dass es diese Werfergarde war, die den Unterschied ausmachte in der World Series, das wusste auch Cliff Lee, den die Rangers im letzten Spiel gegen Lincecum aufboten: „Ihr Pitching war phänomenal. Lincecum, Cain, Bumgarner, die haben einfach besser geworfen als wir.“

Entscheidend aber ist: Die vier sind nicht nur jung, sondern auch mindestens noch zwei Jahre in San Francisco unter Vertrag. Zudem wurde das Herzstück des neuen Meisters nicht mit Millionen von Dollars eingekauft. Alle kamen direkt aus der High School oder vom College zu den Giants und durchliefen deren Farm-System aus unterklassigen Teams, in denen die Talente auf die große Bühne vorbereitet werden. Das sorgt für eine emotionale Bindung an Klub und Stadt, die sich das Giants-Management zunutze machen dürfte, wenn die Verträge der Jungstars auslaufen. Denn dann werden potentere Vereine anklopfen, allen voran die New York Yankees, die mehr als doppelt so viel für ihre Mannschaft ausgeben als die Giants.

Bis es so weit ist, also mindestens noch zwei weitere Jahre, aber könnten die jungen Giants-Pitcher weitere Titel einfahren. Dazu haben sie sicherlich das Potenzial. San Francisco kann sich schon einmal auf neue Feierlichkeiten einstellen. THOMAS WINKLER